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Chronische Herzinsuffizienz

Medikamentöse Therapie im Umbruch

In der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz hat sich viel bewegt. Die Patienten erhalten zeitnah nach Diagnosestellung eine Kombination von Vertretern von vier Wirkstoffklassen, zu denen immer auch ein SGLT2-Inhibitor (»Gliflozin«) gehört. Die umfassende Therapie kann die Prognose nachweislich verbessern.
Dietmar Trenk
22.01.2023  08:00 Uhr

Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (European Society of Cardio­logy, ESC) hat 2021 die Leitlinien zur Behandlung der akuten und der chro­nischen Herzinsuffizienz (heart failure, HF) überarbeitet (DOI: 10.1093/eurheartj/ehab368) (1). Es gab wesentliche Änderungen in der Therapie der chronischen Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejek­tionsfraktion (HFrEF) im Vergleich zur Vorgängerversion aus dem Jahr 2016. Die Pharmakotherapie wird nicht mehr stufenweise eskaliert, sondern umfasst von Anfang an vier Wirkstoffklassen, zu denen immer ein SGLT2-Inhibitor (Gliflozin) gehört. Dies verbessert nachweislich die Prognose!

Abzugrenzen ist die Therapie von Herzinsuffizienz-Patienten mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF) oder mit mäßiggradig reduzierter Ejektionsfraktion (HFmrEF). Da klinische Studien mit den SGLT2-Inhibitoren Empagliflozin und Dapagliflozin zur Verbesserung der Prognose dieser Patienten erst nach der Erstellung der aktuellen ESC-Leit­linie vorgestellt wurden, sind die Wirkstoffe zur Behandlung dieser Entitäten formal noch nicht in der Leitlinie berücksichtigt. Zwischenzeitlich wurde die Zulassung jedoch erteilt (Empagliflozin) oder wird zeitnah erwartet (­Dapagliflozin).

Epidemiologie und Pathophysiologie

Im Jahr 2017 waren in Deutschland etwa 2,5 Millionen Einwohner (3,4 Prozent) an einer Herzinsuffizienz erkrankt. Die Prävalenz zeigt einen steilen Anstieg jenseits der sechsten Lebensdekade (2). Aufgrund der demografischen Entwicklung muss mit einer weiteren Zunahme gerechnet werden.

Eine Herzinsuffizienz betrifft ein Fünftel der älteren Bevölkerung über 75 Jahre und hat eine hohe Morbidität und Mortalität. Die Fünf-Jahres-Überlebensrate liegt bei etwa 50 Prozent und ist vergleichbar mit der von häufigen Krebserkrankungen (Abbildung 1). Herzinsuffizienz ist die häufigste Dia­gnose, die zu einer Krankenhauseinweisung führt. Die durchschnittliche Liegedauer im Krankenhaus beträgt zehn Tage (3).

Es existiert bisher kein allgemeingültiges pathophysiologisches Modell der chronischen Herzinsuffizienz. Allerdings sind einige pathophysiologische Mechanismen bekannt, die zur komplexen Entstehung des Syndroms »chronische Herzinsuffizienz« beitragen.

Die chronische Herzinsuffizienz ist Folge einer myokardialen Schädigung. Diese kann auf krankhaften Veränderungen des Myokards, zum Beispiel infolge einer ischämischen Herzerkrankung, toxischen oder infiltrativen Gewebeveränderungen oder Stoffwechselstörungen wie Diabetes beruhen. Veränderte Lastbedingungen als Folge einer Hypertonie, von strukturellen Veränderungen der Herzklappen oder einer ­Volumenüberlastung sowie Herzrhythmusstörungen (Tachy- und Bradyar­rhythmie) können ebenfalls die Entstehung einer Herzinsuffizienz triggern.

Die daraus resultierende Verminderung der linksventrikulären Funktion aktiviert Gegenregulationsmechanismen wie das sympatho-adrenerge System, das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) und die Freisetzung von natriuretischen Peptiden. Diese Mechanismen verbessern zwar kurzfristig die Förderleistung des Herzens, führen aber langfristig in einem Circulus vitiosus zu einer weiteren myo­kardialen Zellschädigung und einer ­Manifestation der Herzinsuffizienz. Die Pharmakotherapie mit ACE-Hemmern und Betablockern war von daher immer darauf ausgerichtet, in diese Gegenregulationsmechanismen einzugreifen.

