Ein synthetisches Steroid gegen menopausale Beschwerden |
18.11.2002 00:00 Uhr |
von Bettina Fuchs, Frankfurt am Main*
*) unter Mitarbeit von Thilo Bertsche, Hartmut Morck, Martin Schulz, Rolf Thesen und Petra Zagermann-Muncke
Tibolon wird in vielen Ländern bereits seit 1987 zur Behandlung klimakterischer Beschwerden vermarktet. In Deutschland ist der Arzneistoff seit März 1999 im Handel. In einigen Ländern ist das Steroid auch zur Prophylaxe der postmenopausalen Osteoporose zugelassen.
In den Wechseljahren klagen viele Frauen über klimakterische Beschwerden, die sich in Form von Hitzewallungen, Tachykardien, Schwindel, Schlafstörungen, Angstgefühlen, depressiven Verstimmungen, Osteoporose oder Hyperlipoproteinämien äußern können. In diesem Zeitraum fallen die Estrogen- und Gestagenspiegel ab, während die Gonadotropinproduktion auf Grund des zunehmend fehlenden Rückkopplungsmechanismus ansteigt (1).
Zur Linderung der Beschwerden wird die Hormonersatztherapie (HRT) angewendet. Bei der kontinuierlichen kombinierten HRT erhalten die Frauen eine fixe tägliche Dosis Estrogen und Gestagen. Als „Ersatzestrogene“ stehen synthetische Estrogene, konjugierte equine Estrogene (ein Gemisch estrogener Substanzen aus dem Harn trächtiger Stuten, die so genannte Equiline enthalten) und Estradiol als körpereigenes Hormon zur Verfügung (2). Tibolon ist ein synthetisches Steroid zur Behandlung klimakterischer Beschwerden.
Chemische Klassifikation
Bei Tibolon, (7a, 17a)-17-hydroxy-7-methyl-19norpregn-5(10)-en-20-yn-3-on) handelt es sich um ein synthetisches 19-Nortestosteron-Derivat. Eine strukturelle Ähnlichkeit besteht zu Norethisteron.
Indikationen und Anwendung
Tibolon wird im Rahmen der HRT bei klimakterischen Beschwerden als Folge der Menopause eingesetzt. Die letzte Regelblutung sollte bereits zwölf Monate zurück liegen, um das Risiko unregelmäßiger Blutungen gering zu halten.
Wie bei einer Hormontherapie üblich, sollte die empfohlene Dosis von 2,5 mg Tibolon täglich möglichst zum gleichen Zeitpunkt (beispielsweise abends nach dem Essen) eingenommen werden. Ein optimaler Therapieerfolg stellt sich nach einer Behandlungszeit von drei Monaten ein. Die Behandlung kann in dieser Dosierung über einen längeren Zeitraum (während der gesamten Menopause) erfolgen (3).
Bei Anzeichen für eine Thromboembolie, pathologische Werte bei Leberfunktionstests oder einer cholestatischen Gelbsucht sollte die Behandlung abgebrochen werden.
Wirkung und Wirkmechanismus
Das pharmakodynamische Profil von Tibolon setzt sich zusammen aus der Wirkung von Tibolon selbst sowie der seiner drei Hauptmetabolite, die sehr schnell gebildet werden. Tibolon hat eine schwache estrogene, gestagene und androgene Wirkung. Die beiden Hydroxymetabolite haben eine estrogenähnliche Wirkung, während das d-4-Isomer durch Bindung an Gestagen- und Androgenrezeptoren überwiegend gestagene und androgene Wirkungen zeigt (3, 4).
Tibolon hat estrogenartige Wirkungen auf klimakterische Beschwerden, Vagina und Knochen. Im Endometrium dagegen wird das d-4-Isomer gebildet, deshalb steht hier die gestagene Wirkung im Vordergrund. Eine Induktion von Abbruchblutungen ist aus diesem Grund wie bei der Estrogen/Gestagengabe nicht erforderlich. Eine ungewünschte proliferative Stimulation im Endometrium kann unterbunden werden (5). Im Brustgewebe resultieren erniedrigte Estrogenspiegel. In normalen Brust-Epithelium-Zellen zeigt Tibolon einen antiestrogenen Effekt, die Proliferationsrate sinkt, die Zelldifferenzierung und Apoptose sind erhöht (6). Bedingt durch die schwach androgene Wirkung kommt es zu einer Veränderung folgender metabolischer und hämatologischer Parameter: Senkung des Sexualhormon bindenden Globulins (SHBG) und des Thyroxin bindenden Globulins (TBG), Reduktion von HDL-Cholesterol, Triglyceriden und Lipoprotein (a), stimulierte Hämatopoese mit Zunahme des Hämatokrits und der Thrombozytenzahl sowie eine erhöhte fibrinolytische Aktivität des Blutes. Weiterhin kommt es zu einem Anstieg des peripheren Blutflusses durch einen verminderten Gefäßwiderstand.
