Lauterbach wegen Warnung vor »Killervariante« in der Kritik |
Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach (SPD) hatte am Wochenende vor einer möglichen »Killervariante« in der Coronavirus-Pandemie und einer möglichen Wiedereinführung der Maskenpflicht in Innenräumen gewarnt. / Foto: Imago Images/Bettina Strenske
Demnach könnte im Herbst auch die inzwischen weitgehend aufgehobene Maskenpflicht in Innenräumen wieder eingeführt werden, so Lauterbach. Wegen steigender Zahlen und wahrscheinlicher neuer Mutationen werde man bis dahin das Infektionsschutzgesetz noch einmal überarbeiten müssen. Es könne dann durchaus wieder nötig sein, das Maskentragen in Innenräumen zur Pflicht zu machen, sagte Lauterbach. Maskenpflichten sind nach dem aktuell gültigen Infektionsschutzgesetz nur noch in wenigen Bereichen wie Arztpraxen oder öffentlichen Verkehrsmitteln möglich. Um weitergehende Maßnahmen anordnen zu können, müssen die Bundesländer per Landtagsbeschluss Regionen zu Hotspots erklären. Auch diese Hotspot-Regel und die Maskenpflicht in Praxen, Bussen und Bahnen dürfen laut Gesetz aber nur noch bis zum 23. September angewandt werden.
Außerdem rechnet Lauterbach damit, dass ein an die Omikron-Variante angepasster Corona-Impfstoff ab September eingesetzt werden kann. «Wir besorgen Impfstoff, der vor den Omikron-Varianten schützt. Den erwarten wir im September», sagte Lauterbach der «Bild am Sonntag» weiter.
Der Virologe Hendrik Streeck kritisierte Lauterbach und sagte der «Bild»: Eine Variante so ansteckend wie Omikron und so gefährlich wie Delta ist nicht unmöglich, aber das ist noch lange keine «Killervariante».» Streeck meinte zudem: «Deutschland hat eine hohe Impfquote und etliche Genesenen und damit einen guten Basis-Schutz.»
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der Deutschen Presse-Agentur, Angst sei ein schlechter Ratgeber. «Deshalb sollte der Bundesgesundheitsminister apokalyptische Prophezeiungen unterlassen. Das heißt nicht, unvorbereitet in den Corona-Herbst zu gehen.»
Die liberale Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus sagte der «Bild», sie halte es für «nicht zielführend, bereits jetzt die Möglichkeit einer schwerwiegenderen Virusvariante zu diskutieren». Wissenschaftlich belegt sei, dass das Coronavirus schnell mutiere. «Ob es sich dabei um eine gefährliche Variante handelt, kann heute niemand prognostizieren.»
Das sieht der Leiter der Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Stefan Kluge, ähnlich. «Keine Expertin und kein Experte kann derzeit sicher sagen, welche Variante wir im Herbst bekommen», sagte Kluge, der auch Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) ist, der Funke Mediengruppe (Online Montag, Print Dienstag). «Wir sollten aber darauf vorbereitet sein, dass noch einmal eine Variante kommen kann, die zu einer höheren Krankheitsschwere führt, als dies derzeit bei der Omikron-Variante der Fall ist.»
Eine Corona-Variante als «Killervariante» zu bezeichnen, hält Kluge für «unpassend». Es gebe andere Infektionen, bei denen die Sterblichkeit deutlich höher liege als dies bei Covid-19 bisher der Fall gewesen sei. Dazu zähle etwa eine schwere bakterielle Sepsis (Blutvergiftung). «Die Variante Omikron führt derzeit zu sehr wenigen schweren Covid-19-Verläufen», erklärte Kluge. «Wir haben aktuell bei Omikron eine Sterblichkeit von unter 0,1 Prozent, vergleichbar mit der Grippe.»
Kluge riet dazu, mit einer Kampagne zu versuchen, ungeimpfte Menschen über 60 Jahren zum Impfen gegen das Coronavirus zu bewegen. «Eine größere Grundimmunisierung in der Bevölkerung würde uns deutlich helfen. Zudem müssen die Impfstoffe fortentwickelt werden.» Nach Daten des Robert Koch-Instituts vom Montag haben 76,1 Prozent der Menschen in Deutschland einen Grundschutz erhalten, für den in der Regel zwei Spritzen nötig sind. 59,1 Prozent haben zusätzlich eine Auffrischungsimpfung bekommen.
Kluge mahnte aber auch, genug Impfstoff und Corona-Tests vorzuhalten, um bei Bedarf die Impf- und Testzentren schnell wieder hochfahren zu können. «Auch die Digitalisierung muss vorangetrieben werden, in vielen Bereichen des Gesundheitswesens fehlen uns wichtige Daten», sagte er. «Es braucht auch ausreichend Schutzmaterialien wie beispielsweise FFP2-Masken für Krankenhäuser und andere vulnerable Bereiche.» Zudem müsse die Bundesregierung das Thema Fachkräftemangel in der Pflege, in den Gesundheitsämtern und bei den Ärzten auf dem Land stärker angehen.
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