Diagnostik und klinische Einteilung

Die ESC hat in der aktuellen Leilinienversion den Algorithmus für die Dia­gnose einer Herzinsuffizienz modifiziert (1).

Patienten, bei denen der Verdacht auf Herzinsuffizienz besteht, erhalten nach Anamneseerhebung und körper­licher Untersuchung eine Basisunter­suchung, bestehend aus einem Zwölf-­Kanal-EKG, einem Routinelabor und einer Röntgenaufnahme des Brustkorbs. Die weiterführenden Untersuchungen zum Ausschluss oder zur ­Bestätigung der HF umfassen die Laborbestimmung von NT-pro-BNP (Brain Natriuretic Peptide) und eine Ultraschalluntersuchung (Echokardiografie) zur Beurteilung der systolischen und diastolischen Herzfunktion sowie relevanter Störungen der Herzklappenfunktion und der Myokardstruktur. Mithilfe der Echokardiografie wird die Herzinsuffizienz bestätigt.

Der Phänotyp der Erkrankung (Tabelle 1, Seite 30) wird anhand der Messung des in der Systole ausgeworfenen Anteils des Blutvolumens im linken Ventrikel (linksventrikuläre Ejektionsfraktion, LVEF) festgelegt. Er ist maßgebend für die Festlegung der Pharmakotherapie.

Kriterien Herzinsuffizienz-Typ
HFrEF HFmrEF HFpEF
Klinik Symptome +/- Untersuchungsbefund1 Symptome +/- Untersuchungsbefund1 Symptome +/- Untersuchungsbefund1
LVEF (Prozent) ≤40 41 bis 492 ≥50
Herzanomalien keine keine objektive Hinweise auf strukturelle und/oder funktionelle Herzanomalien, die auf eine diastolische LV-Dysfunktion/erhöhte LV-Füllungsdrücke hindeuten, inklusive erhöhter natriuretischer Peptide3
Tabelle 1: Definition der Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF), mild oder mäßiggradig eingeschränkter Ejek­tionsfraktion (HFmrEF) und erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFpEF); modifiziert nach

Unterschiede in der Pathophysiologie zwischen Herzinsuffizienz mit reduzierter (HFrEF) sowie erhaltener linksventrikulärer Auswurffraktion (HFpEF) sind in der Abbildung 2 (Seite 30) illus­triert.

Die Klassifikation nach NYHA (New York Heart Association) ist nach wie vor das etablierte klinische Klassifikationssystem für Patienten mit Herzinsuffi­zienz (Tabelle 2, Seite 31). Die Zu­ordnung der Stadien orientiert sich ausschließlich an der Leistungsfähigkeit der Patienten. Die Symptome be­inhalten unter anderem Atemnot (­Dyspnoe), häufiges nächtliches Wasserlassen (Nykturie), Zyanose, allge­meine Schwäche und Müdigkeit, An­gina pectoris, kalte Ex­tremitäten und Ödeme.

NYHA-Klasse Symptome
I (asymptomatisch) Herzerkrankung ohne körperliche Einschränkung
Alltägliche Belastung verursacht keine inadäquate Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina pectoris.
II (leicht) Herzerkrankung mit leichter Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit
keine Beschwerden in Ruhe und bei geringer Anstrengung
Stärkere Belastung, zum Beispiel Bergaufgehen oder Treppensteigen, verursacht Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina pectoris.
III (mittelschwer) Herzerkrankung mit höhergradiger Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei gewohnter Tätigkeit
keine Beschwerden in Ruhe
Geringe körperliche Belastung löst Erschöpfung, Rhythmusstörungen, Luftnot oder Angina pectoris aus.
IV (schwer) Herzerkrankung mit Beschwerden bei allen körperlichen Aktivitäten und in Ruhe
Bettlägerigkeit
Tabelle 2: Klassifikation der Herzinsuffizienz gemäß New York Heart Association (NYHA)

Abhängig vom Therapieerfolg und der Progression der Erkrankung ist ein mehrfacher Wechsel zwischen den Stadien möglich. Die Orientierung an der Symptomatik hat zur Folge, dass in die NYHA-Klasse I (asymptomatische HF, Tabelle 2) auch die Patienten eingeordnet werden, die unter medikamentöser Therapie wieder symptomfrei werden. Bei einer asymptomatischen linksventrikulären Dysfunktion besteht eine objektivierbare kardiale Dysfunktion ohne begleitende Symptomatik.

