Mehr Anerkennung, mehr Befugnisse für Apotheken |
Daniela Hüttemann |
21.09.2020 16:00 Uhr |
In Neuseeland und den USA impfen Apotheker seit Beginn der Corona-Pandemie gegen Influenza, zum Teil auch auf Parkplätzen. Covid-19-Impfungen sollen demnächst folgen. / Foto: Getty Images/Capuski
Mehr Telemedizin, E-Rezepte und Botendienste, Herstellung von Desinfektionsmitteln, mehr Anfragen bei Bagatellerkrankungen, erweiterte Abgabemöglichkeiten und demnächst vielleicht auf Coronavirus-Tests und -Impfungen: Die Coronavirus-Pandemie hat den Apotheken weltweit jede Menge Arbeit und Veränderungen beschert – vielleicht mit einigen dauerhaft positiven Effekten, hoffen Pharmazeuten weltweit. Einen Austausch zu den Erfahrungen in diesem Jahr gab es vergangenen Woche beim virtuellen Kongress des Weltapothekerverbands FIP.
»Die Gesellschaft braucht Apotheken mehr denn je«, kommentierte Professor Dr. Carlos Treceño Lobato von der Miguel de Cervantes European University. »Wir haben gesehen, welch große Rolle sie für die öffentliche Gesundheit spielen.« Im wochenlangen strengen Lockdown in Spanien war nur der Gang zur Apotheke, zum Arzt und zum Supermarkt erlaubt. In Neuseeland und den USA hatten sogar viele Arztpraxen coronabedingt geschlossen, sodass die Menschen noch stärker auf die Apotheken ihrer Umgebung angewiesen waren, berichteten Dr. Graeme Smith, Apothekeninhaber und ehemaliger Präsident des neuseeländischen Apothekerverbands, sowie Dr. Scott Knoer, Apotheker und Geschäftsführer der American Pharmacists Association (APhA).
Am Anfang sei es wie überall chaotisch gewesen: Zu wenig Schutzkleidung, Masken und Desinfektionsmittel. Aber Leitfäden für die Apotheken wurden früh etabliert. »Wir haben sofort eine Zwei-Meter-Abstandsregel und kontaktlose Bezahlung eingeführt«, berichtete Smith aus Neuseeland. In den Offizinen wurden Leitsysteme für den Patientenansturm eingerichtet, die Belegschaft in feste Schichten eingeteilt. Die öffentlichen Apotheke weiteten ihre Online-Bestellsysteme mit Pick-up-Möglichkeiten aus und berieten auch vermehrt über Telefon und Video. »Glücklicherweise hatten wir schon die Möglichkeiten, E-Rezepte einzulösen, und verzeichneten hier einen starken Anstieg«, so der Neuseeländer. Die Maßnahmen waren erfolgreich: »Nicht eine einzige Apotheke hat sich das Virus eingefangen.«
Unterstützt wurden die Apotheken von der neuseeländischen Regierung. Das Gesundheitsministerium verstärkte seine Apotheken-Abteilung, Formalien wurden gelockert, Betriebsprüfungen ausgesetzt. Die Apotheker durften bestimmte Medikamente ohne ärztliche Verordnung für einen Monat dispensieren. Zudem gab es im Schnitt 15.000 Dollar finanzielle Unterstützung für alle Apotheken, plus Ausgleichszahlungen für Offizinen, denen nach dem ersten Ansturm im März der Umsatz um mehr als 30 Prozent wegbrach.
Nicht zu vergessen sei der rege Dank der Bevölkerung: »Wir haben viel Anerkennung und Geschenke bekommen«, freute sich Smith. Umgekehrt hätte der Botendienst, darunter auch reaktivierte Apotheker im Ruhestand, den Patienten bei Bedarf schon mal dringend benötigte Lebensmittel mitgebracht. »Egal was noch kommt – am wichtigsten ist doch, dass wir auf unsere Patienten und Mitarbeiter acht geben und nett zueinander sind«, meinte Smith.
