Pharmazeutische Zeitung online
Impfstoffe

Mit Adjuvanzien das Immunsystem auf Trab bringen

Um eine umfassende Immunantwort auszulösen, werden Totimpfstoffen verschiedene Adjuvanzien zugesetzt. Wie genau das funktioniert und welche Stoffe wo eingesetzt werden, erklärte Pharmazieprofessor Dr. Thomas Winckler im ersten Webinar der neuen DPhG@Home-Reihe.
Daniela Hüttemann
16.10.2020  18:00 Uhr

Eigentlich sind Adjuvanzien ein alter Hut, denn Aluminiumsalze werden für diesen Zweck bereits seit fast hundert Jahren eingesetzt. Und doch weiß man immer noch nicht hundertprozentig, wie Adjuvanzien wirken, erklärte Winckler, Professor für Pharmazeutische Biologie an der Universität Jena, diese Woche beim ersten Webinar des neuen Fortbildungsformats DPhG@Home der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) in Kooperation mit Pharma4u. Klar hingegen sei, dass der Zusatz solcher Hilfsstoffe funktioniere und bei fast allen Totimpfstoffen auch nötig sei.

Wieso? Die Immunantwort verläuft bei einer natürlichen Infektion oder auch einer Impfung mit lebenden, abgeschwächten Viren anders als bei Totimpfstoffen. »Bei Totimpfstoffen sind die Antigene schwieriger für das Immunsystem zu erkennen«, erklärt Winckler. Sie lösen zwar auch ohne Adjuvanzien meist eine humorale Immunantwort, also eine Antikörperbildung aus. »Diese reicht aber für einen umfassenden Impfschutz in der Regel nicht aus«, so der Referent. Die Bildung der verschiedenen Abwehrzellen, die es für eine robuste Immunantwort braucht, funktioniere ohne Adjuvanzien ebenfalls sehr schlecht. 

Hier helfen Adjuvanzien aus, indem sie das angeborene Immunsystem aktivieren, und zwar je nach Adjuvans auf verschiedene Weise. So ist eine Vermutung, dass antigenpräsentierende Zellen Aluminiumadsorbate phagozytieren, die entstandenen Endolysosomen in der Zelle aber ruptieren und dadurch das NLRP3-Inflammasom aktiviert wird. Das wiederum stimuliert bevorzugt TH2-Zellen, während kaum TH1-Zellen reifen.

Moderne Adjuvanzien schaffen dagegen beides, zum Beispiel mikrofluide (MF) Adjuvanssysteme wie MF59. Dabei handelt es sich um eine Öl-in-Wasser-Emulsion aus Squalen, Sorbitan-Trioleat und Polysorbat 80 in Citratpuffer, die Öltröpfchen im Nanometerbereich bilden. Diese aktivieren zwar nicht das NLRP3-Inflammasom, provozieren aber trotzdem eine Zytokin-Antwort, die wiederum eine Reifung von TH1- und TH2-Zellen gleichermaßen triggert. Enthalten ist MF59 im Grippeimpfstoff Fluad®, der für Senioren gedacht ist.

Ähnlich aufgebaut ist das mikrofluide Adjuvanssystem AS03, ebenfalls eine Öl-in-Wasser-Emulsion, die aus Squalen, Polysorbat 80 und DL-α-Tocopherol, also Vitamin E, besteht. Sie erzeugt ebenfalls eine Zytokin-Freisetzung an der Einstichstelle, allerdings unterscheide sie sich in ihrer Art deutlich von der durch MF59 ausgelösten, erklärte Winckler. Die Antikörperproduktion sei stärker als bei anderen O/W-Formulierungen. AS03 ist beziehungsweise war im H1N1-Pandemieimpfstoff Pandemrix® enthalten.

Von der Natur abgeschaut

Ganz anders zusammengesetzt sind AS01 und AS02. Sie bestehen beide aus MPL und QS-21, unterscheiden sich aber in ihrer Formulierung. MPL ist eine chemisch modifizierte, abgeschwächte Version eines Lipopolysaccharids (LPS) eines Salmonella-Bakteriums. LPS zeigt eine starke Reaktogenität und stimuliert über den Toll-like-Rezeptor 4 eine Zytokin-Freisetzung, ist aber zu toxisch für eine Anwendung als Adjuvans. MPL hat einen ähnlichen Effekt wie LPS, ist aber verträglicher. QS-21 bezeichnet eine Saponin-Fraktion aus der Pflanze Quillaja saponaria, dem Seifenrindenbaum aus Südamerika, die ebenfalls eine starke Immunreaktion auslöst. »MPL und QS-21 wirken dabei synergistisch und aktivieren ein anderes Zytokinmuster als AS03«, so Winckler.

