Therapie mit Weihrauchextrakten |
16.12.2002 00:00 Uhr |
von Thilo Bertsche und Martin Schulz, Berlin
Immer wieder fragen Kunden in der Apotheke nach Weihrauchpräparaten. Kleinere klinische Studien liefern Hinweise auf eine Wirksamkeit der Extrakte bei verschiedenen Erkrankungen. Wann ist ein Einsatz möglich? Welche Dosierung ist sinnvoll? Gibt es zugelassene Präparate?
Angeregt durch zahlreiche Anfragen von Kollegen im Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis der ADBA, stellen wir hier eine Kurzbewertung vor. Der klinische Einsatz von Weihrauchextrakten bei verschiedenen chronischen Krankheitsbildern wird im Kontext der Wirkmechanismen und der rechtlichen Rahmenbedingungen für Arzt und Apotheker diskutiert.
Konzentration steuert Wirkungen
Weihrauchharz wird auf Grund seiner botanischen Herkunft als Boswelliaharz bezeichnet, da es aus Pflanzen der Gattung Boswellia gewonnen wird. In den Harzextrakten finden sich als pharmakologisch wirksame Substanzen vor allem Boswelliasäuren, aber auch Tirucallsäuren.
Als zentraler Wirkmechanismus konnte für Boswelliasäuren, insbesondere für Acetyl-Keto-Boswelliasäure (AKBA), eine direkte Hemmung der 5-Lipoxygenase gezeigt werden (1). Die 5-Lipoxygenase ist ein Schlüsselenzym zur Biosynthese von Leukotrienen als wichtigen Entzündungsmediatoren. Daneben wirken Extrakte und ihre isolierten Inhaltsstoffe auf Signaltransduktionskaskaden, die für die Vermittlung von Zellantworten eine wichtige Rolle spielen (2, 3). Mechanismen der Proliferation, Differenzierung und Apoptose werden zum Beispiel durch eine Hemmung von Topoisomerasen beeinflusst (4, 5). Außerdem sind Effekte auf die humane Leukozyten-Elastase (6) sowie auf das für die Immunabwehr wichtige Komplementsystem beschrieben (7).
Durch unterschiedlich wirksame Inhaltsstoffe und verschiedenartige Angriffspunkte sind die Wirkungen je nach Konzentration auch gegenläufig. So können bestimmte Tirucallsäuren (3-Acetoxy- und 3-Oxo-Tirucallsäure) in niedriger Konzentration mittels Signaltransduktionskinasen die Leukotrienbildung stimulieren. In höheren Konzentrationen jedoch wird deren Bildung vermutlich durch direkten Angriff an der 5-Lipoxygenase gehemmt (8).
Diese Mechanismen lassen einen therapeutischen Nutzen bei Entzündungs- oder Tumorerkrankungen vermuten. Kleinere klinische Studien liefern erste Anhaltspunkte für eine Wirksamkeit am Patienten.
Klinische Untersuchungen
Der Nutzen von Weihrauchextrakten wurde bislang in der Rheumatologie, Gastroenterologie, Pulmologie sowie Neurologie klinisch untersucht.
Rheumatologie: Eine multizentrische Studie mit 78 Patienten, die an rheumatoider Arthritis litten, lieferte widersprüchliche Ergebnisse. Das Behandlungsschema sah in der ersten Woche eine Gabe von dreimal 400 mg Boswellia-serrata-Extrakt und in den folgenden elf Wochen im ersten Studienarm dreimal 1200 mg und im zweiten Arm dreimal 800 mg vor. In einer zusammenfassenden Bewertung wurde von signifikanten Effekten gesprochen (9). Eine weitere Veröffentlichung, die lediglich Daten aus einem Zentrum dieser Studie zeigt, stellt jedoch fest, dass keine Beeinflussung im Schmerzscore oder von Entzündungsparametern wie CRP oder BSG zu beobachten sei (10).
Gastroenterologie: Klinische Studien in Indien, die den Einsatz von Boswellia serrata-Extrakten bei der entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa untersuchten, kamen zu dem Ergebnis, dass der Harzextrakt vergleichbar gut wirkte wie das Standardtherapeutikum Sulfasalazin (11, 12).
Diese positiven Ergebnisse konnten in einer Studie an der Morbus Crohn-Ambulanz in Mannheim bei Patienten, die unter der entzündlichen gastrointestinalen Erkrankung Morbus Crohn litten, bestätigt werden. Die Patienten erhielten bis zu acht Wochen dreimal drei Tabletten Mesalazin 500 mg eine Stunde präprandial oder dreimal drei Tabletten des Fertigarzneimittels H15 (400 mg Boswellia-Harzextrakt) postprandial. Hinsichtlich der Scorewerte waren die Therapien ebenbürtig. Ausmaß und Häufigkeit von Nebenwirkungen waren bei H15 sogar seltener. H15 zeigte durch die Einnahme nach den Mahlzeiten keine gastrointestinalen Unverträglichkeiten; erhöhte Infektanfälligkeit oder Müdigkeit wurden jedoch als mögliche Nebenwirkung aufgeführt (13).