Da der Beginn der Coronavirus-Pandemie mit dem neuseeländischem Herbst und damit dem Beginn der Grippesaison zusammenfiel, gab es auch eine staatliche Förderung für Influenza-Impfprogramme in den Apotheken, die ausgeweitet wurden. Apothekern wurde erlaubt, auch außerhalb ihrer Beratungsräume zu impfen, zum Beispiel im Drive-Through-Stil auf Parkplätzen. Die Nachbeobachtungszeit aufgrund möglicher Impfreaktionen wurde von 20 auf 5 Minuten verkürzt. »Wir haben bis dato 80 Prozent weniger Influenzafälle als im Vorjahr«, gab Smith an und führte dies sowohl auf die Coronavirus-Maßnahmen als auch die verstärkten Impfbemühungen in den Apotheken zurück. »Wir sind nun auch bereit, gegen Covid-19 zu impfen.«
Für den Zugang zur Covid-19-Impfung in den USA werden die Apotheker sogar eine Schlüsselrolle spielen, ist sich APhA-Geschäftsführer Knoer sicher. Es gebe bereits eine Verfügung auf Bundesebene, die Apothekern das Impfen aller Personen ab drei Jahren ermöglichen soll. Bislang dürfen Apotheker zwar in jedem Bundesstaat gegen Grippe und andere Erkrankungen impfen, aber nur zum Teil auch Kinder. »Aufgrund vieler geschlossener Arztpraxen und des Lockdowns haben sich viele Standardimpfungen verzögert – beim Aufholen können die Apotheker helfen«, meint Knoer. Gegenwind gebe es von den Kinderärzten, aber dies sei nicht die Zeit für Grabenkämpfe. Eine wichtige Aufgabe der Apotheker sieht er auch in der sachlichen Aufklärung über das Impfen.
Viele Bundessstaaten und die Bundesbehörden der USA hätten auch schon erlaubt, dass Apotheken in das Testen einbezogen werden, von der Probensammlung über die Durchführung bei sogenannten Point-of-Care-Tests bis hin zur Information und Beratung der Patienten. Demnächst könnten Apotheken in Massen-Testungen einbezogen werden.
Auch in den USA seien telemedizinische und -pharmazeutische Leistungen ausgeweitet worden, die zum Teil vorher nicht von den Versicherungen bezahlt worden seien. Dabei konnten die Patienten ihr E-Rezept zur Apotheke ihrer Wahl leiten lassen. Zudem gebe es nun mehr Möglichkeiten, pharmazeutische Dienstleistungen wie Medikationsmanagement auch online oder über das Telefon anzubieten. »Das wird nach der Pandemie auch so bleiben, denn die Patienten haben sich schnell daran gewöhnt«, schätzt Knoer.
Nichts bewege eine Regierung schneller als eine Krise. »Unsere Patienten brauchen dringend unsere pharmazeutischen Services. Wir haben jetzt die Chance, die Apotheken vor Ort zu stärken und sollten dabei selbstbewusst auftreten«, so Knoer. Ähnlich wie die Feuerwehr bei einem Brand seien die Apotheker mitten im Geschehen gewesen und haben ihren Nutzen gezeigt. Sein Verband setze sich nun vehement dafür ein, dass die Erleichterungen und Kompetenzerweiterungen bleiben.
Auch in Spanien werde diskutiert, die Aufgaben der Apotheken in der Coronavirus-Krise noch weiter auszubauen, sei es durch das Anbieten von Coronavirus-Tests und Covid-19-Impfungen oder vermehrte Dispensierrechte und verstärkte Pharmakovigilanz-Programme, berichtete Pharmazieprofessor Lobato.
Selbst in der Vorhersage einer Pandemie könnten sie in Zukunft eine Rolle spielen: In einer spanischen Studie sei nachgewiesen worden, dass der Absatz von OTC-Präparaten etwa sieben bis 15 Tage vor offiziellem Ausbruch einer Grippe-Epidemie deutlich ansteigt. »So lassen sich vermutlich auch neue Covid-Wellen erkennen«, glaubt Lobato. Man müsse Wissen und Knowhow der Apotheken nur besser nutzen.
Denn auch wissenschaftlich könnten die Offizinapotheken einen Beitrag leisten. Zum Beispiel laufe in Spanien derzeit eine Studie, die untersuche, wie häufig Patienten unter regulärer Hydroxychloroquin-Einnahme an Covid-19 erkranken. Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass sich die Einnahme des Rheuma- und Malariamedikaments nicht auf die Anzahl positiver Coronavirus-Tests oder Krankenhauseinweisungen auswirke. Damit bestätige diese Studie aus der Apothekenpraxis andere klinische Ergebnisse, wonach Hydroxychloroquin keinen präventiven Effekt vor einer Coronavirus-Infektion habe, so Lobato.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.