Therapiekonzept und -ziele

Oberstes Ziel bei der Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz ist es, die Prognose der Patienten zu verbessern, das heißt die Sterblichkeit zu verringern. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei, erneute Krankenhausaufnahmen aufgrund einer kardialen Dekompensa­tion, also einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz, zu vermeiden, da jede erforderliche stationäre Behandlung ein Indikator für eine Verschlechterung der Prognose des Patienten ist.

In großen klinischen Studien haben vier Wirkstoffklassen gezeigt, dass sie bei Patienten mit HFrEF die Häufigkeit von Krankenhausaufnahmen aufgrund einer Verschlechterung der HF reduzieren und die Mortalität senken: Inhibi­toren des RAS-Systems, Betablocker, Mineralocorticoid-Rezeptorantagonisten und zuletzt SGLT2-Inhibitoren. Auch Schleifendiuretika sind nach wie vor bei Patienten mit Stauungszeichen und -symptomen (Ödeme) empfohlen, auch wenn sie keinen eigenständigen Einfluss auf die Prognose haben. Aus Sicht des Patienten ist auch relevant, die Symptome zu mildern, die körper­liche Belastbarkeit zu stärken und die Lebensqualität und soziale Teilhabe zu verbessern oder zu erhalten.

Bei der Therapie der Herzinsuffi­zienz müssen begleitende und zugrunde liegende Herzfunktionsstörungen unbedingt mitberücksichtigt werden. So müssen Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit, Hypertonie, Diabetes, Nierenfunktionsstörungen, Erkrankungen der Herzklappen, des Perikards und des Endokards sowie Herzrhythmusstörungen (Tachyarrhythmie, Bradyarrhythmie) adäquat therapiert werden.

Die Pharmakotherapie wird durch den Phänotyp der HF bestimmt, richtet sich also weitgehend nach der linksventrikulären Auswurffraktion (Tabelle 1).

Vierertherapie bei HFrEF

Noch in der Ausgabe der Herzinsuffizienz-Leitlinie 2016 wurde empfohlen, die einzelnen Wirkstoffklassen Schritt für Schritt nacheinander und aufeinander aufbauend einzusetzen. Man startete mit einem ACE-Hemmstoff (ACE: Angiotensin converting enzyme) und ergänzte dann einen Betablocker und einen Mineralocorticoid-Rezeptorant­agonisten (MRA) und ersetzte bei Bedarf den ACE-Inhibitor durch einen An­giotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI). Vor Zugabe der nächsten Wirkstoffgruppe wurde erst die Dosis jedes Therapiebausteins optimiert (austi­triert) (6). Dieses Konzept beruhte letztlich auf der historischen Reihenfolge, in der ein Nutzen der Wirkstoffklassen für Patienten mit HF nachgewiesen wurde. Für SGLT2-Inhibitoren (SGLT: Sodium dependent glucose transporter) lagen im Jahr 2016 noch keine Therapiestudien für HF-Patienten vor.

Die ESC-Leitlinie von 2021 bricht mit diesem Konzept der stufenweisen ­Intensivierung. Die wesentliche Änderung ist ein vereinfachter Therapie­algorithmus für die Gabe von mor­talitätssenkenden Therapien bei Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpfunktion (HFrEF) (1). Die vier Säulen der prognoseverbessernden Basistherapie bilden heute:

  • ACE-Hemmer wie Ramipril, Enalapril, Lisinopril, Captopril, Perindopril und Trandolapril oder ein Angiotensin-Rezeptor/Neprilysin-Inhibitor wie Sacubitril/Valsartan,
  • Betablocker wie Metoprolol, Bisoprolol, Carvedilol und Nebivolol,
  • Mineralocorticoid-Rezeptorantagonisten wie Spironolacton und Eple­renon
  • und als neuester Baustein ein SGLT2-Hemmer wie Dapagliflozin und Empagliflozin.

