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SARS-CoV-2

Neuartiger Antikörper wirkt gegen alle Corona-Varianten

Einen SARS-CoV-2-neutralisierenden monoklonalen Antikörper zu entwickeln, ist für ein pharmazeutisches Unternehmen ein riskantes Geschäft. Bisher gelang es dem Virus immer wieder, durch Mutationen zu entkommen. Mit dem Antikörper SP1-77 deutet sich ein signifikanter Durchbruch an.
Theo Dingermann
19.08.2022  14:30 Uhr

Die Liste der monoklonalen Antikörper, die gegen SARS-CoV-2 entwickelt wurden, ist lang. Gegen die aktuell dominante Variante BA.5 wirken nur die beiden Antikörper Sotrovimab (Xevudy®) und die Kombination Tixagevimab/Cilgavimab (Evusheld®), und dies auch eher mäßig. Der Grund liegt darin, dass es dem Virus immer wieder gelingt, durch Mutationen der Inhibition durch die Antikörper zu entkommen. Aus diesem Grund wird mit Hochdruck nach Antikörpern gesucht, die möglichst gegen alle bekannten und möglichst auch gegen künftige Varianten wirksam sind.

Einen wichtigen Schritt in diese Richtung gelang nun einem Team um Dr. Sai Luo vom Howard Hughes Medical Institute am Boston Children’s Hospital und dem Department of Genetics an der Harvard Medical School in Boston, das seine Erkenntnisse jetzt in »Science Immunology« publizierte.

Die Wissenschaftler hatten ein ausgeklügeltes Mausmodell konstruiert mit der Folge, dass in diesen Tieren das komplexe Rekombinationsprogramm verfeinert abläuft, das jede native B-Zelle durchläuft, wenn diese mit einem Antigen in Berührung kommt. Diese Mäuse immunisierten die Forschenden mit dem SARS-CoV-2-Spike-Protein des Virus-Wildtyp-Stamms. Sie erhielten daraufhin unter anderem Antikörper, die ganz besondere Eigenschaften aufwiesen und die in dieser Form bisher noch nicht isoliert werden konnten.

So neutralisierte der Antikörper SP1-77 in Labortests alle derzeit bekannten SARS-CoV-2-Varianten, einschließlich der derzeit dominanten Omikron-BA.5-Variante. Damit scheint den Wissenschaftlern ein Durchbruch gelungen zu sein, denn dieser Antikörper könnte sogar das Potenzial besitzen, auch künftige Varianten zu neutralisieren.

Neuartige Bindungsstelle

In aufwändigen strukturbiologischen Studien konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die bemerkenswerten Eigenschaften des SP1-77-Antikörpers auf einem neuen Wirkprinzip beruhen. Zwar bindet SP1-77 auch an die rezeptorbindende Domäne des S-Proteins, wie alle bisher isolierten neutralisierenden Antikörper. Und damit interferiert SP1-77 auch mit der Bindung des Virus an den ACE2-Rezeptor. Allerdings hemmt SP1-77 nicht per se die Bindung von SARS-CoV-2 an die Wirtszelle oder auch nicht seine Endozytose. Stattdessen hemmt SP1-77 einen nachgeschalteten Schritt im SARS-CoV-2-Infektionsprozess, nämlich die Fusion der Virusmembran mit der Membran der Wirtszelle.

»Sobald das Virus an ACE2 gebunden hat, muss es einen letzten Schritt vollziehen: die Verschmelzung seiner äußeren Membran mit der Membran unserer Zellen«, schreibt die Wissenschaftsjournalistin Nancy Fliesler in einem News & Research Beitrag der Harvard Medical School. »Damit ist der Infektion Tür und Tor geöffnet. Mithilfe einer neuartigen Plattform für die Bildgebung in lebenden Zellen haben die Autoren gezeigt, dass SP1-77 diesen Schritt blockiert.«

»SP1-77 bindet das Spike-Protein an einer Stelle, die bisher in keiner Variante mutiert ist, und es neutralisiert diese Varianten durch einen neuartigen Mechanismus«, erläutert Professor Dr. Tomas Leopold Kirchhausen, einer der Autoren der Arbeit, die Bedeutung der Ergebnisse. Er ergänzt: »Diese Eigenschaften könnten zu seiner breiten und starken Aktivität beitragen«.

Falls sich die Ergebnisse beim Menschen bestätigen lassen, könnten derartige Antikörper nicht nur zu einem besseren Schutz vor Covid-19 führen. Eventuell deutet dieser Antikörper auch an, wie sich Impfstoffe verbessern ließen.

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