Laumann: Höheres Fixum statt Engpass-Pauschale |
Theo Dingermann |
27.02.2023 13:00 Uhr |
Foto: IMAGO/Sven Simon
Es war der 15. AVNR-Zukunftskongress und nach zweijähriger Corona-Zwangspause der erste Kongress dieser traditionsreichen Veranstaltungsserie, der wieder persönlich, authentisch, unter Menschen stattfinden konnte. 300 Teilnehmer konnte der Vorsitzende des AVNR, Thomas Preis, an der Tagungsstätte im World Conference Center in Bonn zu einem Kongress begrüßen, in dessen Mittelpunkt zwar Zukunftsaspekte stehen sollten, wie das Kongressmotto erahnen lässt, auf dem jedoch auch Déjà-vu-Momente aufschienen. Dies ging so weit, dass Preis zum Thema »Lieferengpässe«, das neben den beiden anderen Themen »Fachkräftemangel« und »Stärkung der Apotheken durch die Politik« die Diskussionen des Kongresses bestimmen sollten, aus seinem Manuskript vorlesen konnte, das er anlässlich des letzten Zukunftskongress Öffentliche Apotheke in Präsens am 8. Februar 2020, vorbereitet hatte.
Auch damals waren Lieferengpässe für die Apotheken in der täglichen Praxis bereits so präsent, dass dies als unerträglich wahrgenommen wurde. Preis hatte bereits damals politische Maßnahmen angemahnt, die diesem Missstand entschieden und wirksam etwas entgegensetzen, und gefordert, für die Übernahme der Lasten des Lieferengpassmanagements durch die Apotheken eine ausreichende Gegenfinanzierung zu erhalten.
Die ernüchternde Erkenntnis nach drei Jahren, so Preis: »Bis auf unverbindliche Ankündigungen im Koalitionsvertrag, etwas gegen Lieferengpässe zu unternehmen, hat sich spürbar rein gar nichts getan«. Im Gegenteil, so Preis, sei es noch viel schlimmer geworden. Preis rief direkt dem nicht anwesenden Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu: »Uns Apothekern für diese nerven- und zeitraubende sowie maximal die Freude an unserem Beruf nehmende Arbeit nur 50 Cent zugestehen zu wollen, macht uns fassungs- und sprachlos zugleich«.
Man habe das verstanden, erklärte Karl-Josef Laumann, NRW-Gesundheitsminister, der dem Kongress zu einem Statement und einer kurzen Diskussion live zugeschaltet war. Man habe über die Jahre die sich anbahnende Unwucht in der Medikamentenversorgung aus den Augen verloren. Und man habe mittlerweile gerade auch im Zusammenhang mit der Arzneimittelversorgung schmerzlich lernen müssen, wie wichtig Lieferketten sind, und wie groß die Probleme werden, wenn diese zusammenbrechen. Die müsse man auch im Zusammenhang mit dem aus dem BMG angekündigten Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) zu Anlass nehmen, eine grundsätzliche Debatte über Versorgungssicherheit zu führen, so Laumann. Und er ergänzte, dass der Preis nicht das alleinige Kriterium in jedem Punkt sein könne, wohl wissend, dass man Wirtschaftlichkeit nicht aus dem Auge verlieren dürfe. Einen Beitrag zu der Problematik würden auch die Rabattverträge leisten, räumte Laumann ein. Aber eben nur einen Teil. Zu fordern, auf Rabattverträge gänzlich zu verzichten, sei realitätsfremd. Aber das Regelwerk brauche Ergänzungen auch durch Maßnahmen, die wieder mehr Wirkstoffproduktion in den Schengenraum zurückholt, so Laumann.
In dem Zusammenhang unterstrich der Minister aber auch, die Wirtschaftlichkeit der Apotheken vor Ort im Auge zu haben. Als jemand, der sich immer für die Vor-Ort-Apotheken eingesetzt habe, sei ihm klar, dass diese so finanziert sein müssen, dass sie ihre immer komplexer werdenden Aufgaben wahrnehmen können. Daher sei es dringend notwendig, darüber nachzudenken, wie sich die Grundfinanzierung der Apotheken weiterentwickeln muss, gerade auch in Zeiten großer Inflation und großer Teuerung in vielen Bereichen. und zu diesem Themenkomplex bot der Minister Gesprächsbereitschaft an.
