Mehr Beratung, weniger Opioide |
In der Studie erhielt eine Gruppe der Patienten mit Rückenschmerzen zusätzliche Informationen zur Ursache bei gleichzeitigem Verweis auf die Prävalenz bei gleichaltrigen Menschen ohne Rückenbeschwerden. Das half, den Schmerz auch ohne Opioide besser zu ertragen. / Foto: Getty Images/RossHelen
Ob Röntgen, MRT oder CT: Bei der Bewältigung chronischer, nicht auf schwere Grunderkrankungen oder Verletzungen zurückzuführende Rückenschmerzen kann es ausschlaggebend sein, dass der behandelnde Arzt dem Patienten die Befunde nach der bildgebenden Diagnostik eingehend erklärt. Denn: Informierte Patienten benötigten weniger Opioide.
Das hat eine aktuelle, randomisierte US-amerikanische Auswertung der Untersuchungsergebnisse von 250.401 Rückenschmerz-Patienten aus 98 Einrichtungen der medizinischen Primärversorgung (insgesamt 3.278 Ärzte) mit degenerativen Veränderungen und altersbedingten Wirbelsäulenanomalien gezeigt. Bei den Patienten wurden zwischen 2013 und 2016 bildgebende Diagnosemaßnahmen wie eine Röntgenaufnahme, ein MRT oder ein CT zur Einschätzung der Beschwerden durchgeführt wurden. Die Datenanalyse erfolgte 2018/2019.
Dabei wurden 238.886 Teilnehmer (44,2 Prozent älter als 60 Jahre, 57,5 Prozent Frauen) in zwei Gruppen unterteilt: Die Patienten der Kontrollgruppe (n = 117.455; 49,2 Prozent) erhielten »herkömmliche« radiologische Befundberichte ohne weitere Erläuterungen, die Patienten der Interventionsgruppe (n = 121.431; 50,8 Prozent) hingegen Befundberichte mit zusätzlichen Hinweisen zur Ursache und Pathogenese bei gleichzeitigem Verweis auf die Prävalenz bei gleichaltrigen Menschen ohne Rückenbeschwerden.
Um festzustellen, ob sich die die Zahl und Art der Arztbesuche und Therapiemaßnahmen zwischen beiden Gruppen unterschied, wurden zum einen über 365 Tage primär die Daten zur Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung als RVUs (»Spine-related Relative Value Units«) erhoben, zum anderen sekundär die Verschreibungen Opioid-haltiger Schmerzmittel in der Primärversorgung analysiert.
Im Ergebnis sei in der Interventionsgruppe insgesamt kein Rückgang der Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung zu verzeichnen gewesen, berichtet die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Ein statistisch signifikanter Unterschied sei allerdings bei Begutachtung des sekundären Endpunkts, der Notwendigkeit der weiteren Verschreibung von Schmerzmitteln, registriert worden: Bei Patienten der Interventionsgruppe wurden weniger Opioide verordnet als in der Kontrollgruppe.
Bei Betrachtung der Patienten, die vor der bildgebenden Untersuchung keine Opioide benötigten, sei der Gruppenunterschied noch deutlicher gewesen: Im Zeitraum der Studie von 12 Monaten hätten nur 25 Prozent der Patienten, denen die Befunde erklärt wurden, Opioid-Verordnungen benötigt. In der Kontrollgruppe seien es 75 Prozent – also dreimal so viele – gewesen.
»Schmerztherapeutisch ist das gut nachvollziehbar«, so Professor Dr. Hans-Christoph Diener in einer aktuellen Meldung der DGN. »Patienten, die wissen, dass spezifische alterstypische Abnutzungserscheinungen allgemein häufig und per se ungefährlich sind, sind entspannter und weniger verunsichert.« Sie hätten weniger Angst, was sich wiederum positiv auf das Schmerzempfinden und die Psyche auswirke. »Daher ist die Patientenedukation selbst bereits eine wesentliche Säule der multimodalen Therapie bei Patienten mit chronischen Schmerzen«, betonte er.
Gerade angesichts der sogenannten Opioid-Epidemie in den USA und der Tatsache, dass auch in Europa zunehmend und schon jetzt zu häufig Opioide verschrieben werden, sollten Ärzte die Studienerkenntnisse nutzen, um in ihrem Praxisalltag entsprechend gegenzusteuern.
Allein anhand des Befundberichts gegebene »relativierende« Hinweise und Erläuterungen zur Pathogenese der Schmerzen hätten eine therapeutische Wirkung und könnten den Bedarf an Schmerzmitteln jedweder Art senken. Einmal mehr sei die große Bedeutung der »sprechenden Medizin« in der Schmerztherapie bestätigt worden.