Medikationsanalysen im Apothekenalltag |
Für erfolgreiche Medikationsanalysen in öffentlichen Apotheken scheint neben Organisation und Motivation vor allem Teamwork entscheidend zu sein. / Foto: Getty Images/RealPeopleGroup
Seit September 2012 bietet die Apothekerkammer Westfalen-Lippe mit »Apo-AMTS« ein Schulungsprogramm zur Durchführung von Medikationsanalysen in Apotheken an. »Trotz dessen ist die Zahl der Apotheken, die diese Dienstleistung tatsächlich anbieten, erschreckend gering«, berichtet Waltering. »Um herauszufinden, wovon es abhängt, ob die Umsetzung im Apothekenalltag gelingt oder nicht, initiierten wir also eine Studie.« Dabei identifizierte die Arbeitsgruppe 33 Faktoren, die für eine erfolgreiche Durchführung von Medikationsanalysen in der Apotheke entscheidend sind. Apotheken könnten diese künftig berücksichtigen, um entsprechende Maßnahmen zur Etablierung oder Optimierung dieser Dienstleistung zu treffen.
Die Studie startete im März 2017 und lief über zwei Jahre. Alle teilnehmenden Apotheken lagen im Bereich der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, waren AMTS-qualifizierte Apotheken und erhielten über ein Pilotprojekt mit der AOK-Nordwest 80 Euro für jede dokumentierte Medikationsanalyse (3A-Projekt). Um Faktoren zu identifizieren, die bei gleichen Voraussetzungen über eine erfolgreiche Implementierung in den Apotheken entscheiden, verglich die Arbeitsgruppe Apotheken, die in einem definierten Zeitraum von vier Monaten die meisten Medikationsanalysen durchgeführt hatten (Positive-Devianz-Gruppe) mit Apotheken, die währenddessen keine Medikationsanalysen durchgeführt hatten (Kontrollgruppe). Jeweils elf Apotheken pro Gruppe wurden in die Studie einbezogen.
Zur Datengewinnung führte das Team insgesamt 44 Gespräche mit AMTS-Managern und -Managerinnen, PTA oder Apotheken- beziehungsweise Filialleitung der beteiligten Apotheken und wertete die Antworten anschließend systematisch aus. Die Ergebnisse erschienen kürzlich im »International Journal of Clinical Pharmacy«.
Die Einbindung des gesamten Teams ist demnach einer der wichtigsten organisatorischen Faktoren für eine erfolgreiche Implementierung von Medikationsanalysen in den Arbeitsalltag einer öffentlichen Apotheke. Das Apothekenteam sollte die Rolle eines jeden Mitarbeiters gemeinsam festlegen. »Es ist extrem wichtig, dass alle im Team die Medikationsanalyse als sinnvolle Dienstleistung ansehen. Neben den AMTS-Managerinnen und -Managern können auch PKA und PTA wertvolle Aufgaben übernehmen und sollten aktiv eingebunden werden«, betont Schwalbe. PKA könnten sich beispielsweise am Marketing beteiligen, die Medikationsanalyse vorbereiten, Rechnungen schreiben oder die Terminvergabe verwalten.
»PTA nehmen eine Schlüsselrolle bei der Medikationsanalyse ein«, sagt Dr. Oliver Schwalbe. / Foto: Wissenschaftliches Institut der Apothekerkammer Westfalen-Lippe für Versorgungsforschung in der Apotheke
»PTA wiederum nehmen eine Schlüsselrolle bei der Identifizierung und der Ansprache von Patienten ein. Sie haben extrem viel Patientenkontakt und können dafür sorgen, dass die Medikationsanalyse von den Kunden angenommen wird«, führt er weiter aus. »PTA sollten später unbedingt ein Feedback für ihren akquirierten Patienten bekommen und erfahren, was die Analyse ergeben hat«, ergänzt Waltering.
Daneben sei die kontinuierliche Schulung aller Teammitglieder in den verschiedenen Aspekten der Medikationsanalyse von großer Bedeutung. Die Vorteile der Medikationsanalyse, die Identifizierung und Akquirierung von Patienten sowie die Durchführung der Medikationsanalyse an sich sollten regelmäßig thematisiert werden. Zudem sei es sinnvoll, interessante Ergebnisse einer Analyse gemeinsam im Team zu besprechen, so Waltering. »Für den Anfang können sich einzelne Apotheker bei der Medikationsanalyse auf verschiedene Krankheiten oder Arzneimittelklassen spezialisieren. So gewinnen sie mehr Sicherheit«, führt sie weiter aus.
Apothekenkunden mit Polymedikation sowie solche, die mit ihrer Medikation überfordert sind oder unter Nebenwirkungen leiden, eignen sich besonders für Medikationsanalysen. »In der Apotheken-Datenbank beispielsweise nach Patienten mit Polymedikation zu suchen, ist aus Datenschutzgründen allerdings nicht erlaubt«, erklärt Waltering. »Um also Patienten zu identifizieren, muss ich während der Beratung aktiv nachfragen. Stelle ich ein Problem fest, kann ich den Kunden im Apothekensystem entsprechend markieren, das Problem in Ruhe überprüfen und den Kunden beim nächsten Apothekenbesuch darauf ansprechen.« Für den Anfang sei es hilfreich, den Fokus hier auf Stammkunden und Altenheimbewohner zu legen.