Einen interessanten Teilaspekt trug der Moderator der Veranstaltung, Ralph Erdenberger, an den Minister heran. Er bat ihn zu einer Stellungnahme zu der 50 Cent-Vergütung für die Mehrarbeit bei der Lösung bestimmter Lieferengpassprobleme. Hier äußerte der Minister Verständnis für die Verärgerung der Apothekerschaft über dieses Angebot. Er sei der Meinung, dass diese Mehrarbeit besser durch eine Anpassung der Grundvergütung der Apotheken und nicht durch kleinteilige, Bürokratie lastige Regelungen entlohnt werden sollte.
Klar ist allerdings: Beim Apothekenhonorar hat die Bundespolitik mehr Gewicht als die Länderregierungen. Traditionell erhalten gesundheitspolitische Vertreter der Bundestagsfraktionen auf den AVNR-Zukunftskongressen Gelegenheit, Stellung zu beziehen und sich einer kritischen Diskussion zu stellen. Von diesem Angebot machten in diesem Jahr jedoch nur Vertreter der Oppositionsparteien mit Georg Kippels (CDU) und Jörg Schneider (AfD) Gebrauch. Keinen Vertreter hatten die FDP und die Grünen entsandt, und für die SPD-Fraktion hatte Dirk Heidenblut Statements zu den Kernthemen vorformuliert, so dass er nur passiv an der Diskussion teilnehmen konnte.
Zu den Lieferengpässen äußerten beide anwesenden Politiker Verständnis für die Verärgerung in den Apotheken, die Erdenberger durch ein kurzes Ad-hoc-Meinungsbild unter den Kongressteilnehmern noch einmal verdeutlichte. Zwar räumte Kippels Versäumnisse in der Vergangenheit ein, denn schließlich trug ja auch die CDU Regierungsverantwortung. Abhilfe schaffe hier nur Planungssicherheit für die Industrie und eine adäquate Preisgestaltung für die Produkte, die ja teilweise in anderen Ländern durchaus verfügbar sind. Aber für die Lösung zuständig sei der Bundesgesundheitsminister, an den man nur »äußerst schwierig rankommt«, so Kippels.
Einen Mangel an Solidarität innerhalb der EU-Staaten konstatierte in diesem Zusammenhang auch Schneider. Preis sieht die Verantwortung hingegen weniger bei einzelnen Parteien, sondern bei der gesamten Politik. Das Problem hat sich kontinuierlich abgezeichnet, wie ein Blick in die Historie der immer wieder zitierten BfArM-Liste der nicht lieferbaren Arzneimittel zeige. Diese sei vor knapp zehn Jahren erstmals mit 40 Einträgen online gegangen. Im Herbst letzten Jahres standen dann schon knapp unter 400 Arzneimittel auf der Liste. Jetzt, Mitte Februar, sei man bei über 400 nicht lieferbaren Arzneimitteln, wohl wissend, dass diese Liste nach den Erfahrungen in der Praxis nicht umfassend sei, so Preis. Und er fügte hinzu, dass aktuell der Lobbyverband Pro Generika weitere unmittelbar bevorstehende Produktionsstopps für essentielle Medikamenten wie zahlreiche Antibiotika, das Opiod Oxycodon, das Antidepressivum Venlafaxin, das Herzmedikament Ivabradin und der Blutdrucksenker Bisoprolol angekündigt hat.
Auch Heidenblut äußert sich verständnisvoll, bringt dann aber in seinem vorab aufgezeichneten Statement einen weiteren wichtigen Aspekt ins Spiel, der darin besteht, den Apothekern bei der Lösung der Probleme größtmögliche Freiheiten zu gewähren. Und er räumt ein, dass gerade dieser Aspekt in dem Entwurf zum ALBVVG viel zu kurz kommt.
