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„Problemapotheker” brauchen Geduld

15.12.2003  00:00 Uhr
Beschwerdemanagement

„Problemapotheker” brauchen Geduld

von Patrick Hollstein, Berlin

Erregt vorgebrachte Beschwerden frustrierter Kunden gehören zum Apothekenalltag. Viele Apotheker befürchten, dass mit dem In-Kraft-treten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) eine besonders kräftige Welle der Unzufriedenheit über sie hereinbrechen wird. Doch jede Reklamation birgt auch die Chance zur Stärkung der Kundenbindung.

Imageeinbußen, wirtschaftliche Verlustängste, perspektivische Ungewissheit – für viele Apothekeninhaber ist die Gesundheitsreform allgegenwärtig. Wenige Tage vor In-Kraft-treten des GMG wird nun ein lange erwartetes Problem offensichtlich: Der Informationsbedarf der Öffentlichkeit zu den konkreten Veränderungen der Gesundheitsreform ist nach wie vor sehr hoch. Maßnahmen wie veränderte Zuzahlungsregelungen, strengere Befreiungsmodalitäten oder die generelle Ausgrenzung verschreibungsfreier Arzneimittel aus der Erstattung treffen die Patienten ab dem 1. Januar 2004 hart. Und sie treffen sie vor allem in der Apotheke.

Es ist vorauszusehen, dass sich Unverständnis, Ärger und Frustration der Versicherten nicht nur in Ausnahmefällen in den deutschen Offizinen entladen werden. Viele Apotheker fühlen sich von Politik und Krankenkassen allein gelassen und befürchten ungerechtfertigte Beschuldigungen seitens ihrer Kundschaft.

Beschwerden nicht zurückweisen

Beschwert sich ein Kunde in der Apotheke, bieten sich dem Apotheker meist nicht viele Auswege. Im günstigsten Fall lassen sich gerechtfertigte Reklamationen bearbeiten, betrieblich bedingte Fehler beseitigen und der Kunde zufrieden stellen. Welche Möglichkeiten bleiben aber dem Apotheker, bei dem ein GKV-Versicherter seiner Verärgerung Luft macht über Maßnahmen, die sich über das gesamte Gesundheitswesen erstrecken und für die sich der Beschuldigte nicht verantwortlich fühlt?

„Dem Versicherten wird es in vielen Fällen egal sein, inwieweit seine Beschwerde gerechtfertigt oder richtig adressiert ist. Er wird seinem Ärger in der Apotheke Ausdruck verleihen“, sagt Dr. Frank Esselmann von der MSR Consulting Group. Einen großen Teil aller Belastungen trägt schließlich der Versicherte. Der Apotheker hingegen wird als Teil des teurer werdenden Gesundheitswesens wahrgenommen. Der Apotheker als verantwortlicher Adressat in einem diffus wirkenden System.

Andere Anlaufstellen sind schließlich oft weit mühseliger oder gar nicht erreichbar. Mitunter geht es dem Patienten nicht einmal um eine konstruktive Diskussion; zu erdrückend sind Gefühle wie Wut, Angst und Ohnmacht. Die Tatsache, dass die Apotheken auch eine Inkassofunktion gegenüber den Patientengeldern ausüben, wird das Misstrauen möglicherweise noch begünstigen. Vielleicht hat der Kunde auch überhaupt erst in der Apotheke von den Änderungen erfahren, so dass ihm die Möglichkeit genommen ist, sich noch vor dem Eintreten der Problematik gedanklich mit ihr vertraut zu machen.

Dass dem Kunden stets schon allein auf Grund wirtschaftlicher Überlegungen a priori ein Recht zur Beschwerde eingeräumt werden muss, steht für Dr. Birgitta Goerke, Apothekerin und psychologische Beraterin, fest. Verwehrt man ihm dieses Recht, wird er mit Sicherheit nicht mehr lange zur Klientel der Apotheke gehören. Denn wie groß ein entstandener Konflikt zwischen dem Apotheker und einem Kunden ist und wie nachhaltig er die Beziehung beider zueinander beeinflussen wird, hängt allein von der Sichtweise des Letzteren ab. Der Patient fühlt sich nicht als „Problemkunde“; vielmehr betrachtet er sein Gegenüber als „Problemapotheker“ oder – noch schlimmer – den gesamten Geschäftsbetrieb als „Problemapotheke“.

Wer nun als Apotheker die Beschwerde dieses Klienten als unwichtig, belastend oder unangebracht ansieht und diese Einstellung auch nach außen transportiert, riskiert dauerhafte wirtschaftliche Schäden. Der Kunde fühlt sich – mit Recht – abgewiesen, verliert sein Vertrauen in die Apotheke und kann zum negativen Werbeträger werden. Insofern sollte man sich stets verdeutlichen, dass Missverständnisse beim Umgang mit einem Kunden konsequent zu klären sind und dass ein gestörtes Verhältnis umgehend wiederhergestellt werden muss. Ein Apotheker kann die Auseinandersetzung mit einem Kunden niemals gewinnen, besagt eine alte Geschäftsweisheit.

