Halleluja-Übung und Hochdosis Chemotherapie |
14.12.1998 00:00 Uhr |
"Naturheilkunde und Alternativmedizin werden häufig falsch verstanden", erklärte Gabius seinen etwa 350 Zuhörern. Die Anthroposophie gehe von einem völlig anderen Weltbild aus, mit dem sich die naturwissenschaftlich ausgerichtete Medizin nicht vereinbaren läßt (siehe auch Titelbeitrag PZ 25/98). Die Ursache von Krebserkrankungen liegt nach den anthroposophischen Lehren im Bereich Äther- und Astralleib, die durch naturwissenschaftliche Methoden nicht erfaßbar sind. Die Anwendung von Mistelpräparaten müsse daher in ein anthroposophisches Gesamtkonzept eingebunden werden, zu dem auch "die Pflege des Schlaflebens, die künstlerische Betätigung am Tag, Bäder in Zitrone, die die ausfließen wollenden Lebenskräfte einiger Patienten raffe und den Ätherleib stärke sowie die Halleluja-Übung und das A mit Rückwärtsschritten" gehören, zitierte Gabius.
Bei der biochemischen Untersuchung von Mistelpräparaten habe sich gezeigt, daß die darin enthaltenen Lektine in bestimmten Konzentrationen Immunfaktoren stimulieren können. Das Immunsystem ist aber in seiner ganzen Komplexität noch längst nicht verstanden und eine Immunstimulation kann Tumore auch zu verstärktem Wachstum anregen. Tatsächlich gebe es keine Erkenntnisse darüber, ob Mistelpräparate die Lebenszeit von Krebspatienten verlängern, so Gabius.
Wenn ein Patient nach der Misteltherapie fragt, solle man ihn ehrlich und fair beraten und auf die derzeitige Datenunsicherheit hinweisen. Dazu gehöre auch die Erklärung, daß die Anwendung von Mistelpräparaten unterschiedliche Folgen haben könne: Einigen Patienten könne sie helfen, bei anderen habe sie keine Wirkung auf den Tumor; der Tumor könnte jedoch auch verstärkt weiterwachsen und im Knochenmark ruhende Tumore könnten sogar zum Wachstum angeregt werden. Während einer Therapie mit Mistelpräparaten sollten daher immer die Tumormarker kontrolliert werden, um bei deren Anstieg die Therapie abbrechen zu können.
Über das kolorektale Karzinom und neue Therapieschemata zur Behandlung dieser Erkrankung informierte Dr. Andreas Hastrick von der Inneren Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums Essen. Das Zytostatikum 5-Fluorouracil solle nicht oral, sondern als Infusion gegeben werden, da dadurch die Rezidivrate und die Metastasenbildung sowohl beim Rektumkarzinom als auch beim Kolonkarzinom im Vergleich zur oralen Applikation gesenkt werden könnten. Als Standard definierte Hastrick die Kombination aus 5-Fluorouracil und Folinsäure. Auch Patienten, deren Primärtumor bereits Metastasen entwickelt hat, sollten noch chemotherapeutisch behandelt werden. Der Überlebensgewinn sei zwar gering, die Lebensqualität könne jedoch verbessert werden.
Als neue Substanzen bei der Behandlung des Kolonkarzinoms stellte Hastrick Oxaliplatin, Topoisomerase-I-Inhibitoren, Thymidylatsynthase-Inhibitoren und Capecitabin vor. Capecitabin zählt zu den oralen Antimetaboliten. Es wird vor allem von Tumorzellen in 5-Fluorouracil umgewandelt, gesunde Zellen bilden das Zytostatikum in geringeren Mengen. Dadurch verursacht das Präparat weniger Nebenwirkungen.
Dr. Ute Klaassen, ebenfalls von der Inneren Klinik und Poliklinik Essen, plädierte für die Hochdosistherapie bei der Behandlung des Mammakarzinoms. Zwischen Induktions-Chemotherapie und Beginn der Hochdosis-Chemotherapie solle einige Zeit verstreichen. Im Vergleich zur Hochdosistherapie in direktem Anschluß steigere die verzögerte Hochdosis-Chemotherapie die Überlebensrate. Da Metastasen häufig an derselben Stelle auftreten wie der Primärtumor, sei es sinnvoll, eine Lokaltherapie wie zum Beispiel Bestrahlungen in die Tumorbehandlung zu integrieren.
Ein neues Medikament zur Behandlung des Mammakarzinoms ist der monoklonale Antikörper Herceptin, den die FDA bereits für die Anwendung bei metastasierendem Brustkrebs zugelassen hat. Der Antikörper erkennt HER2, einen Rezeptor für den Wachstumsfaktor erb2B. HER2 ist bei 25 bis 30 Prozent der Brustkrebs-Patientinnen in großen Mengen auf den Tumorzellen zu finden. Der Antikörper blockiert den Rezeptor und die Zellen werden nicht mehr permanent zur Teilung angeregt. Erste Studien mit dem Antikörper scheinen erfolgversprechend.
Auf die Wichtigkeit der pharmazeutischen Betreuung von Krebspatienten wies Professor Dr. Marion Schaefer, Humboldt-Universität Berlin, hin. Die Patienten sollten in den veschiedenen Phasen ihrer Erkrankung optimal beraten werden. Allerdings nur, wenn sie von sich aus das Gespräch suchen. Bei der Vorsorge könnten Menschen mit latenter Krebsangst durch fundierte Beratung in die Lage versetzt werden, selbst zu agieren und nicht mehr ängstlich abzuwarten. Der Apotheker sei wichtiger Gesprächspartner bei der Verarbeitung des Diagnoseschocks und Informationsquelle bei Fragen zur Erkrankung und bei der Vermittlung von Selbsthilfegruppen. Apotheker könnten Orientierungshilfe bei unkonventionellen Therapieansätzen bieten, zu denen auch Entspannungstechniken, Musik- und Bewegungstherapie gehören.
PZ-Artikel von Ulrike Wagner, Münster
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