Die Plasmaspiegel des follikelstimulierenden Hormones (FSH) und des luteinisierenden Hormons (LH) sinken, so dass bei prämenopausalen Frauen nach Gabe von Tibolon die Ovulation unterdrückt wird (3, 4).
Unerwünschte Wirkungen
Uterine Blutungen (auch Schmierblutungen), Bauchschmerzen und Brustspannen treten besonders in den ersten Behandlungsmonaten gelegentlich auf. Blutungen zu einem späteren Zeitpunkt sollten abgeklärt werden.
In 1 bis 10 Prozent der Fälle kann es zu Kopfschmerzen, Migräne, Ödemen, Benommenheit, Pruritus, Gewichtszunahme, Übelkeit, Ausschlag, depressiven Verstimmungen oder Hirsutismus kommen (3).
Bei estrogenartig wirkenden Substanzen kann die Glucosetoleranz vermindert sein (3). In einigen Fällen wurde über plötzliche Blutdruckanstiege berichtet. Daher empfiehlt e sich, unter der Einnahme von Tibolon regelmäßig den Blutdruck zu kontrollieren (7).
Kontraindikationen
Tibolon darf in Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei hormonabhängigen Tumore, kardiovaskulären oder cerebrovaskulären Störungen wie Thrombophlebitis, Thromboembolie (auch in der Anamnese), bei ungeklärten uterinen Blutungen sowie bei schweren Leberfunktionsstörungen oder Lebertumoren nicht angewendet werden. Bei Lebererkrankungen (auch in der Anamnese) sowie Hypercholesterolämie ist eine strenge Indikationsstellung zu beachten (3).
Wechselwirkungen
Bei der Behandlung mit Tibolon sind die folgenden Wechselwirkungen zu beachten: Der therapeutische Effekt von Tibolon kann durch enzyminduzierende Verbindungen wie Barbiturate, Carbamazepin, Hydantoine oder Rifampicin infolge einer beschleunigten Metabolisierung sinken. Eine gesteigerte fibrinolytische Aktivität des Blutes mit verringerten Fibrinogenspiegeln, höheren Konzentrationen von AT III und Plasminogen kann unter Tibolon zu einer Wirkungsverstärkung von Antikoagulantien führen (3).
Pharmakokinetik
Tibolon wird nach peroraler Gabe nahezu vollständig resorbiert. Die Plasmaspiegel, deren Maximum nach ein bis vier Stunden erreicht ist, liegen auf Grund einer raschen Metabolisierung des Arzneistoffs in einem niedrigen Konzentrationsbereich. Aus diesem Grund können die Plasmaspiegel von Tibolon sowie die des d-4-Isomers nur im Maximum bestimmt werden, so dass die absolute Bioverfügbarkeit nicht messen lässt. Tibolon wird bereits im Intestinum und der Leber in großem Umfang durch Reduktion der Carbonyl-Gruppe zu den 3-a- und 3-b-Hydroxymetaboliten umgewandelt. Im Endometrium entsteht durch Shift der 5(10)-Doppelbindung das d-4-Isomer. Diese drei Hauptmetabolite tragen zur pharmakologischen Wirkung bei. Vor kurzem wurde ein weiterer Metabolit identifiziert: 7a-methyl-17a-ethinylestradiol. Ergebnisse von In-vitro Studien zeigen eine starke estrogene Wirkung dieses Metaboliten, die die Wirkung der Hydroxymetaboliten übersteigt (8).
Bei wiederholter Gabe kommt es nicht zur Kumulation. Tibolon und seine Metaboliten werden überwiegend mit dem Stuhl ausgeschieden (60 bis 65 Prozent). Die Eliminationshalbwertszeit von Tibolon liegt bei etwa 45 Stunden, und ist damit vergleichbar mit anderen Steroiden wie Norgestrel oder Norethisteron. Für die Hydroxy-Metabolite liegt dieser Wert bei circa vier Stunden (3, 4).
Klinische Prüfung
In klinischen Studien besserte Tibolon effektiv klimakterische Beschwerden. Die endometriale Atrophie blieb bei über 95 Prozent der 374 postmenopausalen Frauen erhalten (9). In einer Erhebung beklagten 12 Prozent vaginale Blutungen im Vergleich zu 6 Prozent unter Placebo (10). In einer anderen Studie lagen diese Werte bei 20 Prozent (2,5 mg Tibolon täglich) beziehungsweise 9 Prozent ohne Therapie (11).
