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Ursodesoxycholsäure

Mit einem Gallenstein-Mittel gegen das Coronavirus

Die Gallensäure Ursodesoxycholsäure wird seit vielen Jahren zum Beispiel zum Auflösen von Gallensteinen genutzt. Nun bringen Forschende sie als Mittel gegen SARS-CoV-2 ins Spiel.
Sven Siebenand
08.12.2022  12:00 Uhr

Im Fachjournal»Nature« publizierte ein Team um Teresa Brevini vom Wellcome-MRC Cambridge Stem Cell Institute in Großbritannien Daten, die nahelegen, dass Ursodesoxycholsäure eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 beeinflussen kann. Knapp zusammengefasst bewirkt das Gallenstein-Medikament, dass die Anzahl der ACE-2-Rezeptoren auf der Oberfläche der Wirtszelle sinkt, wodurch dem Erreger weniger Eintrittspforten zur Verfügung stehen.

Der exakte Wirkmechanismus ist etwas komplexer. Offenbar ist der nukleäre Farnesoid-X-Rezeptor (FXR) ein direkter Regulator für die Bildung des ACE-2-Rezeptors und Ursodesoxycholsäure in der Lage, die FXR-Signalkaskade deutlich abzuschwächen. Denn durch Aktivierung des Rezeptors regulieren Gallensäuren ihren eigenen Metabolismus. Die Synthese nimmt ab. Ohne Gallensäure keine FXR-Signalkaskade und ohne diese keine ACE-2-Rezeptoren.

Wie einer Presseinformation des Berlin Institute of Health (BIH) an der Charité, das ebenfalls an den Arbeiten beteiligt war, zu entnehmen ist, gaben die Forschenden Ursodesoxycholsäure zu verschiedenen Organoiden aus Leber, Lunge und Darm. Tatsächlich verringerte sich daraufhin die Konzentration der ACE-2-Rezeptoren. Dann infizierten sie Organoide mit SARS-CoV-2. Mit Ursodesoxycholsäure vorbehandelte Organoide wurden dabei seltener infiziert als nicht vorbehandelte.

Auch Mäuse und Hamster, denen man das Medikament verabreichte, wiesen deutlich weniger ACE-2-Rezeptoren in ihren Nasen-, Lungen-, Leber- und Darmepithelzellen auf. Der Wirkstoff schützte Hamster vor einer Infektion mit dem Virus: Von sechs unbehandelten Hamstern steckten sich alle bei einem weiteren, infizierten Tier an. Von neun mit der Gallensäure vorbehandelten Tieren steckten sich nur drei an und diese erkrankten auch weniger schwer.

Erste Untersuchungen bei Menschen erfolgreich

Im nächsten Schritt wurden menschliche Lungen, die außerhalb des Körpers durchblutet und beatmet wurden, untersucht. Ein Lungenflügel wurde mit einer behandlungsüblichen Konzentration des Wirkstoffs durchblutet, der andere nicht. Der zu Beginn des Experiments noch gleiche ACE-2-Spiegel in den beiden Lungenhälften veränderte sich daraufhin. Im behandelten Teil fiel er stark ab. Als die beiden Lungenflügel anschließend mit SARS-CoV-2 infiziert wurden, zeigte sich, dass die Vorbehandlung mit Ursodesoxycholsäure die Infektion tatsächlich deutlich behinderte.

In einem anschließenden Test erhielten acht Freiwillige das Medikament in der üblichen Dosierung für sechs Tage. »Danach haben wir in ihrem Nasenabstrich festgestellt, dass sich die Konzentration des ACE-2-Rezeptors auf ihren Nasenepithelzellen deutlich reduziert hatte. Auch im Serum von Patienten mit angeborenen Lebererkrankungen, die das Medikament schon längere Zeit eingenommen hatten, zeigten sich niedrigere ACE-2-Konzentrationen als bei Patienten, die das Medikament nicht einnahmen«, informiert einer der Seniorautoren, Professor Dr. Ludovic Vallier vom BIH.

»Wir glauben, dass wir eine Möglichkeit gefunden haben, Covid-19 sowohl vorbeugen als auch in ersten Stadien der Infektion behandeln zu können.« Man wisse, dass man zunächst aber noch klinische Studien durchführen muss, um diesen Ansatz zu überprüfen.

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