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Lipödem

Mehr als dicke Beine

Breite Hüften, »Reiterhosen« und stämmige Beine, aber eine vergleichsweise schlanke Taille – das sind typische Zeichen für ein Lipödem. Etwa jede zehnte Frau leidet unter der Fettverteilungsstörung. Erst seit einigen Jahren beschäftigt sich die Wissenschaft eingehender mit dieser Erkrankung und ihrer Behandlung.
Clara Wildenrath
26.03.2023  08:00 Uhr

»Du bist einfach nur zu dick« oder »Treib mehr Sport, dann geht das schon weg!« Solche und ähnliche Ratschläge müssen sich Lipödem-Patientinnen oft anhören. Charakteristisch für das Lipödem sind ausladende Hüften und stämmige Beine, aber ein im Vergleich dazu schlanker Oberkörper.

Anders als es die Bezeichnung vermuten lässt, ist ein Lipödem keine Flüssigkeitsansammlung im Gewebe. Vielmehr handelt es sich um eine krankhafte disproportionale Vermehrung des Unterhautfettgewebes. Dabei bilden sich knotenartige Strukturen, die wie starke Cellulite aussehen. Im Unterschied zur sogenannten Orangenhaut ist das Gewebe sehr druckempfindlich und schmerzhaft. Schon bei einem leichten Stoß können sich ausgeprägte Hämatome bilden.

Anfangs betrifft die Fettverteilungsstörung vor allem die Oberschenkel: Es entstehen die typischen »Reiterhosen«. Später nehmen bei vielen Frauen auch die Unterschenkel an Umfang zu. Dadurch wirken die Beine oft wie Säulen. Bei etwa einem Drittel sind auch die Arme betroffen. Hände und Füße bleiben aber fast immer ausgespart.

Das Lipödem tritt praktisch ausschließlich bei Frauen auf. Bei Männern finden sich vereinzelt Beschreibungen eines ähnlichen Erkrankungsbilds bei schweren Hormonstörungen wie dem Hypogonadismus, bei Leberzirrhose oder nach Hormonbehandlungen. Zur Prävalenz liegen kaum verlässliche Daten aus großen Studien vor. In der Literatur wird die Häufigkeit meist auf 10 Prozent der weiblichen Bevölkerung beziffert. Je nach untersuchtem Kollektiv und den angesetzten Diagnosekriterien ergaben sich in manchen Studien deutlich geringere Zahlen.

Lipödem, Lymphödem oder Übergewicht?

Im Jahr 1940 haben die beiden US-amerikanischen Mediziner Edgar Van Nuys Allen und Edgar Alphonso Hines das Lipödem erstmals beschrieben. Gelegentlich bezeichnen es Mediziner deshalb auch als Allen-Hines-Syndrom. Lange Zeit fand die krankhafte Fettverteilungsstörung wenig Beachtung. Bis zur korrekten Diagnosestellung dauerte es oft Jahrzehnte – wenn überhaupt einer der konsultierten Ärzte an ein Lipödem dachte. Erst 2017 erhielt die Krankheit einen eigenen Diagnoseschlüssel im ICD-10-Code.

Spezifische laborchemische oder apparative Befunde für das Lipödem gibt es nicht. Die Diagnose erfolgt in der Regel in einer fachärztlichen Praxis für Lymphologie, Phlebologie oder Angiologie und basiert vor allem auf dem klinischen Erscheinungsbild. Allerdings ist die Abgrenzung zur Adipositas oft schwierig, weil mindestens die Hälfte der Patientinnen zusätzlich übergewichtig ist.

Wichtige Leitsymptome sind der Druckschmerz und die Hämatomneigung. Beide fehlen bei reiner Fettleibigkeit. Eine ähnlich disproportional auftretende Zunahme des Unterhautfettgewebes an den Hüften und Oberschenkeln wie beim Lipödem findet sich bei der Lipohypertrophie. Aber auch diese Fettvermehrungsstörung ist nicht schmerzhaft. Beim Lymphödem hingegen handelt es sich nicht um eine Ansammlung von Fettgewebe, sondern von Lymphflüssigkeit in den Zellzwischenräumen (Kasten). Im Gegensatz zum Lipödem tritt es meist nicht symmetrisch an beiden Körperhälften auf und der Fuß oder die Hand auf der betroffenen Seite zeigt ebenfalls Schwellungen.

