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Was Piloten schadet, muß für Philippinos nicht schlecht sein

14.12.1998  00:00 Uhr

-PolitikGovi-Verlag

WAS WIR IHNEN BISLANG ERSPARTEN

Was Piloten schadet, muß für Philippinos nicht schlecht sein

Solidaritätsstärkungsgesetz, innovative Arzneistoffe, Deutscher Apothekertag - vergessen Sie's. Die wirklich spannenden Themen dieses Jahres haben wir Ihnen bislang vorenthalten. Kurz vor Toresschluß wollen wir einen Teil des Versäumten nachholen.

Top-Thema des Jahres war Viagra. Als potenzschwaches Herzmittel gescheitert, entdeckte Sildenafil als Errektionshilfe das Licht am Ende von Pfizers Forschungspipeline und versetzte ganz Deutschland, ganz Europa, ja die ganze Welt in Erregung. Kaum ein Tag verging, der keine brandaktuellen Informationen ans Tageslicht brachte.

Schon früh, nämlich am 25. Mai, bezogen die philippinischen Bischöfe Stellung. Sie begrüßen Viagra, „wenn das Mittel dem ehelichen Leben zugute kommt". Unter dieser Prämisse ist der Bedarf im Zentrum des katholischen Glaubens konsequenterweise gering: „Kein Viagra in der Vatikanapotheke", meldete deshalb auch die italienische Agentur Ansa am 13. Oktober.

Als glühender Verehrer des Pfizer-Produktes outete sich dagegen der Brasilianer Elcio Berti. Der Mann ist Bürgermeister der Kleinstadt Bociauva und möchte offensichtlich lieber einer größeren Stadt vorstehen. Wie die Zeitung „O Globo" am 24. Juni berichtete, hat er die Potenzpille im großen Stil eingekauft, um sie an die Männer des Ortes gratis weiterzugeben. 62.000 DM soll Berti bereits in die blauen Rhomben investiert haben. Und weil der Bürgermeister auf Nummer Sicher gehen wollte, hat er den Verkauf von Anti-Baby-Pillen und Kondomen in Bociauva verboten.

Bleibt zu hoffen, daß es in dem Ort nicht zu viele Piloten gibt, denn denen riet die US-amerikanische Aufsichtsbehörde FAA am 27. Oktober, auf Viagra zu verzichten. Das Medikament könne ins Auge gehen und das Sehvermögen beeinträchtigen. Mindestens vier Stunden sollten zwischen Einnahme und Abflug verstreichen.

Es drängt sich die Frage auf, ob der Behörde der Verwendungszweck von Viagra bekannt ist. Wer es einnimmt, steigt im allgemeinen nicht direkt danach in ein Flugzeug, sondern sucht sich einen bequemeren Ort. Aber möglicherweise ist es ja die FAA, der - wer weiß warum - der Durchblick fehlt.

Mit steigender Viagramanie wuchs auch die Zahl der Mahner rapide an. Für Beziehungsprobleme sei die Pille kein Allheilmittel, warnten Psychotherapeuten und Psychologen. Wer hätte das gedacht? Auch die Leserinnen der „Freundin" wissen bereits seit Mai, daß zwar „jeder zweite Mann unter Potenzstörungen leidet", dies aber nur selten ein Fall für Viagra ist.

Schuld daran haben die Frauen. Sie verunsichern ihre Männer so stark, daß diese „ihre Erfüllung nicht mehr beim Sex, sondern beim Bodybuilding, Surfen und Snowboarden suchen", berichtete die „Freundin" weiter. Sollten also Sie, liebe Apothekerinnen, gerade darüber nachdenken, ob Sie ihrem Mann Hanteln, ein Surfbrett oder ein Snowboard schenken - lassen Sie es bleiben. Versprechen Sie ihrem Partner einfach, ihn im kommenden Jahr nicht mehr zu verunsichern oder unter Druck zu setzen.

Unter Druck stehen auch Hollands Mediziner. „Immer mehr niederländische Patienten bedrohen Ärzte," vermeldete dpa am 24. Juni. Nach einer Umfrage der Utrechter Ärztevereinigung wurden einige Patienten dabei sogar handgreiflich, ein Arzt mußte entnervt - von einem Patienten ständig terrorisiert - umziehen.

