Pharmazeutische Zeitung online
Zunehmendes Problem

Klimawandel schadet der Psyche

Ein wichtiges Zukunftsthema ist der Klimawandel mit all seinen negativen Effekten. Wenig beachtet bisher: Er schadet der psychischen Gesundheit.
Christina Hohmann-Jeddi
06.01.2023  07:00 Uhr

Der Klimawandel ist laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit. Dass er nicht nur der körperlichen, sondern auch der psychischen Gesundheit schaden kann, stellte die Organisation im Juni 2022 in einem Grundsatzpapier klar: »Der Klimawandel hat eine zunehmend starke und anhaltende Wirkung auf Menschen, die direkt oder indirekt ihre psychische Gesundheit und ihr psychosoziales Wohlbefinden beeinflussen kann.« Die WHO rät ihren Mitgliedsländern dringend, die Unterstützung der seelischen Gesundheit bei der Bewältigung der Klimakrise mit zu berücksichtigen. Zudem sollten die negativen Effekte des Klimawandels in Programme zur Stärkung der psychischen Gesundheit integriert werden.

Einen Schritt in diese Richtung machte die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) Mitte November mit ihrer »Berliner Erklärung«. Durch den Klimawandel nähmen die psychischen Belastungen zu und auf den möglichen erhöhten psychiatrischen Versorgungsbedarf sei das deutsche Gesundheitssystem nicht vorbereitet, heißt es in dem Positionspapier. Die Politik müsse umgehend reagieren und die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, um die psychiatrische Versorgung auch in der Klimakrise gewährleisten zu können.

Negative Effekte sind gut belegt

Auf der Jahrestagung der DGPPN gab Dr. Lasse Brandt von der Psychiatrischen Universitätsklinik der Charité in Berlin eine Übersicht über die bisherige Evidenz zum Zusammenhang zwischen Klimakrise und Psyche. »Es gibt inzwischen gute Belege für die Effekte des Klimawandels auf die psychische Gesundheit

Diese könnten direkt oder indirekt sein. Direkt schade der Klimawandel der Psyche über Luftverschmutzung, Hitze und die Zunahme von Extremwetterereignissen und Naturkatastrophen. So setze die Luftverschmutzung nachweislich kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Rechenleistung herab und sei langfristig mit einem erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen wie Depression, Schizophrenie oder bipolare Störung assoziiert. Eine kurzfristige Zunahme der Luftverschmutzung gehe zudem mit einer kurzfristigen Zunahme von psychiatrischen Notfällen und Suiziden einher, berichtete Brandt.

Als weiteren Faktor, der die psychische Gesundheit direkt beeinträchtigt, nannte der Psychiater Hitze. In den vergangenen Jahrzehnten sei die Zahl der Hitzeperioden weltweit stark angestiegen. Einer Metaanalyse von 2021 zufolge ist ein Temperaturanstieg von 1 °C mit einer Zunahme der psychischen Morbidität um 0,9 Prozent und der psychischen Mortalität um 2,2 Prozent verbunden (»Environment International«; DOI: 10.1016/j.envint.2021.106533). »In einem weiteren Review wurde gezeigt, dass mit einem Temperaturanstieg auch ein erhöhtes Suizidrisiko assoziiert ist.«

Zudem können die häufiger werdenden Extremwetter und Naturkatastrophen wie Überflutungen, Stürme und Dürre durch die mit ihnen verbundene Lebensgefahr und Existenzbedrohung die Psyche negativ beeinflussen. So wurden beispielsweise nach dem Hurrikan Katrina 2005 in den USA bei einem Drittel der Bevölkerung Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) festgestellt. Auch Ängste, Depressionen und Suizide nähmen nach Naturkatastrophen zu.

Mehr Angst vor der Zukunft

Prinzipiell kann der Klimawandel Angst vor der Zukunft und schlechte Gefühle verursachen. Hierfür sei eine Reihe von Fachbegriffen, die sich zum Teil überschneiden, in Gebrauch: Eco Distress, Climate Anxiety und Solastalgie. Letzteres bezeichne die Trauer um Lebensorte und Traditionen, die aufgrund des Klimawandels zerstört werden, berichtete Brandt. Dass dies zumindest in der jüngeren Generation ausgeprägte Phänomene sind, zeige eine Umfrage von 2021 unter 10.000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen (16 bis 25 Jahre) aus zehn Ländern. »59 Prozent waren sehr besorgt oder extrem besorgt über den Klimawandel«, zitierte der Referent ein Ergebnis der Studie (»The Lancet Planetary Health«, DOI: 10.1016/S2542-5196(21)00278-3). Bei fast der Hälfte hätten die Sorgen negativen Einfluss auf die Alltagsaktivitäten.