Bei Unverträglichkeit von ACE-Hemmern werden Angiotensin-1-Rezeptor­antagonisten (ARB, Sartan) wie Candesartan, Losartan und Valsartan eingesetzt.

▶ Das bedeutet konkret: Patienten mit HFrEF im NYHA-Stadium II bis IV sollen diese vier wichtigen Basistherapien nicht zeitraubend in abgestuften Schritten, sondern gleichzeitig innerhalb kurzer Zeit – möglichst in einem Zeitraum von vier Wochen – erhalten, um deren klinische Vorteile so früh wie möglich zur Geltung zu bringen (Abbildung 3). Die Titration auf die Zieldosis sollte erst nach Einleitung aller vier Therapien erfolgen.

Wissenschaftliche Begründung

Was ist der wissenschaftliche Hintergrund für diesen Umbruch im Therapiealgorithmus? Milton Packer und John J. V. McMurray, zwei sehr renommierte Wissenschaftler auf dem Gebiet der Herzinsuffizienz, haben das konventionelle Stufenschema der HFrEF-Therapie aufgrund diverser Limitierungen als überholt und revisions­bedürftig eingestuft (7). Ihre Einschätzung haben sie mit drei Punkten begründet.

Beim traditionellen Therapiekonzept wird unterstellt, dass die zuerst eingeführten Therapien die am besten wirksamen und verträglichen sind. Dass dies wenig rational ist, zeigt das Beispiel Digitalis: Obwohl seit mehr als 200 Jahren therapeutisch genutzt, hat es heute nur noch geringe Bedeutung.

Beim stufenweisen Konzept wurden die jeweiligen Wirkstoffe bis zur Zieldosis auftitriert, bevor der nächste Wirkstoff hinzugefügt wird. Doch bereits mit niedrigen Dosierungen wird eine Reduktion der Morbidität und Mortalität erreicht, wobei die hohen Zieldosen nur einen begrenzten zusätzlichen Nutzen bezüglich Reduktion des kardiovaskulären Tods haben (8).

Es wird angenommen, dass in klinischen Studien die Wirksamkeit und ­Sicherheit neuer Therapien zusätzlich zur etablierten Basistherapie, die in den jeweiligen Zieldosen eingenommen wurde, untersucht wird, was mitnichten der Fall ist. Die meisten Patienten erhalten die Standardtherapie in niedrigerer Dosierung als in den Leitlinien empfohlen. Zudem hatte auch in neueren Studien ein beträchtlicher Anteil der Patienten keine Therapie mit einem MRA oder ARNI.

In der Praxis bedeutet das Konzept der sequenziellen Verordnung, dass in der Einstellungsphase häufige Arztbesuche erforderlich sind und es typischerweise mehr als sechs ­Monate bis zum Erreichen der Maximaltherapie dauert. ­Diese Verzögerung ist für den Patienten nachteilig, da alle prognoseverbessernden HFrEF-Therapien schon innerhalb von 30 Tagen nach Therapiebeginn günstige Effekte auf Morbi­dität und Mortalität gezeigt haben und deshalb in der langen Therapieoptimierungsphase vermeidbare stationäre Krankenhausaufnahmen und auch Todesfällen auftreten können.