Kundenbindung möglich

Trotz aller empfundenen Ungerechtigkeit sind die Apotheken der Unzufriedenheit der Versicherten nicht hilflos ausgeliefert. Immerhin wurden keine eigenen Fehler gemacht, die eingestanden, behoben und entschuldigt werden müssen. Zwar werden die Apotheken, auch wenn sie primär keine Schuld an der Gesetzesänderung tragen, Beschwerden ihrer Kunden annehmen müssen. Wenn es ihnen dabei aber gelingt, durch die zielgerichtete, positive Kommunikation konstruktiv auch mit möglicherweise ungerechtfertigter oder falsch adressierter Kritik umzugehen, können Kunden oft überzeugt und langfristig – auch emotional – gebunden werden.

„Ein Kunde mit einer sauber abgewickelten Beschwerde ist loyaler als ein Kunde, der sich gar nicht über einen Missstand beschwert“, erläutert Esselmann. Durch ein so genanntes Beschwerdemanagement soll die Abwanderung unzufriedener Kunden vermieden und die positive Mundpropaganda zufrieden gestellter Beschwerdekunden genutzt werden.

„Dass der Apotheker offen seinen Standpunkt vertritt, ist in diesem Zusammenhang wichtig, der Kunde muss überzeugend über die Zusammenhänge informiert werden. Eine positive Reaktion auf die Beschwerde ist aber noch wichtiger. Schließlich wird ein Kunde, der „abgewimmelt“ wurde, die Apotheke mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr betreten und zudem in seinem Umfeld über diese schlechte Erfahrung sprechen“, so Esselmann.

Letztendlich muss jeder, der Arzneimittel benötigt, beinahe zwangsläufig in eine Apotheke gehen. Der Apotheker hat also einerseits die Chance, trotz einer negativen Ausgangskonstellation den strittigen Umsatz zu machen. Er kann aber darüber hinaus auch dafür sorgen, dass sein Gegenüber mit einem positiven Erlebnis im Gedächtnis immer wieder kommt. Wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass die Beschwerde positiv abgewickelt wird.

Anliegen des Kunden ernst nehmen

Beschwerden und Reklamationen werden meist zuerst auf emotionaler Ebene vorgetragen, erklärt Goerke. Der Apotheker müsse sich dieser Tatsache stets bewusst sein und dürfe sich auch durch heftige Vorwürfe nicht aus der Ruhe bringen lassen. In der ersten Phase der Gesprächsführung sollte sich der Kunde alles, was ihn stört oder gestört hat, von der Seele reden können. Dieser Prozess der Annahme einer Beschwerde stellt eine Schlüsselsituation dar.

Kein Mitarbeiter sollte „ausrasten“, selbst wenn sich der zwanzigste Kunde am Tag ungehalten zum selben Problem äußert. Hier gilt es, eine innere Distanz zu finden und die Beschwerden nicht persönlich zu nehmen, selbst wenn ein „Nörgler“ bei großem Andrang in der Offizin keine Rücksicht auf die Stresssituation des Apothekers nimmt. Häufig muss der Kunde seinem Ärger Luft machen und sein Ziel attackieren, bevor er sachlich über die inhaltlichen Aspekte seiner Beschwerde sprechen oder gar andere Meinungen überdenken kann.

Doch bereits in dieser ersten Phase des aktiven Zuhörens lasse sich oft schon herausfinden, wo die eigentlichen Probleme liegen und was dem Kunden wirklich „unter den Nägeln brennt“, macht Goerke deutlich. Häufig hat man es mit Menschen zu tun, die sich selbst in sozialen Schwierigkeiten befinden (Arbeitsplatzverlust, Geldschwierigkeiten, Krankheiten in der Familie) oder die von ihrer Persönlichkeitsstruktur her dazu neigen, ängstlich oder misstrauisch zu sein. Aus diesem Grund sollte der Verkäufer in einer zweiten Phase des Gesprächs den Kunden „emotional abholen“, das heißt durch konstruktive Nachfragen Interesse bekunden und signalisieren, dass er den Ärger versteht oder sogar teilt.

Der Kunde will sich mit seinem Anliegen ernst genommen fühlen und verstanden werden. Hat man den Kunden soweit „beruhigt“, dass eine sachliche Unterhaltung möglich ist, empfiehlt es sich, offen über die Problematik zu sprechen. In einer Art Bestandsaufnahme sollte geklärt werden, was die eigentlichen Beschwerdegründe sind. Mitunter bemerkt der Kunde in dieser Phase seine eigene Unsachlichkeit. Gemeinsamkeiten wirken Vertrauen erweckend, und die Tatsache, dass die Apotheken für das GMG nicht verantwortlich zu machen beziehungsweise sogar selbst in erheblichem Maße betroffen sind, kann in der Kommunikation mit dem Kunden helfen, dieses Gemeinschaftsgefühl zu wecken.

