Insolvenzverwalter Hoos zieht erstes Resümee |
Benjamin Rohrer |
06.10.2020 09:02 Uhr |
Der Rechtsanwalt Jan-Philipp Hoos ist für das Insolvenzverfahren beim Düsseldorfer Rechenzentrum AvP zuständig. Er ist zuversichtlich, dass die Apotheken ihre ausgebliebenen Abschlagszahlungen von AvP erhalten. Offen ist für ihn nur, wann dies der Fall sein wird. / Foto: Hoos
PZ: Herr Hoos, etwas länger als zwei Wochen sind Sie nun als Insolvenzverwalter des Rechenzentrums AvP im Amt. Können Sie bereits ein erstes Resümee ziehen? Wie ist es um das Unternehmen bestellt?
Hoos: Die letzten zwei Wochen waren sehr ereignisreich. Am 16. September hat der Sonderbeauftragte der Bafin den Insolvenzantrag gestellt. Was ich vorgefunden habe, war ein Unternehmen, um das es im Markt schon recht heftige Unruhen gab. Denn es gab bereits Verzögerung bei der Abschlagszahlung für den August 2020. Diese begründete das Unternehmen zunächst mit IT-Problemen. Nachdem die Insolvenzantragstellung am 17. September publik wurde, kam es zu einer regelrechten Kündigungswelle. Mehr als 90 Prozent der Offizinapotheken sind inzwischen abgesprungen. Ursprünglich hatte das Unternehmen rund 2900 Offizin- und etwa 300 Klinikapotheken als Kunden.
PZ: Warum sind denn noch 10 Prozent bei der AvP als Kunde registriert?
Hoos: Letztendlich kann ich das nicht abschließend beantworten. Vielleicht haben diese Apotheken die Kündigung einfach nur versäumt und einfach so zu einem anderen Dienstleister gewechselt. Bei den Klinikapotheken ist die Lage etwas anders.
PZ: Wie denn?
Hoos: Auch dort haben wir viele Kündigungen erhalten. Allerdings ist es für die Kliniken u.a. wegen Software-Verknüpfungen wohl deutlich schwerer das Rechenzentrum zu wechseln. Deswegen sind wir mit den Kliniken trotz Kündigungen im Gespräch geblieben und diskutieren derzeit u.a. mit zahlreichen Kliniken, deren Anwälten sowie dem Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) ein Modell zur Fortführung, das für die Krankenhausapotheken rechtssicher sein soll, nicht zuletzt weil die weiteren Zahlungen von Kostenträgern auf Treuhandkonten getrennt von der Insolvenzmasse abgewickelt werden sollen. Wenn alles gut geht, hoffen wir, dass die Krankenhausapotheken ab der kommenden Woche wieder über die AvP abrechnen bis ein neuer für die Apotheken akzeptabler Investor gefunden ist.
PZ: Haben Sie denn inzwischen verstanden, was in den vergangenen Jahren bei der AvP schiefgelaufen ist? Können Sie dazu etwas sagen?
Hoos: Natürlich kann und darf ich dazu jetzt noch keine belastbare Aussage treffen. Meine ersten Eindrücke gehen aber in die Richtung, dass bei der AvP in den letzten Jahren einige strukturelle, operative Probleme vorlagen – das Unternehmen wurde nicht ausreichend professionell geführt. Wir reden hier über ein Unternehmen mit einem Abrechnungsvolumen von über 7 Milliarden Euro und einem Eigenumsatz von etwa 30 Millionen Euro.
PZ: Kommen wir zu den Rezepten. Wie der Apothekerverband Nordrhein mitgeteilt hat, gibt es diesbezüglich ja höchst unterschiedliche Szenarien. Welche August- und September-Rezepte sind noch nicht verloren?
Hoos: Hier gibt es verschiedene Szenarien. Einerseits geht es um die Rezepte, die noch physisch in den Apotheken liegen. An diesen mache ich keine Rechte geltend, wie der Apothekerverband Nordrhein richtig kommuniziert hat. Die Apotheker können hier mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund des ihnen durch die AvP entstandenen Schadens Zurückbehaltungsrechte geltend machen. Die Apotheker können diese Rezepte über ihre neuen Dienstleister abrechnen.