Als Verursacher des Konfliktes scheiden zumindest die jungen Ärzte aus. Schlechte Umgangsformen können sie sich nicht leisten, denn „unfreundliche Medizinstudenten dürfen in den Niederlanden keine Ärzte werden", stellte dpa am 22. September klar. In Amsterdam sollen Psychologen, Ärzte und Pfleger beurteilen, ob die angehenden Halbgötter in Weiß auch ausreichend freundlich und höflich sind. Von den Utrechter Vorgängen scheint dieser ärztliche Knigge-TÜV allerdings unbeeindruckt zu sein. Demnächst sollen auch Patienten in das Gremium aufgenommen werden. Wird hier nicht der Bock zum Gärtner gemacht?

Kein Wunder, daß immer mehr Ärzte ihren Streß und Kummer mit Alkohol herunterspülen. Nach einem kanadischen Bericht, der am 3. Februar in Genf vorgestellt wurde, trinken sie, genauso wie Rechtsanwälte, häufiger am Arbeitsplatz Alkohol als Angehörige anderer Berufsgruppen. Die wirtschaftlichen Folgen des Alkoholmißbrauchs beziffert die Studie weltweit auf mehrere Milliarden DM.

Alkoholmißbrauch? Sucht? Volksdroge Alkohol? Solche Wörter hören Deutschlands Brauer, Winzer und Wirte überhaupt nicht gern. Bier und Wein seien keine Drogen, sondern als „traditionelle Nahrungs- und Genußmittel Bestandteil der christlich-abendländischen Kultur," stellten sie einen Monat später, am 9. März, klar. Ein Dorn im Auge sind ihnen die diskriminierenden Maßnahmen der Gesundheitsministerkonferenz, mit denen so unsinnige Ziele wie eine Beschränkung des Alkoholverkaufs in Kantinen erreicht werden solle.

Und auch das Totschlagargument des Jahres 1998 war den Händlern von Vergorenem nicht zu flach: Ein ‘Aktionsplan Alkohol’ würde Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Gastronomie haben, warnten sie. Wer also reichlich Wein und Bier trinkt, schadet zwar vielleicht seiner Leber, dem Standort Deutschland hilft er aber selbstlos auf die Beine. Sorgen über den Geisteszustand der Verfasser sind angebracht. Ob wirklich Ärzte den meisten Alkohol am Arbeitsplatz trinken?

Tierärzte hatten in diesem Jahr keinen Grund, sich zu beklagen. Und ihre Patienten schon gar nicht. Seit dem Frühjahr steht nämlich ein Medikament zur Verfügung, auf das Hunde und ihre Besitzer gleichermaßen sehnsuchtsvoll gewartet haben: „Neues Medikament für Hunde soll Trennungsschmerz lindern," jubelte dpa am 14. April. Besonders sensible Hunde reagierten auf die Abwesenheit ihrer Ernährer mit „exzessivem Bellen, Verunreinigung und Zerstörung der Wohnung". Die von Novartis entwickelte Pille soll Mobiliar und Mitbewohner schützen.

Doch hilft die Chemie nicht allein. Begleitet wird die Einnahme des Trennungsanalgetikums von einem Verhaltenstraining. Im Unklaren läßt uns die Agentur leider darüber, ob das Medikament nur dem Tier hilft. Vielleicht wäre auch mancher Tierbesitzer dankbar, wenn ihm die Zeit der Einsamkeit erleichtert würde.

Sträflich vernachlässigt haben wir im vergangenen Jahr, Sie gebührend auf Gefahren des Alltags hinzuweisen. Wir haben Ihnen vorenthalten, daß Streß und Schlemmerei in der Weihnachtszeit Migräne auslösen können. Am 3. Dezember warnte die Deutsche Migränegesellschaft vor allem Frauen, die besonders häufig betroffen sind.

Doch bietet die Weihnachtszeit noch weitere Gefahren. „Pollenallergiker sollten sich bei Weihnachtsplätzchen zurückhalten," vermieste der Allergologe Professor Dr. Hans Benkler am 12. Dezember Frauen mit Heuschnupfen endgültig die Vorfreude aufs Fest. Auf der roten Liste stehen Anis, Koriander, Nüsse und Kernobst.

