Multivalenter Influenza-Impfstoff auf mRNA-Basis |
Theo Dingermann |
28.11.2022 16:30 Uhr |
Influenzaviren besitzen in ihrer Hülle als wichtige Oberflächenprotein das Hämagglutinin. / Foto: Getty Images/Cdc/Science Photo Library
Vor dem Auftreten von SARS-CoV-2 ging die größte Gefahr für eine Pandemie von Influenzaviren aus. Mindestens 18 verschiedene Subtypen des Influenza-A-Virus kennt man. Zwar sind nicht alle diese Subtypen humanpathogen, dennoch hat gerade auch die Coronapandemie gezeigt, welche Gefahren von zoonotischen Viren ausgehen können.
Es ist keineswegs trivial, die humanpathogenen Subtypen sicher vorherzusagen, die eine kommende interpandemische Grippesaison dominieren, um entsprechende Impfstoffe herstellen zu können. Nicht nur aus diesem Grund wäre es optimal, auch gegen Viren geschützt zu sein, die noch nicht den Menschen als Wirt nutzen können.
Eine Lösung dieses Problems wäre die Verfügbarkeit eines universellen Influenza-Impfstoffs, der gegen alle Subtypen schützt. Eine Möglichkeit, eine solche Vakzine zu entwickeln besteht darin, alle möglichen Antigene der Influenzaviren in den Impfstoff zu integrieren. Das wären neben 18 Hämagglutinin-Varianten der Influenza-A-Viren auch noch zwei Varianten der Influenza-B-Viren. Dies ist jedoch mit der herkömmlichen Technologie, die im Wesentlichen auf der Anzucht der Viren in Hühnereiern beruht, kaum möglich. Eine Alternative bietet die mRNA-Technologie.
Diesen Weg sind Dr. Claudia P. Arevalo und Kollegen von der Perelman School of Medicine an der University of Pennsylvania gegangen. Sie entwickelten einen nukleosidmodifizierten mRNA-Lipid-Nanopartikel-Impfstoff exakt nach dem Vorbild der zugelassenen mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19, der mRNA-Moleküle enthält, die für die Hämagglutinin-Antigene aller 20 bekannten Subtypen der Influenza-A- und -B-Viren codieren. Erste Ergebnisse aus Tierversuchen haben die Forschenden jetzt im Fachjournal »Science« publiziert.
Bei Mäusen und Frettchen zeigte der Impfstoff eine gute Wirksamkeit. Die durch den Impfstoff induzierte Antikörperbildung schützte die Tiere vor einer tödlichen Infektion. Bei Mäusen wurden Antikörperreaktionen gegen alle 20 Grippevirus-Subtypen nachgewiesen. Die Titer zeigten auch nach vier Monaten ein im Wesentlichen gleich hohes Niveau, sodass die Autoren spekulieren, dass der Impfschutz über eine gesamte Impfsaison stabil bleiben könnte. Waren die Mäuse vor der Impfung bereits mit einem Influenza-Virus infiziert, störte der durch die Infektion induzierte Antikörpertiter die Ausbildung einer breiten Immunität nicht.
Allerdings würde auch dieses Konzept keine lebenslange Immunität garantieren. Ähnlich wie in der jetzigen Situation auch müssten die Impfstoffe jährlich an die Driftmutationen der Influenza-Viren angepasst werden.
Die Forschenden impften den Tieren eine Dosis von 50 µg mRNA. Das bedeutet, dass von jeder mRNA 2,5 µg enthalten waren. Diese geringe Menge reichte offensichtlich aus, um genügend Antigen für eine schützende Immunantwort zu produzieren. Das ist ein positives Ergebnis, da sich bekanntlich wegen der ausgeprägten Reaktogenität von RNA die mRNA-Dosis nicht beliebig steigern lässt.
Auch die bekannten Hersteller von mRNA-Impfstoffen arbeiten an Kandidaten gegen Grippe. Mit BNT161 haben Biontech und Pfizer einen mRNA-Impfstoff zum Schutz vor Influenza in der Entwicklung. Dieser tetravalente Impfstoff enthält modifizierte mRNAs, die für die Hämagglutinine der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen Influenza-Viren kodieren. BNT161 wird derzeit in einer Phase-III-Studie als Einzeldosis bei gesunden Erwachsenen ab 18 Jahren getestet. Dabei dient ein zugelassener vierwertiger Grippeimpfstoff als Kontrolle.
Das US-Unternehmen Moderna hat gleich mehrere Influenza-Impfstoffkandidaten in der Pipeline. So testet es die tetravalente Vakzine mRNA1010 bereits in einer Phase-III-Studie. In die im Juni 2022 gestartete Untersuchung, in der die Sicherheit und Nichtunterlegenheit von mRNA10101 gegenüber einem herkömmlichen Grippeimpfstoff getestet wird, sollen 6000 Probanden eingeschlossen werden, teilte das Unternehmen mit. mRNA1010 sei einer von fünf mRNA-Impfstoffkandidaten der Firma gegen Influenzaviren. Die anderen Kandidaten (mRNA1011 und mRNA1012) enthielten entweder zusätzliche Hämagglutinin-Antigene für einen breiteren Immunschutz oder zusätzliche Neuraminidase-Antigene (mRNA1020 und mRNA1030). Zudem arbeite das Unternehmen auch an zwei Kombinationsimpfstoffen, die außer gegen Grippeviren auch gegen SARS-CoV-2 beziehungsweise gegen SARS-CoV-2 und das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) schützen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.