Außerdem gibt es aber noch zahlreiche Rezepte, die sich bereits bei der AvP befinden. Wie sich mittlerweile immer mehr herausstellt, wurden diese Rezepte ganz überwiegend von der AvP bereits vor meiner Bestellung gegenüber den Kostenträgern abgerechnet. Diese Rezepte kann ich nicht an die Apotheken herausgeben. Zunächst muss ich das Interesse aller Gläubiger im Blick haben. Wenn die Forderungen, die durch diese Rechte verkörpert werden, wirksam an die AvP abgetreten wurden, stehen sie und die entsprechenden Zahlungen der Kostenträger der Insolvenzmasse und damit den Gesamtgläubigern zu. Darüber hinaus ist es möglich, dass bereits abgerechnete Rezepte an die betreffenden Kostenträger zu übergeben sind. Sollten sich bei der AvP noch Rezepte befinden, die hingegen noch nicht abgerechnet wurden, werde ich diese voraussichtlich kurzfristig gegenüber den Kostenträgern abrechnen und Zahlungen darauf auf Treuhandkonten separieren, bis die Rechtslage geklärt ist.
PZ: Werden die Apotheker Gelder denn jemals erhalten, die jetzt noch auf die Konten der AvP überwiesen werden?
Hoos: Ja, die Frage ist nur, ob einzelne Apotheken bereits heute ein sogenanntes Aussonderungsrecht haben, also bevorzugt Rezepte oder Geld bekommen, oder ob diese Gelder im Lauf des Insolvenzverfahrens als sog. Quote gleichmäßig an alle Gläubiger ausgezahlt werden. Dabei bilden die Apotheker derzeit die größte Gruppe. Aktuell prüfe ich die behaupteten Aussonderungsrechte der Apotheker. Zwar gibt es zahlreiche verschiedene Vertragskonstellationen. Es deutet aber nach aktuellem Stand einiges darauf hin, dass die Gelder zur Insolvenzmasse gehören.
PZ: Gibt es denn inzwischen belastbare Informationen darüber, über wie viel Geld wir hier reden?
Hoos: Natürlich weiß ich, welche Beträge ich auf den Konten der AvP vorgefunden habe. Dies kann ich aber nicht in der Öffentlichkeit mitteilen und muss zunächst dem vorläufigen Gläubigerausschuss und dem Insolvenzgericht berichten. Darüber hinaus wächst der vorgefundene Betrag ja möglicherweise auch noch an, wenn Rezepte abgerechnet werden oder insolvenzspezifische Ansprüche durchgesetzt werden können. Letztendlich fehlen die vorhandenen Beträge aktuell bei den Apotheken. Das bringt die Apotheken natürlich in eine schwierige Situation, für die ich volles Verständnis habe. Teilweise fehlen Apotheken sechsstellige Summen, teilweise sogar bis in den Millionenbereich bei Zyto-Apotheken. Bei aller Sympathie für die Apotheken und deren besondere Stellung in unserer Gesellschaft, muss ich mich bei der Verteilung aber an gesetzliche Regelungen halten und dafür sorgen, dass die vorhandene Masse dementsprechend möglichst gerecht auf alle Gläubiger verteilt wird.
PZ: Das Thema hat inzwischen die Politik erreicht, es geht um staatliche Hilfe und vergünstigte Kredite. Wie ist Ihre Meinung zu möglichen Staatshilfen?
Hoos: Das Verfahren ist so besonders, weil es hier um die öffentliche Daseinsvorsorge geht. Teilweise fehlt Apotheken aktuell die Liquidität eines Monatsumsatzes. Das kann eine Apotheke schon in eine erhebliche Schieflage versetzen. Der Staat wird das sicher ernst nehmen. Ich würde mich natürlich freuen, wenn die betroffenen Apotheken Überbrückungskredite erhalten.