Schneller zur optimierten Therapie

Der 2021er-Algorithmus für ein beschleunigtes Therapieschema (1) basiert im Wesentlichen auf folgenden Prinzipien und Prämissen:

  • Das Ausmaß des Therapieeffekts jeder Wirkstoffklasse ist unabhängig von der Wirkung, die Vertreter anderer Wirkstoffklassen haben. So beeinflussen MRA nicht die Wirksamkeit von Sacubitril/Valsartan und diese wiederum verändern nicht die Wirksamkeit von SGLT2-Hemmern.
  • Schon in der niedrigen Startdosierung reduzieren die jetzt als grundlegend (foundational) definierten Arzneistoffklassen (RAS-Hemmstoffe, Betablocker, MRA, SGLT2-Inhibitoren) bei HFrEF die Morbidität und Mortalität. So haben Enalapril, Carvedilol und Eplerenon die Mortalität und Krankenhausaufnahmen in großen klinischen Studien bereits in niedrigen Dosierungen vor der in den Studienprotokollen definierten weiteren Eskalation bis zur Zieldosis günstig beeinflusst (9–11). SGLT2-Inhibitoren werden ohnehin nur in einer Dosierung (10 mg/Tag) verordnet.
  • Der durch Hinzugabe eines weiteren Arzneistoffs einer anderen Wirkstoffklasse erzielte Nutzen ist größer als der durch Auftitrierung einer bestehenden Therapie. Durch Steigerung der Dosis eines ACE-Hemmers oder eines Sartans selbst um den Faktor Drei bis Sieben wird keine vergleichbare Senkung der Mortalität wie durch Zugabe eines Betablockers, ARNI oder SGLT2-Inhibitors erzielt (8).
  • Eine sinnvolle Abfolge der verordneten Therapien kann ­Sicherheit und Verträglichkeit verbessern. So kann das Wirkprinzip der Neprilysin-Inhibition das Risiko einer durch einen ACE-Hemmer oder ein Sartan induzierten Nieren­insuffizienz reduzieren. Ein Neprilysin- oder ein SGLT2-Inhibitor kann das Risiko einer Hyperkaliämie unter MRA deutlich verringern (12).
  • Besonders wichtig: Da der Nutzen der Vierfach-Kombina­tionstherapie aus Betablocker, SGLT2-Hemmer, MRA und ACE-Hemmer/ARNI schon innerhalb von 30 Tagen nach Therapiebeginn einsetzt, sollte der Patient innerhalb von vier Wochen mit der Viererkombination anbehandelt sein. Das bedeutet in der Praxis nur noch drei Behandlungsschritte innerhalb von vier Wochen nach Indikationsstellung und nachdem mittels Diuretika eine Normovolämie erreicht wurde.

Welche Vorteile die neue Vorgehensweise haben kann, wurde in einer Analyse von drei großen Studien mit mehr als 15.000 Patienten gezeigt (13). Die Autoren haben in einer Modellrechnung via indirektem Vergleich den ­Effekt einer medikamentösen Viererkombination aus ARNI, Betablocker, MRA und SGLT2-Inhibitor im Vergleich zu einer konventionellen Therapie (ACE-Hemmer/AT1-Rezeptorblocker plus Betablocker) auf kardiovaskuläre Todesfälle und erstmalige Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz bei Patienten mit HFrEF abgeschätzt. Nach dieser Modellanalyse kann eine optimale Vierertherapie im Vergleich zur konventionellen Therapie mit RAS-Blocker plus Betablocker bei einem 55-jährigen Patienten mit HFrEF das Überleben um 6,3 Jahre verlängern.

Reihenfolge der Therapeutika

Bei der praktischen Umsetzung dieses Konzepts für Patienten mit HRrEF werden vor allem zwei Fragen in Fachkreisen diskutiert:

  • In welcher Reihenfolge und in welchem zeitlichen Abstand werden die vier Wirkstoffklassen angesetzt?
  • Sind ACE-Inhibitoren und Sartane bei HF als Inhibitoren des RAS-Systems »out«?

Die Therapieoptimierung erfolgt in drei Schritten.

Im Schritt 1 beginnt man gleichzeitig mit einem Betablocker und einem SGLT2-Hemmer. Betablocker sind die vermutlich effektivste Wirkstoffklasse bei HFrEF, insbesondere zur Reduktion des plötzlichen Herztods. SGLT2-Hemmer sind stark wirksam in der Reduk­tion von Hospitalisierung und begrenzen aufgrund ihrer diuretischen Wirkung das Risiko einer Verschlechterung der Herzinsuffizienz in der initialen Behandlungsphase mit einem Betablocker. Beide Wirkstoffklassen haben zudem einen geringen Effekt auf den Blutdruck.

