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Bariatrische Chirurgie

Nach der OP ist vor der Nachsorge

Nach einer bariatrischen Operation müssen Patienten intensiv betreut werden. Es gilt, postoperative Komplikationen zu vermeiden, die Ernährung umzustellen, die Medikation anzupassen und die Betroffenen psychologisch zu begleiten. Geeignete Anlaufstellen sind jedoch rar.
Nicole Schuster
03.09.2020  07:07 Uhr

Bei einer bariatrischen Operation wird der Magen-Darm-Trakt verändert, um bei Adipositas-Patienten das Magenvolumen und die Nahrungsaufnahme zu verkleinern. Es gibt verschiedene Operationstechniken. So kann mit einem Magenband der Magendurchmesser im Eingangsbereich verringert werden oder chirurgisch 80 bis 90 Prozent des Magens entfernt werden, sodass ein sogenannter Schlauchmagen resultiert. Beim Roux-en-Y-Magenbypass trennen Ärzte den Vormagen vom Restmagen ab, entfernen einen Teil des Dünndarms und nähen die verbliebenen Organteile zusammen. Verdauungssekrete von Galle und Bauchspeicheldrüse werden bei bariatrischen Operationen teilweise umgeleitet.

Für den Patienten bedeutet dies eine radikale Umstellung seines gewohnten Alltags. »Patienten müssen nach der Operation ein völlig neues Essverhalten erlernen, vor allem mit Blick auf Portionsgrößen«, sagte Mario Schwenne, Mitgründer des Experten-Netzwerks-Adipositas aus Lingen (Ems), der PZ. Der kleinere Magen kann auch dazu verleiten, zu wenig zu trinken, und die Versorgung mit wichtigen Makro- und Mikronährstoffen kann gefährdet sein.

Die Hypoproteinämie gilt als häufigster Makronährstoffmangel bei den Operierten. Gründe sind die katabole Stoffwechsellage und die geringeren Nahrungsmengen, die Patienten aufnehmen. Eine ausreichende Proteinzufuhr ist jedoch nicht nur für den Muskelerhalt wichtig. Bei einem Mangel drohen auch Folgen wie Haarausfall, brüchige Nägel und eine Neigung zu Ödemen. Um vorzubeugen, sind gut verträgliche Eiweißlieferanten wie Milchprodukte, Geflügelfleisch, Eier oder Fisch zu empfehlen. Wichtige Elemente der Ernährung sollten auch Gemüse, zuckerarmes Obst und komplexe Kohlenhydrate sein.

Mikronährstoffe supplementieren

»Vor allem bei Bypässen ist auch eine veränderte Nahrungspassage zu beachten, die sich auf die Resorption bestimmter Mikronährstoffe auswirkt«, sagte Schwenne. Neben der Malabsorption führen auch reduzierte Nahrungsmengen dazu, dass es Betroffenen schwerer fällt, alle erforderlichen Mikronährstoffe mit der Ernährung aufzunehmen. Viele Patienten haben sich zudem schon vor der Operation nicht ausgewogen ernährt und Mängel aufgewiesen.

Insbesondere nach Bypass-Operationen sind Mikronährstoffe wie Vitamin D, Vitamin B12 und Eisen meistens lebenslang zu supplementieren. Da viele Patienten eine Malabsorption an Fett aufweisen, ist die Aufnahme von fettlöslichen Vitaminen und Spurenelementen eingeschränkt. Um die Adhärenz zu stärken, sollte das Apothekenteam über die Bedeutung der Supplementation aufklären, auch wenn die Krankenkassen die Präparate in der Regel nicht zahlen. In vielen Fällen ist ein ausreichend hoch dosiertes Multivitamin-Mineralstoff-Präparat ausreichend. Bei einigen Nährstoffen liegt die zu supplementierende Menge jedoch höher (siehe Tabelle). Der Arzt sollte die Blutwerte regelmäßig überprüfen, um Mängel rechtzeitig zu erkennen.

Mikronährstoff Grund für Mangel Supplementation
Folsäure meist Ernährung mit wenig Gemüse und Salat 600 µg pro Tag in Form eines Multivitamin-Mineralstoff-Präparats (Einnahme zweimal täglich)
Vitamin B12 vollständiger oder teilweiser Funktionsverlust des Magens ► Mangel an intrinsischem Faktor und Salzsäure ► verringerte Freisetzung von B12 aus Protein 1000 bis 3000 µg alle drei bis sechs Monate intramuskulär (bevorzugt) oder
1000 µg pro Tag oral
Vitamin B1 reduzierte Salzsäure-Produktion, andauerndes Erbrechen oder verminderte Zufuhr Prophylaxe: keine Empfehlungen, bei neurologischen Symptomen: in absteigender Dosis oral 500 bis 100 mg pro Tag
Vitamin D Vitamin D wird im Jejunum und Ileum aufgenommen ► Mangel bei Bypass-Operierten. Steatorrhoe verstärkt Mangel an dem fettlöslichen Vitamin Prophylaxe: mindestens 3000 I.E. pro Tag empfohlen, Serumkonzentration >30 ng/ml
Vitamin A fettlösliches Vitamin, Mangel nach verschiedenen Operationstechniken möglich 5000 bis 10.000 I.E. pro Tag
Vitamine K und E fettlösliche Vitamine, Mangel nach verschiedenen Operationstechniken möglich Multivitamin-Mineralstoff-Präparat (Einnahme zweimal täglich)
Calcium Calcium wird im proximalen Jejunum resorbiert ► Calciummangel als mögliche Folge des Vitamin D-Mangels Prophylaxe: 1200 bis 1500 mg pro Tag als Calciumcitrat
Eisen hauptsächliche Resorption im Dünndarm und proximalen Jejunum Prophylaxe 45 bis 60 mg pro Tag, bei menstruierenden Frauen 50 bis 100 mg pro Tag in Form von Eisensulfat, -fumarat oder -glukonat, bei Anämie durch Eisenmangel: 100 bis 200 mg pro Tag
Magnesium Magenbypass 200 bis 300 mg pro Tag als Magnesiumcitrat
Zink Absorption an Fett gebunden 8 bis 15 mg pro Tag als Zinkglukonat, -sulfat oder -azetat
Kupfer Absorption an Salzsäure gebunden 2 mg pro Tag als Kupferglukonat, -oxid oder -sulfat
Tabelle: Prophylaktische Supplementation nach der bariatrischen Chirurgie (Quelle: S3-Leitlinie)