Beide Erkrankungen können jedoch parallel bestehen. Im Lauf der Zeit entwickeln Frauen mit Lipödem gelegentlich – insbesondere wenn sie stark übergewichtig sind – zusätzlich ein sekundäres Lymphödem (Lipo-Lymphödem). Anders als beim isolierten Lipödem ist im Ultraschall dann freie Flüssigkeit im Gewebe sichtbar. Darüber hinaus kann das sogenannte Stemmer-Zeichen bei der Differenzialdiagnose helfen: Lässt sich die Haut am Zeh oder am Finger aufgrund des verhärteten Gewebes nicht mehr abheben, spricht das für ein (zusätzliches) Lymphödem.

Der BMI (Body-Mass-Index: Körpergewicht geteilt durch Quadrat der Körpergröße), der in der Medizin als Kriterium für Übergewicht und Adipositas dient, ist bei Frauen mit Lipödem nur eingeschränkt aussagekräftig: Aufgrund des lokal vermehrten Fettgewebes führt er zu einer Überschätzung des Übergewichts. Umgekehrt verhält es sich beim Taille-Hüft-Verhältnis (WHR, waist to hip ratio), das Fettleibigkeit bei einem sehr großen Hüftumfang tendenziell unterbewertet. Unabhängig vom Lipödem erlaubt der Quotient aus Taillenumfang und Körpergröße (WHtR, waist to height ratio) eine Abschätzung des körpermittenbetonten Übergewichts. Zur Verlaufskontrolle des Lipödems kann außerdem die Messung des proximalen Oberschenkelumfangs hilfreich sein.

Leitlinie in Überarbeitung

Durch das in den letzten Jahren enorm gestiegene mediale Interesse komme es heute nicht mehr oft vor, dass ein Lipödem übersehen wird, sagt Dr. Gabriele Faerber vom Hamburger Zentrum für Gefäßmedizin im Gespräch mit der PZ: »Die Zeit bis zur Diagnose hat sich deutlich verkürzt, die Dunkelziffer ist gesunken.« Auch in der Wissenschaft erlebe das Lipödem einen Boom: Etwa 50 Prozent aller Publikationen zum Thema stammen aus den letzten fünf bis zehn Jahren.

Auch deshalb benötigt die zuletzt 2015 aktualisierte S1-Leitlinie »Lipödem« dringend ein Update, für das Faerber als Koordinatorin der Leitlinienkommission berufen wurde. Die Fertigstellung ist für Oktober 2023 geplant. Derzeit läuft die redaktionelle Überarbeitung. Die formale Konsensfindung der Expertengruppe, die für die höhere Entwicklungsstufe S2k notwendig ist, erfolgt voraussichtlich im Sommer.

»In manchen Aspekten hat sich die Sichtweise erheblich gewandelt«, betont die Phlebologin. Ändern soll sich etwa die Lehrmeinung, dass das Lipödem eine chronisch-progrediente Erkrankung sei. In internationalen Publikationen wird das Lipödem anhand des Erscheinungsbilds in drei Schweregrade eingeteilt: vom Stadium I mit glatter Hautoberfläche bis hin zu großknotigen Veränderungen mit deformierenden Fettdepots in Stadium III. Zum einen orientiere sich diese Klassifikation rein an morphologischen Kriterien, die nicht zwangsläufig mit der Schmerzhaftigkeit korrelieren, kritisiert die Expertin. »Außerdem ist die Progression von einem Stadium in das nächste kein Naturgesetz.« Das Fortschreiten der Erkrankung hänge vielmehr von verschiedenen Faktoren ab – vor allem vom Gewichtsverlauf: Adipositas verschlimmert das Lipödem.

Interaktion mit Insulin und Estrogenen

Nach wie vor wisse man über die pathophysiologischen Zusammenhänge nicht viel, auch wenn in den letzten Jahren einige hochkarätige Studien zu einzelnen Teilaspekten veröffentlicht wurden, wie Faerber betont. Klar ist, dass das Lipödem im engeren Sinn keine Ödemerkrankung mit freier Flüssigkeit im Gewebe darstellt. Die Umfangsvermehrung ist vielmehr eine Folge der Hyperplasie (Zunahme der Zellzahl) und Hypertrophie (Zunahme des Zellvolumens) der Fettzellen. Bei bis zu 60 Prozent der Patientinnen findet sich eine familiäre Häufung des Lipödems, was ein autosomal-dominantes Vererbungsmuster vermuten lässt.