»Für die Zukunft ist es ganz entscheidend, das Bild des Apothekers als Arzneimittelspezialist zu stärken«, sagt Professor Dr. Georg Hempel. / Foto: Dorothee Rietz
»Langfristig ist auch eine gute Kommunikation mit den verschreibenden Ärzten sehr wichtig«, betont Hempel. »Die Verantwortung dafür sehe ich bei der Apothekenleitung.« Die Kontaktaufnahme solle dabei nicht erst dann erfolgen, wenn ein arzneimittelbezogenes Problem auftritt, ergänzt Schwalbe. »Sinnvoller ist es, umliegende Ärzte vorab über die Dienstleistung zu informieren, sie persönlich kennenzulernen und Vertrauen aufzubauen.«
Bereich | Organisatorischer Erfolgsfaktor |
---|---|
Team | Einbeziehung des gesamten Apothekenteams |
Einbeziehung von PTA, insbesondere bei der Akquirierung von Patienten | |
Feedback für PTA zum akquirierten Patienten | |
Sichtbare Dokumentation der Ergebnisse für das gesamte Team | |
Training und Weiterbildung | Regelmäßige Schulungen für alle Teammitglieder in folgenden Bereichen:• Verfahren• Patientenidentifizierung und -kommunikation• Nutzen von Medikationsanalysen |
Möglichkeit zur Fortbildung in der Pharmakotherapie | |
Anerkennung von Fortbildungszeit als Arbeitszeit | |
Personalstruktur | Umstrukturierung der Arbeitsabläufe innerhalb der Apotheke und Zuweisung von Aufgaben entsprechend den Kompetenzen |
Bürozeit für Medikationsanalysen | |
Medikationsanalysen während der Arbeitszeit | |
Sicherstellung der Durchführung von Medikationsanalysen ohne Unterbrechung | |
Professionalisierung der Dienstleistung | Verwendung von standardisiertem, in der Software enthaltenem Material zur Durchführung von Medikationsanalysen |
Ausstattung der Apotheke mit zusätzlichen Datenbanken und Literatur | |
Erstellung einer Vorlage zur Erfassung der Ergebnisse für Patienten und verordnende Ärzte | |
Entwicklung eines Standards für die Terminvergabe | |
Akquirierung von Patienten | Definition von Patientenkriterien für die Akquirierung |
Kennzeichnung der in Frage kommenden Patienten in der Apothekensoftware | |
Medikationsanalysen für Stammkunden und/oder Pflegeheimbewohner | |
Zusammenarbeit mit Ärzten | Persönliche Benachrichtigung der Ärzte vor Einführung der Medikationsanalyse |
Definieren von Kompetenzen und Festlegen von Kommunikationswegen | |
Persönliche Besprechung der ersten Medikationsanalyse mit dem verschreibenden Arzt | |
Regelmäßige Treffen mit den umliegenden Ärzten | |
Werbung | Nutzung sozialer Medien zur Bewerbung der Dienstleistung |
Verwendung von Werbematerial mit Markenzeichen | |
Anpassung der Werbung auf verschiedene Zielgruppen |
Neben einer guten Organisation ist die erfolgreiche Umsetzung von Medikationsanalysen offenbar auch in hohem Maße von der Einstellung der Beteiligten abhängig. »Die Grundlage von allem ist Motivation und die Bereitschaft, dafür Verantwortung zu übernehmen«, postuliert Waltering.
Dabei sei einerseits die Motivation und die positive Einstellung der Angestellten von Bedeutung. »Wenn ein großer Teil des Apothekenteams nicht dahintersteht, dann ist das Projekt zum Scheitern verurteilt. Dann kann ich diese Dienstleistung nicht anbieten«, so Waltering. Andererseits sprechen die Autoren auch der Apothekenleitung eine extrem wichtige Rolle zu. »Die Apothekenleitung muss überzeugt von der Dienstleistung sein, die Personaleinteilung im Blick haben und für geeignete Strukturen sorgen«, sagt Schwalbe. Dies umfasse beispielsweise, die Durchführung der Medikationsanalyse ungestört während der Arbeitszeit zu ermöglichen. Diese Maßnahme habe in der Studie zu einer vermehrten Tendenz geführt, den Dienst anzubieten.
Der Studie zufolge ist es von Vorteil, wenn die Beteiligten:
und der Apothekeninhaber oder Filialleiter
»Medikationsanalysen müssen so normal werden wie Blutdruckmessungen. Da müssen wir hinkommen«, sagt Dr. Isabel Waltering. / Foto: R. Wilken
»Das wirklich Tolle an dieser Dienstleistung ist, dass sie eine unheimliche Ausstrahlung in die tägliche Routine hat«, fasst Waltering zusammen. Das pharmazeutische Personal werde aufmerksamer, frage intensiver beim Patienten nach und demonstriere mehr heilberufliche Kompetenz. »Das steigert nicht nur die Attraktivität des Arbeitsplatzes, sondern auch die Zufriedenheit der Kunden, was wiederum zu mehr Stammkunden und einer besseren Kundenbindung führt.«
»Für die Zukunft ist es ganz entscheidend, das Bild des Apothekers als Arzneimittelspezialist zu stärken«, ergänzt Hempel abschließend.