Auch die Psyche der Betroffenen darf nach einer bariatrischen OP nicht vernachlässigt werden. Laut einer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2013 ist die Suizidrate postoperativ vierfach höher als in der Allgemeinbevölkerung. Bei vielen Betroffenen nimmt nach dem Eingriff selbstschädigendes Verhalten zu, weiterhin ist auf Probleme wie einen kritischen Alkoholkonsum und andere Substanzgebrauchsstörungen zu achten. Laut S3-Leitlinie »Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen« aus dem Jahr 2018 sollen Ärzte Patienten, die bereits vor der Operation psychische Störungen aufwiesen, auf Verschlechterungen untersuchen. Eine Anpassung der Dosis beziehungsweise der Auswahl von eingesetzten Psychopharmaka ist gegebenenfalls zu erwägen.

Bei Essstörungen sind auch subklinische Störungen zu beachten. Der verkleinerte Magen schränkt die Nahrungsmengen ein, die Patienten bei einem Essanfall konsumieren können. Auf Binge Eating weist daher weniger eine objektiv große Essensmenge hin als das Gefühl, die Kontrolle beim Essen verloren zu haben. Einige Betroffene empfinden auch die körperlichen Veränderungen nach dem Gewichtsverlust als belastend, etwa herunterhängende Hautlappen. Sollen diese chirurgisch entfernt werden, müssen Patienten die Kosten in der Regel selbst tragen.

Positive Auswirkungen rasch spürbar

Die positiven Auswirkungen auf den Organismus zeigen sich meist sehr schnell. »Die Folge des drastischen Gewichtsverlusts nach der Operation ist in den meisten Fällen eine sofortige Heilung von Typ-2-Diabetes«, weiß der Experte. Auch eine Hypertonie kann sich erheblich bessern, wenn das Gewicht sinkt und sich Patienten mehr bewegen. Entsprechende Medikamente müssen unter Umständen in ihrer Dosis reduziert oder ganz abgesetzt werden.

Frauen im gebärfähigen Alter sollten nach einer bariatrischen Operation solange sicher verhüten, bis die Phase der Gewichtsreduktion beendet ist. Das kann zwei Jahre dauern. In dieser Zeit wäre im Falle einer Schwangerschaft nicht auszuschließen, dass die werdende Mutter und der Fetus nicht ausreichend versorgt sind. Orale Kontrazeptiva sind keine sichere Methode, wenn die Patientinnen nach dem Eingriff unter vermehrten Durchfällen oder Erbrechen leiden oder wenn Dünndarmabschnitte entfernt wurden, die für die Resorption der Hormone verantwortlich sind.

Lebenslange Betreuung

Die Herausforderungen, denen Patienten nach bariatrischen Operationen gegenüberstehen, sind also sehr groß. Laut Leitlinie sollen sie daher von einem in der Adipositas-Therapie und in metabolischen Eingriffen erfahrenen Arzt und einer Ernährungsfachkraft betreut werden, und zwar lebenslang. Eine strukturierte Nachsorge trage wesentlich zum Behandlungserfolg bei, heißt es dort.

Doch wie sieht es in der Praxis aus? Die Zahl der Patienten, die in der Nachsorge zu betreuen sind, wächst stark; 2006 waren es noch 60.000, zehn Jahre später bereits 100.000. Die wenigen Adipositas-Zentren in Deutschland können die lebenslange Nachsorge der Patienten nicht leisten. Zukünftig könnten in diesem Bereich Hausärzte mehr Aufgaben übernehmen. Dafür müsste diese Arbeit für sie aber kostendeckend möglich sein und es müsste mehr spezifische Fortbildungen geben.

Wie wichtig jedoch die Nachsorge für den Operationserfolg ist, erklärt noch einmal Schwenne: »Bei fehlender Nachsorge tritt häufig ein Rückfall der Patienten innerhalb von fünf Jahren nach der Operation ein: Nach einem kurzen Plateau steigert der Patient seine Portionsgrößen und weitet damit seinen Magen um ein Vielfaches. In der Folge steigt das Gewicht wieder bis über den Bereich des Übergewichts an.«

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