Interferon-Antwort erklärt milde Omikron-Verläufe |
Christina Hohmann-Jeddi |
26.01.2022 16:44 Uhr |
Kinder erkranken bei einer Coronainfektion in der Regeln nicht schwer – das könnte am empfindlichen Viren-Alarmsystem der Epithelzellen der oberen Atemwege liegen. / Foto: Getty Images/Drazen Zigic
Schon früh nach dem Auftreten von SARS-CoV-2 war bekannt, dass die Mehrheit der Infektionen mit dem neuen Erreger mild verlaufen. »Ein wichtiger Faktor, der über den Verlauf einer Coronainfektion mit entscheidet, ist die Interferonantwort der Zellen«, berichtete Dr. Marco Binder bei einer Presseveranstaltung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) am 21. Januar.
Diese intrazelluläre Immunreaktion tritt sehr früh im Verlauf von Virusinfektionen auf und verlangsamt bereits nach ein bis zwei Tagen die Virusvermehrung. »Es ist die Immunantwort, die jede Körperzelle von uns durchführen kann, ohne professionelle Hilfe des Immunsystems«, sagte Binder. Sie trete auf, noch bevor andere Teile der angeborenen Immunabwehr wie natürliche Killerzellen oder Makrophagen aktiv würden und lange bevor das erworbene Immunsystem mit der Bildung von spezifischen T- und B-Zellen reagiere, berichtete der Leiter der DKFZ-Forschungsgruppe »Dynamik der Virusreplikation und der angeborenen antiviralen Immunantwort«.
Diese intrazelluläre Immunantwort schlägt im Falle einer Virusinfektion Alarm. Dringen Coronaviren in Körperzellen ein, vervielfältigen sie dort ihr RNA-Genom. Diese RNA-Moleküle werden von Sensoren in der Zelle erkannt, was über eine Signalkaskade schließlich zur Bildung von Zytokinen, vor allem Interferon, führt. Interferon wird von den infizierten Zellen ausgeschüttet und wirkt auf diese, aber auch auf die noch nicht infizierten Nachbarzellen zurück, wo das Interferonsignal die Expression von Hunderten Interferon-stimulierten Genen auslöst.
»Zusammen versetzt die Aktivität dieser Gene die Zelle in einen Zustand, die es jedem Virus schwer macht, sich zu vermehren«, sagte der Biologe. Einzelne Interferon-stimulierte Gene kodieren für Botenstoffe, die zusammen mit Interferon eine wichtige Schnittstelle zum restlichen Immunsystem bilden: Sie rufen die Immunzellen der angeborenen und erworbenen Abwehr zum Ort der Infektion und aktivieren sie.
Aufgrund der wichtigen Funktion des Interferonsystems besitzen viele Viren, so auch SARS-CoV-2, Mechanismen, um es zu stören, berichtete Binder. Im Vergleich zu anderen Viren könne das Coronavirus sehr rasch mehrere Antagonisten produzieren, die effizient das Interferonsystem hemmen, sodass kaum Interferon von infizierten Zellen produziert würde.
Wie schnell das Interferonsystem funktioniere, könne dafür verantwortlich sein, dass Kinder in der Regel milde oder asymptomatische Coronainfektionen haben, erklärte der Biologe. Denn in einer eigenen Arbeit im Fachjournal »Nature Biotechnology« konnte ein Team um Binder und Kollegen von der Charité zeigen, dass Kinder in den Zielzellen des Virus, den Epithelzellen der oberen Atemwege, eine höhere Expressionsrate der beiden Sensormoleküle RIG-I und MAD5, die Virus-RNA erkennen, aufweisen als Erwachsene.
Das Expressionslevel hänge stark vom Alter ab. Das Interferonsystem von Kindern sei somit deutlich sensitiver und könne früher Alarm schlagen. Entsprechend stark falle die Interferonproduktion aus, die eine effektive Immunreaktion koordiniere und damit helfe, die Infektion zu beenden, bevor sie in die Lunge gelangt. Bei Erwachsenen mit einem weniger sensitiven Sensorsystem funktioniere dies nicht immer, sagte Binder.
Ein deutsch-britisches Forscherteam zeigt jetzt auch, dass die Interferonantwort eine mögliche Ursache für die milderen Krankheitsverläufe bei der Omikron-Variante sein könnte. In Zellversuchen habe sich gezeigt, dass Omikron im Vergleich zur Vorgängervariante Delta die Interferonantwort weniger gut eindämmen kann, berichten Forscher und Forscherinnen des Uniklinikums Frankfurt am Main und der britischen University of Kent im Fachjournal »Cell Research«.
»Offenbar kann Omikron im Gegensatz zu Delta nicht verhindern, dass die befallenen Zellen Interferon produzieren und ausschütten«, sagte Professor Dr. Martin Michaelis von der School of Bioscience der University of Kent in einer begleitenden Mitteilung.
Bei der stark mutierten Omikron-Variante sind neben dem Spike-Protein auch Proteine verändert, die bekanntermaßen am Antagonismus der Interferonantwort beteiligt sind: Dies sind NSP3, NSP6 und NSP14 sowie das Nukleokapsid- und Membran-Protein.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.