Mannose als Alternative zu Antibiotika? |
Daniela Hüttemann |
20.09.2021 09:25 Uhr |
Der Einfachzucker Mannose kann die Andockstellen von Escherichia-coli-Bakterien an deren Fimbrien besetzen. Dadurch werden die Keime leichter aus der Blase ausgespült. / Foto: Getty Images/Tumeggy/Science Photo Library
»Blasenentzündung braucht keiner. Antibiotika helfen zwar gut, aber viele aufgeklärte Frauen wollen sie nicht haben«, konstatierte Dr. Ludwig N. Baumgartner, niedergelassener Gynäkologe aus Freising, vergangene Woche bei der Expopharm Impuls in einer Veranstaltung der Reihe Pharma-World. Solange der Infekt sich nur auf die Blase beschränkt und keine Risikofaktoren für einen komplizierten Verlauf vorliegen, darunter vor allem Schwangerschaft, warb der Frauenarzt für einen Therapieversuch mit Mannose.
Zwar sei die Datenlage vor allem zur Akuttherapie überschaubar und Mannose sei derzeit in der aktuellen Leitlinie nicht explizit erwähnt (nur bei Rezidiven), doch leuchte das Wirkprinzip ein. Und das funktioniert so: Häufigster Auslöser von Blasenentzündungen bei Frauen ist das Darmbakterium Escherichia coli. »Es gelangt in der Regel vom Darm über den Damm in die Vulva und in den Harnleiter – das lässt sich auch bei guter Hygiene nicht zu 100 Prozent vermeiden«, erklärte Baumgartner. Manche Frauen seien einfach anfälliger für solche Infekte, zum Beispiel hormonell bedingt Pillen-Anwenderinnen, Schwangere und Frauen in den und um die Wechseljahre.
Die Auskleidungsschicht von Blase und Harnwegen, das Urothel, besteht unter anderem aus Glykoproteinen. Teil dieser sogenannten Glykokalyx ist auch Mannose, an der E. coli mit seinen Fimbrien, genauer gesagt mit dem Protein Lektin FimH, andockt. Mannose wird als inerter bioidenter Zucker nach oraler Einnahme größtenteils unverstoffwechselt über den Harn wieder ausgeschieden. Die enthaltenen Bakterien binden nun an die frei herumschwimmende Mannose statt an die Glykokalyx und werden ausgeschwemmt, »ein sagenhaft einfaches, aber bestechendes Wirkprinzip«, so Baumgartner.
»Der Körper kann Mannose auch selbst aus Fructose herstellen, aber nicht in diesen Mengen«, ergänzte der Mediziner. Mannose entspreche den Wunschvorstellungen vieler Patientinnen nach einer »natürlichen Alternative«. Wichtig für die Beratung: Mannose hat keine kalorische Potenz, macht also nicht dick.
In einer italienischen Pilotstudie, die 2016 im »European Review for Medicinal and Pharmacological Sciences« erschien, wurde gezeigt, dass eine Akuttherapie mit D-Mannose bei 43 Frauen mit unkomplizierten Harnwegsinfekten die Symptome lindern und die Krankheitsdauer verkürzen konnte. Das Einnahmeschema betrug zweimal täglich 1,5 Gramm Mannose (das italienische Präparat Mannocist®) für drei Tage und dann einmal täglich für weitere zehn Tage. Die Frauen nahmen die Mannose über sechs Monate dann zur Rezidivprophylaxe ein. In dieser Gruppe erlitten nur 4,5 Prozent ein Rezidiv gegenüber 33,3 Prozent der unbehandelten Vergleichsgruppe.
Baumgartner zitierte noch weitere Studien zur Rezidivprophylaxe, auch im Cross-over-Design im direkten Vergleich mit Antibiotika. In einer Untersuchung habe es bei dauerhafter Mannose-Einnahme viermal länger gedauert als unter Antibiotika-Therapie, bis erneut ein Harnwegsinfekt aufgetreten sei. Dabei sei das Antibiotikum wohlgemerkt auch über sechs Monate genommen worden. Angesichts der Resistenzentwicklungen und Nebenwirkungen von Antibiotika hält Baumgartner eine mehrmonatige Rezidivprophylaxe mit Mannose für Frauen mit wiederkehrenden Harnwegsinfekten für eine sinnvolle Alternative, auch wenn dies (noch) nicht explizit in der Leitlinie empfohlen wird. Zudem könne Mannose auch zusätzlich zu Antibiotika gegeben werden.
»Viele Frauen versuchen es bei einer Blaseninfektion erst einmal mit Hausmitteln wie Wärmflasche und viel trinken. Wenn das nicht hilft, kommen sie in die Apotheke«, so der Referent. Solange hier die Grenzen der Selbstmedikation beachtet werden und der Infekt nicht schon seit Wochen besteht, hält er eine Eigenbehandlung mit Mannose oder auch Phytopharmaka für angebracht.
Das Video dieser Gesprächsrunde sowie viele weitere Beiträge der Expopharm Impuls sind ab dem 20. September bis Mitte Januar nach Registrierung unter www.expopharm-impuls.de abrufbar.