Bei AS01 handelt es sich um eine Cholesterol-basierte liposomale Formulierung von MPL und QS-21. »Sie ist besser verträglich und zugleich wirksamer als AS02, eine O/W-Formulierung«, so der Experte. AS01 wird im Herpes-Zoster-Impfstoff Shingrix® sowie der Malaria-Vakzine Mosquirix® eingesetzt.

Eine Kombination aus Aluminiumsalzen und MPL stellt AS04 dar. Es bewirkt eine starke Freisetzung von Interferon-γ und eine TH1-lastige Immunreaktion. »Dabei wirkt es stärker als reine Aluminium-Adsorbate«, ordnet Winckler ein. Enthalten ist AS04 im HPV-Impfstoff Cervarix® sowie dem rekombinanten Hepatitis-B-Impfstoff Fendrix®.

Adjuvanzien für Corona-Impfstoffe

Alle vorgestellten Adjuvanzien bis auf die klassischen Aluminiumsalze wurden von der britischen Pharmafirma Glaxo-Smith-Kline (GSK) entwickelt, die zu den größten Impfstoffherstellern weltweit zählt und als führend im Bereich der Adjuvanzien gilt. Das Unternehmen hatte sich zu Beginn der Coronavirus-Pandemie entschieden, keinen eigenen Covid-19-Impfstoff zu entwickeln, sondern Kooperationen mit anderen Firmen wie Sanofi einzugehen, um seine Adjuvanz-Systeme beizusteuern, darunter wohl auch AS03.

Aber brauchen wirklich alle Corona-Totimpfstoffe ein Adjuvans? Jein, könnte man sagen. Die neuen mRNA-basierten Stoffe sind gewissermaßen Antigen und Adjuvans in einem, erklärte Winckler. Sie wirken selbst als Adjuvans, da virale mRNA die Toll-like-Rezeptoren 7 und 8 aktiviert. Je nachdem, wie die mRNA modifiziert wurde, werden dabei eher CD4+ oder CD8+ Zellen induziert. Die Mainzer Firma BioNTech habe hier bereits vor Ausbruch der Corona-Pandemie viel Grundlagenforschung betrieben.

In BioNTechs und Pfizers Impfstoffkandidaten BNT162b2, der nun in der Phase III groß getestet wird und für den in der EUbereits das Zulassungsverfahren begonnen hat, sei modifizierte RNA enthalten, die statt normalem Uridin Pseudo-Uridin als Base enthält. »Das schwächt den normalerweise sehr starken TLR-7/8-Effekt ab und führt dazu, dass die Zellen relativ lang Antigene produzieren«, erklärte Winckler. »Wir lernen coronabedingt im Moment sehr viel über die Impfstoffentwicklung an sich. Davon werden wir in Zukunft auch bei Impfstoffen gegen andere Viren profitieren«, hofft der pharmazeutische Biologe. 

Vorteile von Adjuvanzien

Zum Schluss betonte Winckler noch einmal die Vorteile von Adjuvanzien. Es sei gut belegt, dass die Impfantwort bei besonderen Bevölkerungsgruppen wie älteren Menschen und immunsupprimierten Personen verbessern. Durch die Nutzung von Adjuvanzien könne die Menge an Impfantigen pro Impfdosis verringert werden. Das verbessert nicht nur die Verträglichkeit und reduziert die Produktionskosten, sondern ermöglicht so auch die Impfung von mehr Menschen bei gleicher Produktionsmenge.

»Adjuvanzien verringern auch nicht die Sicherheit von Impfstoffen«, betonte Winckler. Die Höchstmenge an Aluminium pro Impfdosis sei durch das Europäische Arzneibuch begrenzt, die meisten Hersteller lägen sogar weit unter der erlaubten Höchstmenge. Studien hätten gezeigt, dass der Aluminium-Spiegel im Blut nach Impfungen nicht beeinflusst wurde. Die verimpften Aluminium-Mengen seien vernachlässigbar, auch im Vergleich zur Menge, die wir über die Umwelt oder Nahrungsmittel aufnehmen, und eine toxische Akkumulation nicht zu befürchten.

Beim Grippepandemie-Impfstoff Pandemrix war damals das Adjuvans AS03 unter Verdacht geraten, Auslöser für die beobachteten, sehr seltenen Nebenwirkungen wie Narkolepsie zu sein. Das ließ sich wissenschaftlich nicht bestätigen. Winckler äußerte sich optimistisch, dass wir demnächst gut funktionierende, sichere Impfstoffe gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 und die Covid-19-Erkrankung haben werden. Allerdings plädierte er dafür, die Zulassungen nicht zu überstürzen und wie sonst auch üblich erst genügend Daten zu sammeln und die Phase-III-Studien abzuschließen. »Bis Ende nächsten Jahres sollten wir besser die AHA-Regeln mit ihren Zusätzen ausnutzen.«

Mehr von Avoxa