Pharmazeutische Zeitung online
Leber und Nieren

Nachlassende Organfunktionen im Alter bei Therapie beachten

Physiologische Veränderungen im Alter erhöhen das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Insbesondere eine nachlassende Funktion von Leber und Nieren ist bei der Auswahl und Dosierung von Arzneistoffen zu berücksichtigen.
Sven Siebenand
20.01.2023  15:00 Uhr

Im Laufe des Lebens lässt die Leistungsfähigkeit vieler Organe nach. Als wichtige Beispiele hob Professor Dr. Ulrich Jaehde von der Universität Bonn beim Fortbildungskongress Pharmacon in Schladming die Leber und die Nieren hervor. So nehme die Prävalenz einer chronischen Nierenerkrankung (CKD) mit dem Alter zu. Die CKD sei ein häufiger Zustand bei älteren Menschen. Genauso werde die Leber im Alter krankheitsanfälliger. Durch Veränderungen in der Pharmakokinetik und -dynamik erhöhen alternde Organe in Summe damit das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW).

Was ist also zu tun? Zunächst ist es wichtig, die Organfunktion regelmäßig zu kontrollieren. Für die Kontrolle der Nierenfunktion wird häufig der Wert des Serumkreatinins herangezogen. Wie Jaehde erklärte, sollte dieser Wert allein aber immer mit Vorsicht betrachtet werden. Besser sei es, die Kreatinin-Clearance, den Quotienten aus Kreatinin-Ausscheidung und Serumkreatinin, als Parameter für die Nierenfunktion heranzuziehen. Ein noch besserer Marker sei Cystatin C, dessen Serumkonzentration nicht durch Alter, Geschlecht und Muskelmasse beeinflusst wird. »Die Bestimmung von Cystatin C ist aufwendiger und teurer«, informierte Jaehde. Wenn man aber Zweifel an der Richtigkeit der Kreatinin-Clearance habe, könne man im individuellen Fall durchaus über die Bestimmung dieses Werts nachdenken.  Um die Leberfunktion zu schätzen, kommen in der Praxis häufig Scores zum Einsatz, etwa der Child-Pugh-Score. In diesen fließt unter anderem die Albumin- und Bilirubin-Konzentration im Serum ein. 

Bei der Auswahl von Medikamenten gilt es, die Organfunktion zu berücksichtigen. Nephro- und hepatotoxische Arzneistoffe sollten möglichst vermieden werden. Um sich über Nieren- und Lebertoxizität von Medikamenten zu informieren, empfahl der Referent zwei Datenbanken im Internet: Nephrotox und Livertox.

Dosis an Organfunktion anpassen

Die Organfunktionen sollten bei der Arzneimitteldosierung berücksichtigt werden. Oft wird die Dosis von Medikamenten aber nicht reduziert,  etwa bei Niereninsuffizienz. Jaehde stellte die Ergebnisse einer Untersuchung bei Heimbewohnern vor. Mehr als die Hälfte der Bewohner mit einer Kreatinin-Clearance unter 60 ml/min wies nicht an die Nierenfunktion angepasste Dosierungen auf.  Neben einer Hyperpolymedikation mit zehn und mehr Arzneistoffen sei eine ungeeignete Dosierung aufgrund der Nierenleistung der wichtigste Risikofaktor für UAW in Heimen. Erstgenannte erhöhe das Risiko um den Faktor 3, zweitgenannte sei aber mit dem Faktor 2,5 beinahe ebenso risikoträchtig. Unter dosing.de finden sich unter anderem Angaben zur Arzneimitteldosierung bei Niereninsuffizienz.

Im Netz finden sich auch Informations-Datenbanken zur Anpassung der Dosis an die Leberfunktion, etwa unter www.drugsinlivercirrhosis.org. Jaehde betonte, dass es besonders wichtig sei, zwischen sogenannten Low- und High-Extraction-Drugs zu unterscheiden.  Eine Leberfunktionsstörung wirkt sich bei Letzteren stärker aus. Der First-pass-Effekt fällt weg oder ist eingeschränkt, sodass sich die Bioverfügbarkeit deutlich erhöhen kann. Beispielsweise beträgt die Bioverfügbarkeit von Morphin 47 Prozent bei lebergesunden Personen. Bei Zirrhosepatienten liegt sie dagegen bei 100 Prozent. Das heißt, die Dosis von Substanzen mit ausgeprägtem First-pass-Effekt muss reduziert werden.

Abschließend betonte Jaehde, dass es wichtig sei, die Wirkungen der Medikamente regelmäßig in Arztpraxis und Apotheke zu überprüfen. Neu auftretende Symptome, über die Patienten in der Offizin berichten, sollten auch auf einen möglichen Zusammenhang mit der Arzneimitteltherapie überprüft werden.

Mehr von Avoxa