Vieles spricht dafür, dass entzündliche Prozesse in der Pathogenese eine wesentliche Rolle spielen. Mehrere Arbeitsgruppen wiesen im Lipödem-Gewebe eine erhöhte Konzentration von Makrophagen und proinflammatorischen Zytokinen nach. »Auch Adipositas und chronische Inflammation gehen Hand in Hand«, erklärt die Gefäß- und Ernährungsmedizinerin. Nicht geklärt sei bisher, ob die Entzündungsvorgänge ursächlich für das Lipödem oder eine Folge anderer körperlicher Veränderungen sind.

Fettleibigkeit verstärkt nachweislich nicht nur die Symptomatik des Lipödems. Durch starke Gewichtszunahme könne aus einer jahrelang bestehenden asymptomatischen Lipohypertrophie ein schmerzhaftes Lipödem entstehen.

In beiden Fällen lässt sich die Entwicklung durch Gewichtsreduktion wieder umkehren. Eine Schlüsselfunktion nimmt dabei vermutlich das Insulin ein. Adipositas fördert die Insulinresistenz und die Ausschüttung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse. Beides trägt dazu bei, das Fettgewebe weiter zu vermehren und chronische Entzündungsprozesse am Laufen zu halten.

Schon lange bekannt ist, dass das Lipödem bevorzugt in hormonellen Umstellungsphasen auftritt oder sich verschlechtert: nach der Pubertät, nach einer Schwangerschaft, im Klimakterium oder nach der Menopause. »Eine große Rolle scheint dabei Estradiol zu spielen«, erklärt Faerber. Denn diese Lebensabschnitte sind gekennzeichnet durch anovulatorische Zyklen, also eine geringere Produktion von Progesteron im Gelbkörper. Dadurch kommt es zu einer relativen Estrogendominanz. Estradiol fördert bekanntlich die typisch weibliche Fetteinlagerung an Hüften, Po und Oberschenkeln – die beim Lipödem ins Extreme verstärkt wird.

Hier kommt wieder Insulin ins Spiel. Insulin aktiviert das Enzym Aromatase, das im subkutanen Fettgewebe die Umwandlung von Testosteron in Estradiol katalysiert. Übergewicht verschärft also die Estrogendominanz. In der Menopause, wenn die Eierstöcke die Hormonproduktion eingestellt haben, sind die Fettdepots der Hauptbildungsort für Estradiol.

Hoher Stellenwert der Ernährung

In der aktualisierten Leitlinie werde dem Thema Gewichtsmanagement und Ernährung deutlich mehr Raum als bisher gegeben, sagt die Koordinatorin. »Bei gleichzeitiger Adipositas lautet die Empfehlung auf jeden Fall abzunehmen.« Darüber hinaus könne die richtige Ernährung nicht nur das Gewicht, sondern auch die Symptomatik reduzieren. Als besonders geeignet hebt sie die mediterrane und die ketogene Ernährung hervor.

Gut untersucht sind die gesundheitsfördernden Effekte der Mittelmeerdiät, die vor allem viel frisches Gemüse, Fisch und ungesättigte Fettsäuren, aber wenig Fleisch beinhaltet. Sie wirkt nachweislich antientzündlich und verbessert den Lipidspiegel, den Glucosestoffwechsel und die Insulinresistenz.

Noch mehr profitieren Lipödem-Patientinnen – egal ob übergewichtig oder nicht – nach Faerbers Erfahrungen von einer ketogenen Ernährung, die entzündungshemmende, schmerzstillende und gewichtsreduzierende Effekte haben kann. Diese Ernährungsform zeichnet sich durch eine starke Einschränkung der Kohlenhydrate und einen vergleichsweise hohen Eiweißanteil aus. Bei einer sehr niedrigen Kohlenhydratzufuhr nutzt der Organismus seine Fettreserven zur Energiebereitstellung: Triglyzeride aus den Fettzellen werden in kurzkettige Fettsäuren, sogenannte Ketonkörper, umgewandelt. Dieser als Ketose bezeichnete Stoffwechselweg reduziert Entzündungsmarker im Blut, vermeidet Glucose- und Insulinspitzen und verbessert die Ausscheidung von Wasser und Natrium.

Einzelne kleinere Studien weisen darauf hin, dass eine ketogene proteinoptimierte Diät beim Lipödem das Unterhautfettgewebe, den Beinumfang und die Beschwerden deutlich reduzieren kann. »Auch Intervallfasten scheint nicht nur das Gewicht und die Insulinsensitivität günstig zu beeinflussen, sondern auch antiinflammatorische Effekte zu haben«, erklärt die Stoffwechselspezialistin.

