Ist ein Wirkstoff gegen Long Covid in Sicht? |
Theo Dingermann |
23.09.2021 14:30 Uhr |
Müdigkeit, Erschöpfung, Atembeschwerden sowie Geruchs- und Geschmacksstörungen sind nur einige der Symptome, unter denen Patienten mit Long Covid-Syndrom leiden. / Foto: Adobe Stock/Danilo Rizzuti
Anlass für Optimismus, dass sich möglicherweise eine wirksame Intervention für Long-Covid-19 andeutet, ist ein Bericht der Augenklinik des Universitätsklinikums der Friedrich-Alexander-Universität (FAU). Ärztinnen und Ärzte der Augenklinik konnten berichten, dass es im Rahmen eines individuellen Heilversuchs erstmals gelungen war, einen 59-jährigen Mann, der bereits seit Langem an einem Long Covid-Syndrom litt, beschwerdefrei zu entlassen.
Dieser Patient war mit dem WirkstoffBC 007 des Berliner Start-ups »Berlin Cures« behandelt worden. Erstaunlich ist dies deshalb, da das nicht modifizierte DNA-Aptamer BC 007 zunächst ohne einen Bezug zu Long Covid entwickelt wurde. Das Aptamer fungiert als ein Bindepartner von Autoimmun-Antikörpern, die sich gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren richten. Da BC 007 auch an Autoantikörper bindet, die gegen den Alpha1-adrenergen Rezeptor, den Beta1-adrenergen Rezeptor, den Beta2-adrenergen Rezeptor und den Endothelin-A-Rezeptor gerichtet sind, stand zunächst die Behandlung von Kardiomyopathien im Fokus der Forschungsaktivitäten. Mittlerweile sind auch klinische Phase -II-Studien zum Fatigue-Syndrom in Planung.
Wissenschaftlern an der Augenklinik des Universitätsklinikums Erlangen war aufgefallen, dass die Durchblutung der Augen auch viele Monate nach der Genesung von Covid-19 noch deutlich eingeschränkt sein kann. Genauere Untersuchungen zeigten, dass diese Patienten Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren bilden.
Es war kein Zufall, dass derartige Autoantikörper gerade von den Ophthalmologen in Erlangen entdeckt wurden. Denn einer der Forschungsschwerpunkte an der Erlanger universitären Augenklinik konzentriert sich auf die Pathomechanismen des Glaukoms, bei dem auch derartige Antikörper nachweisbar sind.
So lag es für die Erlanger Wissenschaftler nahe, den sich in klinischer Prüfung befindlichen Kandidaten BC 007 an einem Long Covid-Patienten zu testen. Im Rahmen eines individuellen Heilversuchs erhielt ein 59-jähriger Patient das Präparat per Infusion. Anschließend blieb er noch drei Tage stationär am Uniklinikum Erlangen.
»Bereits innerhalb weniger Stunden zeigte sich eine Besserung. Bei seiner Entlassung fühlte sich unser Patient schon deutlich erholter als vor der Verabreichung und seine Autoantikörperwerte bestätigten diesen Eindruck«, schildert das Ärzteteam den Heilungsverlauf in einer Pressemitteilung der Klinik. Offensichtlich verschwanden auch die Konzentrationsschwierigkeiten, die Leistungsfähigkeit des 59-Jährigen stieg wieder an und der Geschmackssinn kehrte zurück. Auch an den Kapillaren des Auges war der Genesungsverlauf nachweisbar. »Insgesamt hat sich die Durchblutung der Kapillaren, die wir am Auge messen können, deutlich verbessert«, so die behandelnden Ärzte.
Das Team der Erlanger Augenklinik geht nach eigenem Bekunden davon aus, dass die Long Covid-Beschwerden des Patienten dank der verbesserten generellen Durchblutung verschwunden sind.
Mittlerweile haben die Erlanger Wissenschaftler ihre Beobachtung auch in der Zeitschrift »Frontiers in Medicine – Ophthalmology« publiziert. Sie regen an, die retinale Mikrozirkulation als Korrelat einer systemischen Kapillarbeeinträchtigung nach Infektion mit SARS-CoV-2 in Betracht zu ziehen.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.