Zudem könne der Klimawandel über verschiedene Faktoren indirekt der psychischen Gesundheit schaden. Laut Brandt können Nahrungsmittelunsicherheit, Migration und Arbeitsverlust erhebliche seelische Belastungen bedeuten.

Der Psychiater wies auf eine deutliche Klimaungerechtigkeit hin. Zum einen seien die psychischen Auswirkungen durch den Klimawandel ungleich verteilt, zum anderen hätten die wohlhabenderen Länder, die stärker zum Klimawandel beigetragen haben, höhere Kapazitäten, dessen Folgen entgegenzuwirken. Die Ungerechtigkeit sei auch im medizinischen Bereich zu beobachten: In Ländern mit hoher Lebenserwartung verursachten die Gesundheitssysteme mehr Emissionen als in Ländern mit niedriger Lebenserwartung. »Die Gesundheitssysteme der wohlhabenderen Länder haben eine besondere Verantwortung, den Schäden am Menschen und der Klimaungerechtigkeit entgegenzuwirken.«

Insgesamt gebe es noch einen großen Forschungsbedarf, um den Effekt des Klimawandels auf die Psyche besser zu verstehen, Risikofaktoren zu identifizieren und Präventionsstrategien zu entwickeln. Die Ergebnisse sollten als Grundlage für politische Empfehlungen und für Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Psychiatrie dienen.

Was Heilberufler tun können

Die besondere Verantwortung der Heilberufler stellte auch Dr. Sebastian Karl vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim beim DGPPN-Kongress heraus. Aufgabe von Ärzten sei neben dem Erhalt von Leben auch »die Erhaltung von Lebensgrundlagen in Hinblick auf die Bedeutung für die Gesundheit der Menschen«, wie es in der Berufsordnung der Ärzte heißt. Folgerichtig habe sich die Ärzteschaft beim Deutschen Ärztekongress 2021 zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu werden. Bisher fielen die Anstrengungen aber sehr gering aus, monierte Karl. Ressourcen sparen könnten Heilberufler etwa, wenn sie den Fokus von der Behandlung hin zur Prävention von Erkrankungen verschöben. »Das Nachhaltigste ist, die Menschen gesund zu halten.«

Ein wichtiger Punkt ist die Medikation: Laut Daten des britischen Gesundheitssystems NHS machen Arzneimittel inklusive der Anästhetika 25 Prozent des ökologischen Fußabdrucks des Gesundheitswesens aus. Daher gelte es, so wenig Arzneimittel wie möglich einzusetzen, eine möglichst niedrige Dosierung zu verwenden und nicht medikamentöse Maßnahmen zu berücksichtigen, betonte der Psychiater. Darüber hinaus könnten Heilberufler aufgrund des Vertrauens, das sie in der Bevölkerung genießen, diese über den Zusammenhang von Gesundheit und Klimawandel und über den Sinn von Klimaschutzmaßnahmen aufklären.

In Klimasprechstunden könne man etwa zu nachhaltiger gesunder Ernährung, zu aktiver Mobilität (Fahrrad- statt Autofahren) und zum positiven Einfluss von Naturerleben informieren. Gerade der Kontakt mit der Natur wirke schützend auf die psychische Gesundheit.

Da einige Folgen des Klimawandels nicht mehr abwendbar sind, sollte sich das Gesundheitssystem darauf einstellen – durch Hitzeschutz, Vorbereitung auf häufigere Extremwetterereignisse und zunehmenden Versorgungsbedarf.

Einen großen Schritt in diese Richtung machten die Akteure im Gesundheitswesen am 14. Dezember mit Abschluss des »Klimapakts Gesundheit«: In einer gemeinsamen Erklärung des Bundesministeriums für Gesundheit, der Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen (darunter die ABDABundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) sowie der Länder und kommunalen Spitzenverbände bekennen sich diese zu ihrer Verantwortung. »Zusammen wollen wir den negativen gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels begegnen und das Gesundheitswesen einschließlich der Pflege im Sinne von Klimaschutz und Nachhaltigkeit weiterentwickeln. Wir wollen damit unseren Beitrag leisten, die Menschen und die Umwelt so gesund wie möglich zu erhalten.«

Mehr von Avoxa