Eine bariatrische Operation, also eine Magenverkleinerung, führe bei adipösen Frauen zwar ebenfalls zur Gewichtsabnahme, ändere aber in der Regel nichts an den Beschwerden – es sei denn, die Patientin stellt ihre Ernährung entsprechend um.

Unterstützt wird das Abnehmen durch körperliche Bewegung. Empfehlenswert sind besonders Sportarten im Wasser, zum Beispiel Aqua-Jogging, Aqua-Cycling und natürlich Schwimmen. Durch den Auftrieb werden die Gelenke entlastet; zusätzlich wirkt sich der Wasserdruck offenbar positiv auf die Beschwerden aus.

Kompression und Lymphdrainage

Eine weitere wichtige Säule der Therapie ist – neben Ernährung und Lebensstil – die Kompression. Sie mindert Schmerzen und das Druckgefühl in den Gliedmaßen. Die meisten Patientinnen benötigen maßangefertigte Flachstrickstrümpfe und/oder -ärmel, die sie den ganzen Tag tragen müssen. Ergänzend kann der Arzt bei Bedarf apparative intermittierende Kompression verordnen. Die wissenschaftliche Evidenz dafür ist jedoch gering.

Wie beim Lymphödem komme auch beim Lipödem die manuelle Lymphdrainage zum Einsatz, erklärt Faerber. »Sie dient hier aber nicht in erster Linie der Entstauung, weil das Lymphsystem bei einem reinen Lipödem sehr gut funktioniert. Experimentelle Untersuchungen belegen, dass die schmerzlindernde Wirkung unter anderem über eine Stimulation des Parasympathikus vermittelt wird.«

Die Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE), zu der Lymphdrainage, Kompressions- und Bewegungstherapie gehören, galt bisher als Standard. »Das ändert sich in der neuen Leitlinie«, sagt die wissenschaftliche Beirätin der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie. Stattdessen sollen beim Lipödem die drei Einzelkomponenten je nach Situation eingesetzt werden. »Kompression und Bewegung stehen dabei im Vordergrund.« Reicht die ambulante Behandlung nicht aus, kann der Arzt auch einen stationären Reha-Aufenthalt verordnen.

Psychosoziale Betreuung

Zum empfohlenen Gesamttherapiekonzept zählt darüber hinaus eine psychosoziale Betreuung. Nicht nur wegen der chronischen Schmerzen empfinden die meisten Betroffenen das Lipödem als psychisch sehr belastend. Viele kämpfen mit einem negativen Selbstbild und Minderwertigkeitskomplexen, weil sie – trotz aller Bemühungen – dem gängigen Schönheitsideal nicht entsprechen. Ein großer Prozentsatz leidet an Essstörungen wie Binge-Eating (wiederkehrende exzessive Essanfälle) oder Bulimie (Ess-Brech-Sucht). Auch depressive Störungen sind häufig. Über Ursache und Wirkung sind sich Experten allerdings nicht einig.

Eine Pilotstudie mit 150 Teilnehmerinnen in einer lymphologischen Fachklinik kam zu dem Ergebnis, dass bei 80 Prozent schon vor Beginn des Lipödems eine manifeste psychische Störung vorlag. »Das kann ich nicht nachvollziehen«, meint dagegen die Leitlinienkoordinatorin. Ihrer Erfahrung zufolge entsteht die psychische Belastung häufiger als Reaktion auf die Erkrankung, die wiederum die Symptome verstärken kann. Mitbeteiligt ist möglicherweise das bei chronischem Stress freigesetzte Cortisol, das den Blutzucker- und damit den Insulinspiegel erhöht.

Hautpflege beachten

Die Haut wird beim Lipödem stark beansprucht: Durch das feuchtwarme Klima unter der Kompressionsbekleidung quillt die oberste Hautschicht auf; die ständige Reibung kann sie mechanisch schädigen und die Barrierefunktion beeinträchtigen. Das trocknet die Haut aus. In Hautfalten durch überhängende Fettdepots siedeln sich leicht Pilze oder andere Keime an und an den Oberschenkelinnenseiten bilden sich oft Scheuerstellen.

Ein zusätzliches Lymphödem verschärft die Problematik. Weil die lokale Immunabwehr beeinträchtigt ist, besteht schon bei kleinsten Hautverletzungen die Gefahr einer Wundinfektion.