Ein Stressfaktor in den Apotheken ist auch der eklatante Fachkräftemangel. Fast 90 Prozent der Teilnehmer einer vom AVNR durchgeführten Blitzumfrage suchen pharmazeutisches Fachpersonal. Und etwa sechs Prozent der Teilnehmer an der Umfrage beabsichtigen, wegen fehlenden Personals ihre Apotheke bzw. Filialapotheke innerhalb der nächsten 12 Monate zu schließen.
Fragt Erdenberger diesen Problemkreis bei den Bundespolitikern ab, ergibt sich ein sehr heterogenes Bild. Ursachen werden im Studium, im Praktikum in der Apotheke, in einem Mangel an ökonomischen Ausbildungseinheiten und in einer starken Sogwirkung aus der pharmazeutischen Industrie vermutet. Preis hingegen sieht ein wichtiges Problem in den umfangreichen und umständlichen bürokratischen Vorgaben, nach denen die Patienten mit Arzneimitteln versorgt werden. »Wer hier nicht hellwach ist, riskiert eine Totalretaxation«, so Preis. Diese Tatsache nehme dem Beruf eines seiner lange gepflegten Assets, dem leichten Wiedereinstieg in den Beruf, beispielsweise nach einer längeren Elternauszeit. In diesem Zusammenhang äußerten sich die Politiker erstaunlich verbindlich: »Weg mit der Null-Retaxation und weg mit der Präqualifizierung« so beispielsweise Kippels.
Der Einstieg in das dritte Schwerpunktthema, die Stärkung der Apotheken durch die Politik, schaffte Erdenberger über den aktuell steigenden Kassenabschlag von 23 Cent. Diese zusätzliche Belastung auf dem Fundament einer von Preis als »fossil« bezeichneten Arzneimittelpreisverordnung treibt die wirtschaftlichen Probleme weiter voran. In Zeiten von Inflation und Kostensteigerungen sei dies einfach nicht in Ordnung, so Preis. Während andere Branchen, auch Berufsgruppen im Gesundheitswesen, Unterstützung und Zuschüsse zum Ausgleich der gesteigerten Kosten bekommen, geht der Leistungsträger »Apotheke« nicht nur leer aus, sondern werde auch noch belastet. »Dies ärgert uns sehr«, so Preis. »Honorieren Sie endlich unsere Mehrarbeit«, appellierte er an den Bundesgesundheitsminister. Denn Monat für Monat verursache zwischenzeitlich die Mehrarbeit zur Linderung der Lieferengpassproblematik etwa 5000 Euro pro Apotheke. Diese Arbeit dürfe unter keinen Umständen durch eine Rückabwicklung der während der Pandemie eingeführten, gelockerten Abgaberegeln weiter verkompliziert werden.
Den provokativen Vorschlag Erdenbergers, ähnlich wie bei der Anpassung der Diäten der Bundestagsabgeordneten auch für die Apothekenhonorare eine Dynamisierung vorzusehen, wichen die Politiker verständlicherweise aus. Kippels gibt zu bedenken, dass dies schon wegen des komplexen Finanzierungssystems im Gesundheitssystem kaum denkbar sei. Stattdessen bezeichnete Kippels das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz als einen größten anzunehmenden Unfall. Schneider setzt bei Vorschlägen zur Stärkung der Apotheken bei einer Neugestaltung der Vergütungsstruktur an. Dabei sieht er eine Weiterentwicklung des Berufs in Richtung Medizindiensten, so dass die Vergütungsstruktur, die ihre Basis im Verkauf von Arzneimitteln hat, um neue Vergütungselement erweitert werde. Letztlich, so Schneider, sei es erforderlich, die Vergütungsstruktur der Apotheken komplett neu zu organisieren.
Dem widerspricht Preis, der ganz dezidiert die Vergütung der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln verbessert sehen will, da die auch in Zukunft immer noch die Hauptaufgabe der Apotheken sein wird.