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Alzheimer-Demenz ist nicht heilbar, aber zu verzögern

24.11.1997  00:00 Uhr

-Medizin

Govi-Verlag

Alzheimer-Demenz ist nicht heilbar,
aber zu verzögern

Die Gabe von NSAR (nicht-steroidale Antirheumatika) sowie die von Estrogenen habe nach derzeitigen Erkenntnissen einen präventiven Effekt auf die Entstehung der Alzheimer-Demenz. Gleiches gilt anscheinend auch für die moderate Zufuhr von Alkohol.

So konnte in der Bordeaux-Studie eine deutliche Risikosenkung für Demenz im allgemeinen und Alzheimer im besonderen gezeigt werden, wenn drei bis vier Gläser Wein täglich konsumiert wurden. Dagegen habe Tabakgenuß entgegen zunächst anders lautender Studienergebnisse offenbar keine präventive Wirkung im Hinblick auf Morbus Alzheimer, stellte er klar. Im Gegenteil: In jüngeren Follow-up-Studien beobachtete man bei Rauchern eine Risikosteigerung um rund das 2,5fache, bei Ex-Rauchern lag sie noch bei 1,5.

Ansätze zur Behandlung

Im Gehirn von Alzheimerpatienten findet man extrazelluläre Plaques aus beta-Amyloid-Fibrillen (betaA4) sowie eine intraneuronale Ansammlung von polymerisiertem tau-Protein, erinnerte Professor Dr. Konrad Beyreuther vom Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg. Einen wesentlichen Stellenwert bei der Neurodegeneration im Gehirn der Betroffenen schreibt er dabei dem betaA4 zu. Als "attraktive Hypothese" für dessen Rolle im Alzheimer-Krankheitsgeschehen führte Beyreuther folgenden Mechanismus an: Steigende Konzentrationen von betaA4 hemmen zunehmend den axonalen Transport von tau-Molekülen aus den Zellen und Dendriten; logische Konsequenz sei dann die beobachtete intrazelluläre tau-Aggregation mit ihren neurodegenerativen Folgen. Rationale Therapiestrategien zur Behandlung der Alzheimer-Demenz müssen laut Beyreuther daher auf eine Hemmung der Produktion, Aggregation und intrazellulären Interaktion von betaA4, tau oder anderen axonalen Transportproteinen zielen. Im Hinblick auf die Prävention beziehungsweise Verzögerung des Krankheitsausbruchs und -verlaufs räumt er außerdem der Erziehung und dem permanenten Gehirntraining eine große Rolle ein.

Im Einsatz oder kurz davor

Zur medikamentösen Behandlung der Alzheimer-Demenz kommen zahlreiche Substanzgruppen in Frage. Laut Professor Dr. Jean-Marc Orgogozo, Service de Neurologie in Bordeaux, gehören dazu unter anderem die Muscarin(M1)-Rezeptoragonisten, von denen derzeit einige in klinischer Prüfung sind. Ein anderes Beispiel sei der Glutamatmodulator Memantin, der momentan in Phase II sowohl bei vaskulärer als auch bei schwerer Alzheimer Demenz geprüft werde. In einer Pilotstudie hätten sich damit positive Effekte auf das Verhalten der Patienten erzielen lassen. In einer anderen Untersuchung seien die Auswirkungen einer Behandlung mit dem MAO B-Hemmer Selegilin und/oder dem Antioxidans Vitamin E untersucht worden. Ereignisse wie Tod, Heimeinweisung oder schwere Gedächtnisstörungen hätten durch beide Substanzen verzögert werden können; synergistische Effekte zwischen den beiden habe man jedoch nicht beobachtet.

Die größte Rolle in der medikamentösen Therapie von Morbus Alzheimer spielen zur Zeit jedoch die Acetylcholinesterase(AChE)-Inhibitoren, erinnerte Orgogozo. Vorreiter war hier bekanntlich Tacrin, gefolgt von Donezepil. Carbomyolatin stehe kurz vor der US- und EU-Zulassung und Metrifonat sei gerade für die Behandlung der milden bis mittelschweren Alzheimer-Demenz zur Zulassung eingereicht worden. Weitere AChE-Hemmer befinden sich bereits in Phase III der klinischen Entwicklung.

Am Beispiel des ursprünglich zur Behandlung der tropischen Infektionskrankheit Schistosomiasis entwickelten Metrifonats, rief Perry M.C. de Jongh von der Herstellerfirma Bayer das Ziel der AChE-Inhibition bei Morbus Alzheimer in Erinnerung. Der Erkrankung liege eine gestörte Funktion und der Tod bestimmter Neurone im Gehirn zugrunde, vor allem solcher, die den Neurotransmitter Acetylcholin (ACh) freisetzen. Durch Hemmung des ACh-abbauenden Enzyms Acetylcholinesterase (AChE) wolle man die ACh-Konzentration im Gehirn erhöhen und dadurch die nachlassende Merkfähigkeit, das sich verschlechternde Erinnerungsvermögen und die fortschreitende Abnahme der Alltagskompetenz verzögern.

Metrifonat, das voraussichtlich Anfang 1999 auf den europäischen Arzneimittelmarkt kommen wird, ist ein Prodrug für DDVP (2,2-Dimethyl-Dichlorovinylphosphat); DDVP hemmt die Acetylcholinesterase dosisabhängig und langandauernd, weshalb die einmal tägliche Einnahme von Metrifonat ausreicht. In dem bereits jahrzehntelangen Einsatz zur Schistosomiasistherapie habe sich die Substanz als gut verträglich erwiesen, so de Jongh, zumal die Dosierung bei der Tropenkrankheit mit bis zu 1000mg täglich über 12mal so hoch sei wie bei Alzheimer (bis zu 80 mg/d).

Im Hinblick auf die Wirksamkeit und Patientenakzeptanz von Metrifonat bezog er sich auf zwei klinische Studien. In der ersten, einer zwölf Wochen andauernden, placebokontrollierten Dosisfindungsstudie, erhielten insgesamt 480 Patienten randomisiert entweder eine von vier Metrifonat-Dosierungen (niedrig bis sehr hoch) oder Placebo. Die Hochdosis-Metrifonatgruppe zeigte dabei gegenüber Placebo in beiden Bewertungsparametern statistisch signifikante Verbesserungen. Als häufigste Nebenwirkungen wurden laut de Jongh gastrointestinale Störungen wie Übelkeit, Durchfall oder Magenschmerzen beobachtet. In der zweiten Studie wurde das Hochdosisregime (30 bis 60 mg/d) erneut geprüft; einbezogen waren 408 Alzheimerpatienten, die über 26 Wochen entweder Metrifonat oder Placebo erhielten. Auch hier zeigten sich gegenüber Placebo statistisch signifikante Bessserungen der Gedächtnis- und der Allgemeinfunktion, berichtete de Jongh.

PZ-Artikel von Bettina Neuse-Schwarz, Paris

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