Bei der vorbeugenden Hautpflege kann das Apothekenteam beratend unterstützen. So bieten sich zur Hautreinigung pH-neutrale Syndets an, die den Säureschutzmantel nicht angreifen. Pflegeprodukte sollten parfümfrei und rückfettend sein. Bewährt hat sich beispielsweise der Zusatz von Urea (Harnstoff). Wichtig ist, dass die Creme komplett eingezogen ist, bevor die Frau die Kompressionsbekleidung anzieht, denn ein eventuell verbleibender Fettfilm könnte das Material schädigen. Lotionen mit einem hohen Ölanteil eignen sich daher besser für die abendliche Anwendung.

Für kleine Hautverletzungen sollte die Patientin immer eine desinfizierende Salbe oder Tinktur zur Hand haben.

Diuretika wirken kontraproduktiv

»Medikamente spielen in der Lipödem-Therapie keine Rolle«, betont die Leitlinienkoordinatorin. Auch für eine medikamentöse Schmerztherapie gebe es keine Evidenz. Vielmehr sollten Ärzte und Apotheker darauf achten, dass die Patientinnen möglichst keine Arzneimittel erhalten, die mit Gewichtszunahme und Ödembildung assoziiert sind, beispielsweise einige Antidepressiva, Antipsychotika, Glucocorticoide oder Antidiabetika. Auch hormonelle Verhütungsmethoden oder eine menopausale Hormontherapie verstärken die Beschwerden oft.

Insbesondere warnt Faerber vor dem Einsatz von Diuretika. »Durch eine Gegenreaktion nach dem Absetzen verstärken sie das Lipödem.« Leider sei ein Abusus von Entwässerungsmitteln relativ weit verbreitet. Dann müsse die Dosis langsam reduziert werden.

Liposuktion

Nicht bei allen Betroffenen reichen konservative Maßnahmen aus, um die Beschwerden zufriedenstellend zu lindern. Bleibt die Lebensqualität trotz Ernährungsumstellung, Bewegungsprogramm und KPE erheblich eingeschränkt, besteht die Möglichkeit, das krankhaft vermehrte Fettgewebe operativ zu entfernen.

Eine solche Liposuktion erfolgt in Tumeszenz-Lokalanästhesie. Dabei injiziert der Operateur ein verdünntes Lokalanästhetikum in großer Menge unter die Haut. Dadurch schwillt das Gewebe an (es »tumesziert«) und kann mithilfe von Vibration oder eines Wasserstrahls lymphgefäßschonend abgesaugt werden. Eine Vollnarkose ist nicht zwingend notwendig, erfolgt aber bei ausgedehnten Operationen manchmal zusätzlich. Studien belegen, dass die Liposuktion die Schmerzsymptomatik, die Hämatomneigung, den Beinumfang und den Therapiebedarf signifikant verringert – meist über viele Jahre. Manchmal sind mehrere Eingriffe notwendig, unter Umständen im Anschluss auch eine Hautstraffung.

Jedoch übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für eine Liposuktion derzeit nur unter bestimmten Voraussetzungen. Dazu gehören eine Erkrankung im Stadium 3, eine mindestens sechsmonatige konservative Vorbehandlung und ein BMI unter 35. Bei einem BMI zwischen 35 und 40 muss die Patientin nachweisen, dass sie eine Ernährungstherapie gemacht hat. Diese Kriterien legte 2019 der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) fest. Sie gelten im Rahmen einer Übergangsregelung bis Ende 2024. Bis dahin sollen die Ergebnisse einer vom G-BA initiierten Erprobungsstudie zur Liposuktion vorliegen.

Die Entscheidung, den Eingriff erst im dritten Stadium zu finanzieren, kann Faerber nicht nachvollziehen. »Je früher man operiert, desto besser sind die Ergebnisse und desto größer ist der Gewinn an Lebensqualität für die Frauen.« Schon jetzt sei absehbar, dass die Liposuktion der Lymphdrainage eindeutig überlegen sei – in jedem Stadium. Sie stellt aber auch klar: »Die OP ist kein Allheilmittel.« Ihrer Erfahrung zufolge können viele Patientinnen die Beschwerden durch eine konsequente Umstellung ihrer Ernährungsgewohnheiten und ihres Lebensstils so weit reduzieren, dass eine Liposuktion nicht mehr erforderlich ist.

Ob mit oder ohne OP: Um das Lipödem in den Griff zu bekommen, brauchen die Betroffenen viel Durchhaltevermögen und Motivation – und Ärzte mit Einfühlungsvermögen, die sie unterstützen. Den Patientinnen Mut zu machen, ist der Gefäßspezialistin ein großes Anliegen: »Das Wichtigste ist: nicht verzweifeln, sondern das Leben selbst in die Hand nehmen!«

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