»Kostenanstieg, kein Verordnungsanstieg« |
Carolin Lang |
16.09.2020 17:04 Uhr |
Die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen sind 2019 um 5,4 Prozent auf 43,4 Milliarden Euro angestiegen. / Foto: Adobe Stock / peterschreiber.media
Obwohl die Zahl der Verordnungen seit Jahren etwa gleichbleibend sei, stiegen die Kosten, wie Professor Ulrich Schwabe vom Pharmakologischen Institut Heidelberg bei der gestrigen Vorstellung des Arzneimittelverordnungsreports (AVR) 2020 betonte. Die Arzneimittelausgaben der Krankenkassen sind 2019 um 5,4 Prozent auf 43,4 Milliarden Euro angestiegen. Als eine Hauptursache dafür sieht Schwabe hochpreisige, patentgeschützte Arzneimittel.
Seit 2010 seien die Jahrestherapiekosten um das Sechsfache angestiegen, berichtete er. Das gelte besonders für Onkologika, bei denen die Kosten 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 13,7 Prozent gestiegen sind. Der zweitstärkste Anstieg ist mit 13,5 Prozent bei den Dermatika zu beobachten. Schwabe führt das vor allem auf die zunehmenden Kosten bei der Psoriasis-Therapie zurück, bei der vergleichsweise teure Antikörper seit einigen Jahren vermehrt zum Einsatz kommen. Auch die Ausgaben für Immunsuppressiva (+7,5 Prozent) sowie für die Antithrombotika (+ 10 Prozent) stiegen deutlich.
Die hohen Arzneimittelpreise stünden in keiner erkennbaren Relation zum erzielten therapeutischen Fortschritt, urteilen die Report-Herausgeber laut einer Pressemitteilung des Verlags Springer Medizin, in dem die Analyse erscheint. Denn nach zehn Jahren Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) zeige eine Analyse der frühen Nutzenbewertung, dass nur in 45 Prozent der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) ein belegter Zusatznutzen konstatiert wurde. Eine besondere Herausforderung für die Nutzenbewertung seien hochpreisige Arzneimittel für die Gentherapie und andere neuartige Therapien.
Trotzdem sei das AMNOG finanziell erfolgreich gewesen, denn 2019 sind über die Erstattungsbeträge 3,6 Milliarden Euro eingespart worden. Zusätzliche Einsparungen von rund 8,2 Milliarden Euro wurden außerdem durch Festbeträge und 5 Milliarden Euro durch Rabattverträge erreicht.
Ein weiterer Grund für die steigenden Kosten sind den Herausgebern zufolge fehlende effektive Marktregulierungsinstrumente nach Ablauf des Patentschutzes. Dies veranschaulichte Schwabe gestern am Beispiel von Adalimumab. Denn auch zwei Jahre nach dem Patentablauf hat das frühere Originalpräparat (Humira®) demnach immer noch einen Marktanteil von 70 Prozent.
Problematisch sei außerdem die schleppende Umsetzung des Festbetragssystems, beispielsweise bei dem Biologikum Infliximab. Hier habe es nach dem Patentablauf etwa drei Jahre gedauert, bis eine Festbetragsgruppe durch den G-BA und den GKV-Spitzenverband etabliert werden konnte.
Bei Arzneimitteln, die neu auf den Markt kommen, entscheidet der eventuell vorhandene Zusatznutzen über den Preis. Stellt der G-BA keinen Zusatznutzen fest, fällt das Präparat unter die Festbetragsregelung. Für Biosimilars findet keine Zusatznutzen-Bewertung und somit keine Erstattungsbetragsverhandlung statt, da es sich dabei um Folgeprodukte bereits erprobter patentfreier Biopharmazeutika handelt. Eine Forderung der Herausgeber ist daher bei Biosimilars die Vereinbarung von Erstattungsbeträgen durch den Spitzenverband der GKV wie bei patentgeschützten Arzneimitteln mit Angaben zur Höhe des tatsächlichen Preises in anderen europäischen Ländern. Auch bei der Berechnung von Festbeträgen sollten die Packungspreise in anderen europäischen Ländern berücksichtigt werden.
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller(BAH), Hubertus Cranz, kommentierte die Pressemitteilung zum AVR wie folgt: »Seit dem Jahr 2010 ist der Ausgabenanteil für Arzneimittel an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung von 17,1 auf 16,3 Prozent im Jahr 2019 gesunken. Einen »kontinuierlichen Ausgabenboom«, wie die Autoren des Arzneiverordnungsreports 2020 betonen, können wir daher nicht erkennen. Was die Zahlen allerdings hergeben, ist ein Anstieg bei den Belastungen der Hersteller. So sind die Rabattzahlungen seitens der Hersteller von anfänglich jährlich 310 Millionen Euro (2008) auf mittlerweile 4,9 Milliarden Euro (2019) angestiegen. Insgesamt summieren sich die Rabattzahlungen der Hersteller auf nun fast 34 Milliarden Euro. Angestiegen sind zudem die gesetzlichen Abschläge und Einsparungen aus dem AMNOG-Verfahren von 2,448 Milliarden (Jahr 2015) auf 4,855 Milliarden Euro (2019). Einen Boom sehen wir daher vielmehr bei den Belastungen der Hersteller.«