Im Schritt 2 kommt ein Inhibitor des RAS-Systems hinzu. Packer und McMurray bevorzugen klar einen ARNI (Sacubitril/Valsartan) innerhalb von ­einer bis zwei Wochen nach Schritt 1. Bei Patienten mit einem niedrigen systolischen Blutdruck (unter 100 mmHg) kann es ratsam sein, zunächst die Verträglichkeit der RAS-Hemmung durch Gabe eines Sartans zu prüfen, bevor man dann zum ARNI wechselt. Unter der Therapie lässt die Neigung zu Hypotensionen nach, wobei gegebenenfalls die Diuretika-Dosierung reduziert werden kann.

Im Schritt 3 wird (wiederum im Abstand von einer bis zwei Wochen) ein MRA ergänzt, nachdem zuvor der Ka­liumspiegel des Patienten kontrolliert wurde und wenn die Nierenfunktion nicht schwer eingeschränkt ist. Günstige Effekte der Neprilysin- und SGLT2-Hemmung auf die Nierenfunktion und die Kalium-Homöostase könnten dazu beitragen, die Verträglichkeit der MRA zu verbessern. Sollte der Patient sehr hypotensiv sein, können die Schritte 2 und 3 im zeitlichen Ablauf getauscht werden. Eventuell kann dann Eplerenon aufgrund der geringeren blutdrucksenkenden Wirkung statt Spironolacton verwendet werden.

Zur Frage nach ACE-Inhibitoren und Sartanen bei HF: Die ESC-Leitlinie von 2021 gibt für ACE-Inhibitoren eine klare Klasse-IA-Empfehlung. Aufgrund der schwächeren Datenlage hinsichtlich prognoserelevanter Studien wird ein Sartan nur empfohlen für symptomatische Patienten, die einen ACE-Inhibitor wegen Nebenwirkungen nicht vertragen (Klasse IB). Die Primärtherapie mit einem ARNI (Sacubitril/Valsartan) anstelle eines ACE-Inhibitors oder Sartans hat in den ESC-Leilinien eine Klasse-IB-Empfehlung erhalten, hat sich in Deutschland bisher aber nicht generell etabliert. Die im Frühjahr 2022 vorgestellten US-Leitli­nien geben eine klare Empfehlung für den ARNI in der Primärtherapie für Patienten mit HFrEF im Stadium NYHA II oder III (14).

Stellenwert weiterer Arzneimitteltherapien

Der Arzneistoff Vericiguat ist ein Stimulator der löslichen Guanylatcyclase und wurde mit einer Klasse-IIb-Empfehlung neu in die Leitlinien als Ergänzung der Basistherapie aufgenommen. In der Zulassungsstudie VICTORIA hat Vericiguat das Risiko für kardiovaskulären Tod und vor allem für herzinsuffizienzbedingte Krankenhausaufnahmen moderat reduziert (15).

Aufgrund der Marktrücknahme von Digitoxin (Digimerck®) ist der Stellenwert von Digitalis-Glykosiden in der Therapie der HF natürlich besonders interessant. In der DIG-Studie haben Digitalis-Glykoside das Risiko für eine Hospitalisierung bei Patienten mit HFrEF gesenkt, aber keinen Effekt auf die Mortalität gezeigt. Daher hat Digoxin, das weltweit gebräuchlicher als Digitoxin ist, weiter nur eine Klasse-IIb-Empfehlung (16). Eine kürzlich publizierte Registerstudie aus Schweden hat den Stellenwert von Digoxin bei Patienten mit HFrEF mit oder ohne Vorhofflimmern als Begleiterkrankung untersucht. Digoxin senkte zwar die Mortalität und Morbidität von Patienten mit HFrEF und Vorhofflimmern; bei Patienten ohne Vorhofflimmern nahmen Mortalität und Morbidität jedoch zu (17).

Auch bei der Einstufung von Ivabradin als Klasse-IIa-Empfehlung für Pa­tienten mit einer LVEF unter 35 Prozent, Sinusrhythmus und einer Ruheherzfrequenz von mehr als 70 Schlägen/Minute gibt es keine Änderung in der aktuellen Leitlinie.