Pulmologie: In einer placebokontrollierten Studie an 40 Patienten mit Asthma bronchiale führten dreimal 300 mg Boswellia-serrata-Extrakt pro Tag per os zu einem im Vergleich zu Placebo fünffach erhöhten Anstieg des forcierten exspiratorischen Volumens in einer Sekunde (FEV1) (14).
Neurologie: Es existieren Einzelfallbericht, die von einem dramatischen Anstieg der Nekroserate bei Patienten mit Gliomen und Astrozytomen berichten (15). Dagegen konnten andere klinische Studien bislang lediglich eine günstige Beeinflussung des perifokalen Ödems, aber keine Reduktion des Tumorvolumens bestätigen. Dazu waren jedoch Dosierungen von mindestens dreimal 1200 mg Boswelliaextrakt pro Tag erforderlich (16). Die in Cerebraltumor-Studien eingesetzten Patientenkollektive waren zudem sehr heterogen, was Rückschlüsse aus den Ergebnissen erschwert (17).
Rechtlicher Status
Der Import des klinisch am besten untersuchten Weihrauchpräparates H15 ist auf ärztliche Verschreibung aus dem Ausland (Indien) nach § 73 Absatz 3 AMG möglich. Dort ist es zur Behandlung von Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises nach dortigen Bestimmungen erhältlich.
Auf ärztliche Verordnung kann der Apotheker auch eine Rezeptur, zum Beispiel von Kapseln, anfertigen. Man sollte jedoch bedenken, dass es sich beispielsweise bei dem als Rezeptursubstanz verfügbaren Olibanum-Harz um afrikanischen Weihrauch handelt, H15 jedoch indischen Weihrauch beinhaltet. Da die Zusammensetzung bei verschiedenen Weihrauch-Spezies unterschiedlich sein kann, können - wie bei allen Phytopharmaka - Ergebnisse, die mit einem bestimmten Harzextrakt erzielt wurden, nicht ohne weiteres auf andere Extrakte übertragen werden.
Ferner sind homöopathische Zubereitungen nach deutschem Arzneimittelrecht registriert und verkehrsfähig. Eine Anwendung dieser Präparate ist jedoch allenfalls bei Befindlichkeitsstörungen im Rahmen des homöopathischen Therapiekonzeptes sinnvoll. Ein Nutzen in den für Weihrauchextrakte gezeigten Anwendungsgebieten ist für diese Homöopathika, auch für Urtinkturen, nicht belegt.
Am 11. Dezember 2002 hat das Committee for Orphan Medicinal Products der europäischen Zulassungsbehörde EMEA in London eine Stellungnahme (positive opinion) veröffentlicht. In dieser wird eine europaweite Zulassung von Boswellia-serrata-Harzextrakt für die Firma Pharmasan GmbH, Freiburg, als Orphan Drug zur Behandlung von perifokalen Ödemen bedingt durch Hirntumore positiv beurteilt (18).
Fazit: Ausreichend dosieren Weihrauchextrakte sind für die genannten Indikationsgebiete in kleineren klinischen Studien teilweise mit Erfolg eingesetzt worden. Ein therapeutischer Einsatz kann, wenn klassische Evidenz-basierte Therapieregime nicht möglich sind oder versagt haben, in Einzelfällen gerechtfertigt sein.
Extrakt-Zubereitungen mit einem standardisierten Boswellia- und Tirucallsäuregehalt und dokumentierter Bioverfügbarkeit wären wünschenswert, sind aber noch nicht verfügbar. Zumindest sollten klinisch untersuchte Extrakte in ausreichend hoher Dosierung angewandt werden, um der erwünschten antiinflammatorischen Wirkung entgegengerichtete Effekte zu vermeiden. In manchen klinischen Studien erwiesen sich erst Dosierungen von 1200 mg Boswellia-serrata-Harzextrakt dreimal täglich als wirksam.
Nebenwirkungen sind relativ selten und gering ausgeprägt und können zum Teil durch eine Einnahme nach den Mahlzeiten reduziert werden. Ein Import von im Ausland verkehrsfähigen Präparaten oder die Anfertigung im Rahmen einer Individualrezeptur sind auf ärztliche Verordnung möglich.
Die europäische Zulassung von Boswellia-serrata-Harzextrakt als Orphan Drug zur Behandlung von peritumoralen Hirnödemen steht kurz bevor.
Literatur
Anschrift der Verfasser:
Zentrum für Arzneimittelinformation und Pharmazeutische Praxis (ZAPP) der ABDA
Jägerstraße 49/50
10117 Berlin
© 2002 GOVI-Verlag
E-Mail: redaktion@govi.de