Der Verweis auf Politiker oder Krankenkassen sollte aber nur dezent erfolgen, zumal Schuldzuweisungen meist in eine Sackgasse führen. Vielmehr sollte der Apotheker signalisieren, dass er in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem Kunden das Beste aus der neuen Situation machen will. Außerdem sollten die Apotheken verschiedene Kontaktadressen bereit halten, um die Kunden bei Auftreten eines sachlichen Problems weiterleiten zu können.

 

Tipp Die Beratung psychisch belasteter Kunden in der Apotheke stellt hohe Anforderungen an das Personal. Das Buch „Patient und Psyche“ aus dem Govi-Verlag erläutert Grundlagen der Kommunikation, die für eine erfolgreiche Beratung erforderlich sind, informiert über häufig auftretende psychische Störungen wie Phobien, Depressionen, Schizophrenie, Demenz, Sucht oder Trauer und beschreibt unterschiedliche Kommunikationssituationen in der Apotheke. Durch Übungen und Fallbeispiele werden dem Leser praktische Hinweise für den Umgang mit Kunden im Apothekenalltag gegeben. Darüber hinaus zeigt die Autorin Dr. Birgitta Goerke auf, wo im Verhältnis der Apothekenmitarbeiter zueinander psychische Faktoren eine große Rolle spielen und worauf im täglichen Miteinander geachtet werden sollte, um möglichst effizient zu arbeiten. Abschließend werden verschiedene Therapieverfahren genannt und gegeneinander abgegrenzt.
  • Birgitta Goerke: Patient und Psyche. Eine Einführung für Pharmazeuten. Govi-Verlag 2003. 246 Seiten, broschiert. ISBN 3-7741-0983-4. EUR 28.

 

Der Apotheker darf nicht abwiegelnd wirken, er muss informieren und erklären, um Verständnis zu wecken und seine eigenen Interessen wahren zu können. Gerade um misstrauischen Kunden zu begegnen, könne der Apotheker durchaus offen auf seine Rolle als Geschäftsmann und die unsichere Zukunft hinweisen, macht Goerke deutlich.

Tatsächlich muss aber der Apotheker im direkten Kontakt abwägen, wie zielführend das Gespräch ist und es gegebenenfalls auch beenden können. Einen notorischen Nörgler werde man nicht „bekehren“ können, kritische Kunden ließen sich aber positiv stimmen, erläutert Esselmann. Das Gespräch sollte gekennzeichnet sein durch Zuhören, Erklären, dem Aufzeigen von Lösungsmöglichkeiten und – soweit möglich – durch das Benennen von Kontakten. Esselmann empfiehlt, sich mit Kollegen und Mitarbeitern regelmäßig darüber auszutauschen, welche Argumente, Fragen und Einwände auftauchen und welche Erfahrungen mit welchen Kunden gemacht wurden. Das Aufzeigen von Lösungen beinhalte zum Beispiel die Empfehlung von Generika oder sogar des Wechsels in eine kostengünstigere Krankenkasse, so Esselmann.

Plakate oder Handzettel bieten die Möglichkeit, die Kunden bereits vor dem Entstehen kommunikativer Probleme offensiv auf den Sachverhalt anzusprechen und über die Änderungen zu informieren. Die ABDA hatte dies in den vergangenen Wochen bereits flächendeckend umgesetzt und mit Flyern nicht nur die Apothekenkunden, sondern auch die Teams informiert.

Durch Hinweise, dass die Apothekenmitarbeiter gerne bereit sind, nähere Aufklärung zu geben und die resultierenden Probleme zu diskutieren, lässt sich problemlos ein offener Dialog initiieren.

Emotionale Kunden sind wichtig

In einer rational orientierten Welt sind emotionale Kunden Gold wert, wissen die Experten. Der gefühlsmäßig involvierte Kunde ist ein wichtiger Kunde. Er engagiert sich und wird – bei positiven Erfahrungen – häufiger im Bekanntenkreis über diese Erfahrungen sprechen und auch eher wiederkommen. Bei negativen Erlebnissen gilt das Umgekehrte. Die Konfrontation mit ungerechtfertigten oder falsch adressierten Beschwerden ist vielleicht der Preis, den Apotheken hin und wieder für das besondere Verhältnis zu ihren Kunden erbringen müssen. Durch ein professionelles Beschwerdemanagement eröffnen sich dabei aber auch Chancen zur verstärkten Bindung willkommener Kunden, die der Apotheker nutzen sollte. Top

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