Ein Eisenmangel liegt bei mehr als 60 Prozent der Patienten mit Herzinsuffizienz, koronarer Herzkrankheit (KHK) oder pulmonaler Hypertonie vor. Daher wird mit einer Klasse-IC-Empfehlung geraten, Patienten mit HF regelmäßig auf Eisenmangel zu screenen, und zwar durch ein vollständiges Blutbild, Bestimmung der Ferritin-Konzentration im Serum und der Transferrin-Sättigung. Bei Eisenmangel sollte eine intravenöse Substitution mit Eisen(III)-Carboxymaltose bei symptomatischen Patienten zur Verbesserung der Symptome und zur Senkung des Risikos erneuter Krankenhausaufnahmen erwogen werden.

Medikamentöse Therapie der HFpEF

Patienten mit Herzinsuffizienz und erhaltener linksventrikulärer Auswurffraktion (LVEF größer/gleich 50 Prozent, HFpEF) unterscheiden sich von denen mit HFrEF und HFmrEF dadurch, dass sie älter und häufiger weiblich sind und öfter Vorhofflimmern, chronische Nierenerkrankungen und andere nicht kardiovaskuläre Begleiterkrankungen haben.

Bis zur Veröffentlichung der aktuellen Leitlinie im August 2021 gab es keine Evidenz für spezifische krankheitsmodifizierende Therapien bei HFpEF aus prospektiven Studien. Daher galt die Empfehlung, die Stauungssymptome und klinische Beschwerden mit Diuretika zu lindern sowie die zugrunde liegenden ­Risikofaktoren, die Ätiologie und Komorbiditäten zu identifizieren und zu behandeln. In diesem Kontext wurden viele HFpEF-Patienten bereits mit ACE-Inhibitoren/Sartanen, Betablockern oder MRA trotz fehlendem Nachweis eines prognostischen Nutzens behandelt, da die meisten Patienten andere Indikationen dafür aufweisen, zum Beispiel Hypertonie und/oder KHK.

Die Datenlage für eine spezifische Therapie hat sich in den letzten 18 Monaten gravierend verändert. In der ­EMPEROR-Preserved-Studie erzielte der SGLT2-Inhibitor Empagliflozin bei Pa­tienten mit einer LVEF über 40 Prozent eine signifikante Reduktion des primären Studienendpunkts (Kombination aus kardiovaskulärem Tod oder Herz­insuffizienz-bedingter Hospitalisierung), wobei der Nutzen insbesondere durch eine Reduktion der Krankenhausaufnahmen erreicht wurde (18). Um die Wirkung von Empagliflozin in Abhängigkeit von der LVEF zu ermitteln, wurden die Daten der EMPEROR-Reduced-Studie bei Patienten mit HFrEF (19) und der EMPEROR-Preserved-Daten (18) nachträglich analysiert. Hierbei zeigte sich, dass Empagliflozin bei Patienten mit einer LVEF unter 65 Prozent unabhängig von der Ejektionsfraktion eine signifikante Reduktion der Herzinsuffizienz-bedingten Hospitalisierungen ­erreichte, während bei Patienten mit einer LVEF über 65 Prozent keine Reduktion nachweisbar war (20).

Ähnliche Ergebnisse wurden inzwischen auch für Dapagliflozin in der ­DELIVER-Studie vorgelegt. Auch dieser SGLT2-Inhibitor senkt bei Patienten mit Herzinsuffizienz und linksventrikulärer Ejektionsfraktion über 40 Prozent das Risiko für kardiovaskulären Tod oder ­klinische Verschlechterung der Herz­insuffizienz signifikant um 18 Prozent im Vergleich zu Placebo (21). Der Nutzen ist ebenfalls unabhängig von der Auswurffraktion (22).

Auf der Grundlage dieser Daten ist Empagliflozin für die Behandlung der symptomatischen chronischen Herz­insuffizienz unabhängig von der LVEF zugelassen. Dapagliflozin ist derzeit nur bei reduzierter LVEF (HFrEF) zugelassen; jedoch wird die Erweiterung der Zulassung ähnlich wie für Empagli­flozin zeitnah erwartet.