In einer doppelblinden, randomisierten Studie, an der 437 postmenopausale Frauen mit klimakterischen Beschwerden teilnahmen, wurde die Wirksamkeit von Tibolon mit einer kombinierten Hormontherapie (2 mg Estradiolvalerat plus 1 mg Norethisteron) verglichen. Beide Therapieregime haben dabei sowohl Hitzewallungen als auch Scheidentrockenheit (urogenitale Atrophie) effektiv gebessert. Hitzewallungen linderte die Kombinationstherapie leicht besser als Tibolon. In den ersten sechs Monaten registrierte man unter Tibolon signifikant häufiger Amenorrhoen als unter der kombinierten Hormontherapie. In den zweiten sechs Monaten gab es keinen signifikanten Unterschied, die Häufigkeit lag vergleichbar bei unter 10 Prozent. Die kumulative Blutungshäufigkeit lag bei 34 Prozent unter Tibolon im Vergleich zu 58 Prozent unter Vergleichstherapie (12).
Keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Blutungen zeigten sich bei einer Studie mit 85 postmenopausalen Frauen, die entweder konjugierte equine Estrogene plus Medroxyprogesteron oder Tibolon erhielten. Unterschiedlich waren die Auswirkungen auf die Blutfettwerte: Die konventionelle HRT führte zu niedrigern Gesamtcholesterol- und LDL-Werten. Tibolon senkte die Triglyceride und HDL (13).
In der Postmenopause kann sich eine Osteoporose ausbilden. Eine Estrogentherapie wirkt hier präventiv. Studien zur Osteoporoseprävention haben gezeigt, dass Tibolon vor einem Knochendichteverlust in Wirbelsäule und Oberschenkelknochen schützt, sowie den Umbauvorgang peripherer Knochen verhindert. Diese Effekte von Tibolon auf die Knochen konnten sowohl in frühen wie in späteren Phasen der Postmenopause gezeigt werden (14, 15). In einer Vergleichsstudie mit peroraler und transdermaler Hormontherapie war Tibolon hinsichtlich der Osteoporoseprävention vergleichbar wirksam wie die konventionelle HRT (16). Unter Tibolon traten allerdings weniger Vaginalblutungen und Brustschmerzen auf (17). In Deutschland ist Tibolon nicht zur Prophylaxe der postmenopausalen Osteoporose zugelassen.
Bei Untersuchungen an isoliertem Brustgewebe wurde keine Proliferation von gesunden Brustzellen oder von Tumorzellen beobachtet. In klinischen Studien mit 166 postmenopausalen Frauen nahm die Gewebedichte der Brust unter einer Estradiol-Gestagen-Kombination bei nahezu 50 Prozent der Frauen zu, bei Tibolon waren 2 bis 6 Prozent betroffen. Ob sich das als positiver Effekt auf das Brustkrebsrisiko zu werten ist, wird derzeit in klinischen Studien überprüft (18).
Offen ist, ob Tibolon das kardiovaskuläre Risikoprofil verbessert. Dazu bietet die Studienlage kontroverse Ergebnisse: In klinischen Studien wurde eine periphere Vasodilatation beobachtet (19). Tibolon senkte antiatherogenes HDL, Lipoprotein a, Triglyceride sowie VLDL. Die LDL-Werte blieben unverändert (3).
Auf den Gesamt-LDL-Spiegel hat Tibolon keinen Einfluss. In Abhängigkeit von der Partikelgröße kann das LDL in Subfraktionen unterteilt werden. Bei Betrachtung der Subfraktionen findet sich eine Abnahme der LDL-III-Subfraktion. Diese enthält mehr kleine dichte Partikel, die auf Grund ihrer Anfälligkeit für oxidative Veränderungen sowie einer langsameren Metabolisierung als besonders atherogen gelten (20). Dementsprechend nimmt die Empfindlichkeit von LDL zur Oxidation unter Tibolon ab (21).
Im Vergleich von transdermaler Estrogensubstitution (60 Frauen), peroraler Gabe konjugierter equiner Estrogene (58 Frauen) und Tibolon (73 Frauen) ergaben sich bei den beiden letzten Behandlungsregimen höhere Konzentrationen an ultrasensitivem C-reaktiven Protein (CRSP) (22). CRSP gilt als guter Prädiktor für die koronare Herzkrankheit und kann eine aktive Arteriosklerose anzeigen. Das heißt, unter einer transdermalen Estrogensubstitution ist in dieser Untersuchung von einem geringeren kardiovaskulären Risiko auszugehen.