Und wenn die Weihnachtszeit vorbei ist, lauert bereits die nächste saisonale Gefahr. Nein, nicht das Frühjahr - Karneval steht vor der Tür und damit die Karnelvalsallergie, die nach Meinung des Landesverbandes der Betriebskrankenkassen in Nordrhein-Westfalen „die Jecken an Rhein und Ruhr bedroht" (dpa vom 13. Februar). Wer zuviel Karnevalsschminke trägt, müsse mit Ekzemen rechnen. Menschen, die nicht an Rhein und Ruhr aufgewachsen sind, werden sich möglicherweise Fragen, ob ein Ekzem nicht eine vergleichsweise moderate physiologische Antwort des Körpers auf das ist, was ihm zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch angetan wird.

Zum Schluß muß auch noch vor allerhand technischen Gerät gewarnt werden. Der Tennisarm lebt wieder auf. Allerdings sind weder Filzkugel noch Carbonschläger daran schuld, sondern die Computermaus. Stundenlange Arbeit erfordere höchste Präzision und sei deshalb extrem anstrengend, berichtete dpa am 9. Oktober. Bill Gates dürfte mit einiger Sorge den ersten Schadensersatzprozessen in den USA entgegenblicken. Vielleicht erweist sich die Abkehr vom Betriebssystem DOS im nachhinein als milliardenschwerer Fehler.

Auch keinen Grund zum Frohlocken gibt es, wenn Sie Ihre Freizeit statt am Computer vor dem Fernseher verbringen, denn „zu langes Fernsehen macht dick". Die amerikanische Ärztegesellschaft meldete im März, daß Jugendliche, die täglich mehr als vier Stunden vor der Mattscheibe verbringen, signifikant dicker sind als Alterskollegen, die weniger fernsehen. Unerwähnt blieb leider, welche Sender besonders dick machen, ob Serien schneller ansetzen als Nachrichten und Johannes B. Kerner vielleicht noch andere Nebenwirkungen hat.

Keine Frage, das Leben ist gefährlich und unabwägbar. Dies sollte Sie aber nicht dazu verleiten, für die Zukunft schwarz zu sehen. Sie schaden nämlich vor allem sich selbst, denn „Pessimisten sterben früher", titelte die ärztliche Praxis am 27. April.

Nach einer amerikanischen Studie sind Unfälle und Selbstmord die Hauptursachen für die Kurzlebigkeit von Schwarzsehern. Pessimisten seien unfähig, Probleme zu lösen und neigten zu riskanten Entscheidungen. Sie befänden sich deshalb häufiger „zur falschen Zeit am falschen Ort".

Es gibt also gute Gründe, trotz Solidaritätsstärkungsgesetz, Asienkrise und Treibhauseffekt, dem Hier und Jetzt einige positive Seiten abzugewinnen. Und es gibt auch Anlaß zur Freude: Seit dem 18. Februar haben Männer im Hormontief ihre eigene Hotline; Nierenspender leben länger als andere Menschen und Menschen mit Putzfimmel oder Sammelwut, finden jetzt Hilfe bei der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen.

Hoffnungsfroh hat uns auch eine Initiative des Berufsverbandes der Frauenärzte gestimmt. Sie wollen ihre Bemühungen in der prägraviden Vorsorge intensivieren und hoffen dabei auf die Unterstützung von Schulen. Weil dort sicherlich kein Mensch weiß, was prägravide Vorsorge ist, nennen die Ärzte ihr Programm "Fit for Pregnancy".

In dem Fach Gemeinschaftskunde sollen Schülerinnen über die richtige Ernährung sowie den korrekten Lebensstil vor und während der Schwangerschaft aufgeklärt werden. Keine Frage, das ist eine gute Idee. Ob allerdings die Eltern der Schülerinnen auf den Titel "Fit for Pregnancy" mit Enthusiasmus reagieren, das müssen wir bezweifeln. Womöglich wird die Sorge, die minderjährige Tochter sei noch nicht für eine Schwangerschaft fit, nicht von allen Erziehungsberechtigten geteilt.

PZ-Artikel von Daniel Rücker, EschbornTop

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