Aufgrund einer Subgruppen-Ana­lyse der PARAGON-HF-Studie hat die amerikanische Zulassungsbehörde FDA Valsartan/Sacubitril auch für die ­Behandlung von HFpEF-Patienten ­zugelassen. Dies wurde mit einem schwächeren Empfehlungsgrad (Klasse 2b) – ebenso wie die Behandlung mit einem MRA – in die jüngst veröffentlichten Leitlinien der US-Fachgesellschaften übernommen (14).

Medikamentöse Therapie der HFmrEF

Patienten mit Herzinsuffizienz mit ­mäßiggradig eingeschränkter Ejektionsfraktion (HFmrEF, LVEF 41 bis 49 Prozent) weisen im Durchschnitt Merkmale auf, die der HFrEF ähnlicher sind als der HF mit erhaltener Ejek­tionsfraktion (HFpEF). Wie bei anderen Formen der HF sollten Diuretika zur Kontrolle der Stauung eingesetzt werden.

Es gibt keine aussagekräftige pro­spektive, randomisierte, kontrollierte Studie, die ausschließlich Patienten mit HFmrEF einschließt. Von daher wird in der Leitlinie eine Klasse-IIb-Empfehlung (»kann man erwägen«) mit Evidenzgrad C (»Expertenmeinung oder retrospektive Studien«) für die Wirkstoffe ausgesprochen, die üblicherweise bei HFrEF eingesetzt werden (ACE-Hemmer, ARB, Betablocker, MRA und ARNI). Die neuesten Studienergebnisse zu SGLT2-Inhibitoren konnten noch nicht in die Leitlinie einfließen. Die aktuelle amerikanische Leitlinie zur Herzinsuffizienz, die im April 2022 publiziert wurde, enthält eine Klasse-IIa-Empfehlung für eine Therapie mit SGLT2-­Hemmern bei HFmrEF und HFpEF (14), ­konnte aber die neuesten Daten zu ­Dapagliflozin ebenfalls noch nicht berücksichtigen.

Zusammenfassung

Die Leitlinie 2021 der Europäischen ­Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zur Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz hat die Behandlung von HFrEF-Patienten im NYHA-Stadium II bis IV stark verändert: Sie führte das Konzept der schnellen Initiierung pharmako­logischer Therapie mit den sogenannten »fantastischen vier Substanzklassen« (Betablocker, SGLT2-Inhibitor, ARNI/ACE-Inhibitor und MRA) anstelle der sequenziellen Verordnung der ­einzelnen Wirkstoffklassen ein. Die praktische Umsetzung in den therapeutischen Alltag hinkt den Leitlinien­empfehlungen aber noch hinterher.

Die Behandlung kardiovaskulärer und nicht kardiovaskulärer Begleit­erkrankungen hat nach wie vor einen ganz wichtigen Stellenwert.

Die Verbesserung der Betreuung der Patienten durch Aufnahme in ­multidisziplinäre Herzinsuffizienz-Versorgungsprogramme (auch mit Beteiligung von Apothekern!), telemedi­zinische Betreuungsstrukturen und Selbstmanagement-Strategien haben das Ziel, das ­Risiko für HF-bedingte Krankenhauseinweisungen und Tod zu verringern.

Invasive Behandlungsoptionen wie Rhythmus-Synchronisationssysteme, mechanische Kreislauf-Unterstützungssysteme oder die Herztransplantation für Patienten mit fortgeschrittener HF sind nicht Thema dieses Artikels. Der Ersatz von Herzmuskelzellen durch das Aufbringen von im Labor kultiviertem Gewebe aus Herzmuskel- und Binde­gewebszellen (Engineered Human Myocardium, das sogenannte »Herzpflaster«), hergestellt aus induzierten pluripotenten Stammzellen, auf geschädigte Areale des Herzmuskels ist eine faszinierende neue Option. Die erste klinische Studie unter der Leitung von Göttinger Pharmakologen wurde jetzt begonnen.

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