Arzneimittelprofil
Tibolon ist der arzneilich wirksame Bestandteil von Liviella® des pharmazeutischen Unternehmers Organon GmbH sowie Nourypharma GmbH (Mitvertrieb). Weitere Bestandteile der Tabletten sind Lactose-Monohydrat, Kartoffelstärke, Magnesiumstearat und Palmitoylascorbinsäure (3).
Wertende Zusammenfassung
Tibolon reduziert klimakterische Beschwerden wie Hitzewallungen, Schweißausbrüche und Urogenitalatrophien. Bedingt durch die pharmakologisch aktiven Metabolite resultieren eine estrogene sowie gestagene und androgene Wirkungen. Da diese Metaboliten in unterschiedlichem Ausmaß in den verschiedenen Geweben entstehen, sind ihre Wirkungen und Nebenwirkungen schwer einzuschätzen. Ob sich die gestagene Wirkung ausschließlich auf bestimmte Zielgewebe beschränkt, ist unklar. Ebenfalls noch nicht abschließend geklärt sind die Langzeitauswirkungen auf das kardiovaskuläre System.
Vorteile hinsichtlich der Blutungsfreiheit im Vergleich zur kombinierten kontinuierlichen Estrogen-Gestagen-Substitution wurde nicht in allen kontrollierten Studien gefunden (23). Blutungen treten verstärkt auf, wenn Tibolon früh nach der letzten Menstruationsblutung eingesetzt wird. Deshalb empfiehlt sich eine Einnahme erst zwölf Monate nach diesem Zeitpunkt. Auch scheint sich der einer geringen Blutungsneigung nach längerer Anwendung im Vergleich zur kombinierten Hormontherapie zu relativieren (12).
Tibolon ist eine Alternative zur klassischen Hormonersatztherapie bei Frauen mit starken uterinen Blutungen und Brustspannen. Langfristig angelegte Vergleichsstudien müssen die Vor- und Nachteile der verschiedenen Formen der Therapien aber noch gründlicher beleuchten.
Hormonersatz in der Diskussion Früher ging man davon aus, dass durch eine HRT das kardiovaskuläre Risiko sinkt, aber die Gefahr wächst, an einem Mammakarzinom zu erkranken. Die Bewertung der HRT in Zusammenhang mit kardiovaskulären Erkrankungen musste allerdings revidiert werden: 2001 hat die American Heart Association neue Richtlinien für Hormonersatztherapien herausgegeben. Demnach eignet sich die HRT nicht zur Vorbeugung kardiovaskulärer Erkrankungen. Ursache dafür waren Untersuchungen, die für die ersten Jahre einer HRT eine leicht gestiegene Zahl an Herzinfarkten konstatierten. Verschiedene Studien mit Frauen, die bereits kardiovaskuläre Erkrankungen hatten, konnten keinen Vorteil der HRT gegenüber Placebo hinsichtlich der kardiovaskulären Situation zeigen. In der WEST-Studie (Women`s estrogen for stroke trial) waren sogar mehr tödliche Schlaganfälle als unter Placebo zu verzeichnen (24).
Mitte 2002 wurde die WHI-Studie (Women`s Health Initiative) vorzeitig gestoppt. Gegenübergestellt wurden Frauen zwischen 50 und 79 Jahren, die entweder Medroxyprogesteronacetat und konjugierte equine Estrogene oder Placebo erhielten. Über acht Behandlungsjahre sollte das Auftreten von Herzinfarkten, Schlaganfall, Lungenembolien, Brustkrebs, Darmkrebs, Gebärmutterkrebs und Knochenbrüchen erfasst werden. Die Ergebnisse nach fünf Behandlungsjahren: Unter der kombinierten Hormontherapie war das Risiko für Darm- und Gebärmutterkrebs leicht verringert, das Brustkrebsrisiko dagegen erhöht. Insbesondere im ersten Jahr litten mehr Frauen unter HRT an Lungenembolien, Herzinfarkten und Schlaganfällen. Nach fünf Jahren verringerte sich die Sterblichkeit durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht (25). Diese Ergebnisse lassen sich nach Ansicht der deutschen Arzneimittelbehörde auf andere Estrogen-Gestagen-Kombinationen übertragen, so dass die Therapie neu bewertet werden muss.
Die Zwischenergebnisse des Studienarmes der WHI, bei dem eine Monotherapie mit Estrogenen bei Frauen mit entfernter Gebärmutter der Placebobehandlung gegenüber gestellt wird, verliefen positiver. Dieser Teil der Untersuchung läuft daher weiter.
Allerdings sind noch einige Fragen offen, die eine genaue generelle Risikoeinschätzung der HRT erschweren:
Literatur
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