Pharmazeutische Zeitung online
Arzneiformen für Kinder

Minitabletten sind »der letzte Schrei«

Klein, aber oho! Sogenannte Minitabletten sind Professor Dr. Jörg Breitkreutz zufolge auf dem Vormarsch bei den kindgerechten Darreichungsformen. Was dahinter steckt, erklärte der pharmazeutische Technologe von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf beim Fortbildungskongress Pharmacon in Schladming.
Carolin Lang
17.01.2023  15:00 Uhr

Der »Godfather der Minitablette«, Jobst Mielck, habe Minitabletten definiert als Tabletten, die kleiner sind als vier Millimeter, berichtete Breitkreutz. Vorteilhaft sei: Die kleindimensionierten Tabletten könnten technologisch modifiziert werden. »Wir können viele Veränderungen, zum Beispiel der Freisetzung, des Geschmacks oder der Magensaftresistenz, vornehmen. Zudem können können wir Minitabletten, ähnlich wie Pellets, coaten oder befilmen und damit ihre Eigenschaften verändern«, führte Breitkreutz aus. Die Darreichungsform könne sowohl multipartikulär als auch – sofern der Wirkstoff niedrig dosiert werden kann – monolithisch, also als einzelne Tablette, verabreicht werden.

Damit ein Arzneimittel aber bei Kindern effektiv wirken kann, darf es nicht etwa verschmäht oder ausgehustet werden. Wie schlägt sich die Minitablette hier? Laut Breitkreutz habe sich gezeigt, dass die Formulierung bei Kindern unterschiedlicher Altersgruppen eine hohe Akzeptanz besitzt, die sogar süßen, flüssigen Zubereitungen – also dem Sirup als »vermeintlichem Goldstandard« – überlegen sein könne. »Wir haben mittlerweile fast 40 Studien zur Akzeptanz von solchen kleindimensionierten Darreichungsformen bei Kindern durchgeführt«, so der Technologe.

So sei etwa 2013 in einer offenen Studie am Universitätsklinikum Düsseldorf bei 306 Kindern im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren die Akzeptanz von befilmten beziehungsweise unbefilmten Minitabletten mit der eines Sirups verglichen worden. Als Akzeptanz war definiert, dass die Kinder die Minitabletten vollständig schluckten oder zerkauten beziehungsweise den Sirup vollständig schluckten oder nur wenig davon aus dem Mund floss. »Die Minitabletten waren dem Sirup [in allen Altersklassen] überlegen«, fasste Breitkreutz die im »Journal of Pediatrics« publizierten Ergebnisse zusammen (DOI: 10.1016/j.jpeds.2013.07.014) und kommentierte: »Das war wirklich bahnbrechend.«

Eine weitere, 2015 im selben Journal publizierte Untersuchung habe gezeigt, dass auch Neugeborene Minitabletten sehr gut akzeptieren, sofern sie nicht auf die Zunge, sondern in die Wange gelegt werden (DOI: 10.1016/j.jpeds.2015.07.010)

Minitabletten auf dem deutschen Markt 

»Aufgrund dieser Arbeiten haben sich in den letzten Jahren tatsächlich schon neue Produkte herausgebildet und sind verfügbar«, sagte Breitkreutz. Einige Minitabletten-Präparate, die in Deutschland auf dem Markt sind, stellte der Technologe kurz vor. So zum Beispiel Orfiril® long von Desitin, das Natriumvalproat-haltige retardierte Minitabletten zur Epilepsietherapie in Sachets enthält. »Hier ist durch einen Methylcellulose-Film die Freisetzung des Wirkstoffs verlängert«, erläuterte er.

Ein Beispiel für ein Minitabletten-Präparat zur monolithischen Einnahme ist Slenyto® von Infectopharm, das retardierte Matrix-Minitabletten im Blister enthält. Slenyto steht für »sleep the night through«, enthält Melatonin und ist indiziert bei Insomnie bei Autismus oder Smith-Magenis-Syndrom, wenn Schlafhygienemaßnahmen unzureichend waren.

»Man könnte sagen, dass Minitabletten bei Kinderarzneimitteln gerade der letzte Schrei sind«, resümierte Breitkreutz. »Im Bereich der pharmazeutischen Industrie werden viele flüssige Zubereitungen in der Zukunft durch Minitabletten oder andere kleindimensionierte feste Arzneiformen abgelöst werden«, prognostizierte er in einem Kurzinterview mit der PZ im Anschluss an seinen Vortrag:

Mehr von Avoxa