Schutz vor Götzentum |
04.10.1999 00:00 Uhr |
DEUTSCHER APOTHEKERTAG
Wer ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel kaufen möchte, aber kein Rezept hat, der bestellt es sich über das Internet. Daß dies in Deutschland verboten ist, stört den Anbieter nicht, er agiert vom Ausland aus. Nur eine internationale Regelung kann die Deutschen vor dubiosen Angeboten schützen, sagte Assessor Lutz Tisch, Abteilungsleiter im Geschäftsbereich Recht, Information und Öffentlichkeit bei der ABDA.
Arzneimitteln, die über das Internet bestellt werden, können Qualitätsmängel aufweisen. Fälschungen, überschrittene Verfallsdaten und beschädigte Verpackungen seien nicht ausgeschlossen, sagte Tisch. Nach einer im vergangenen Jahr vorgestellten Untersuchung der Bundesärztekammer erhalten zahlreiche Menschen, die Viagra über das Internet bestellen, Fälschungen der Potenzpille. Behörden anderer europäischer Staaten scheinen die Gefahren des Arzneimittelhandels über das weltweite Computernetz trotzdem weniger ernst zu nehmen als die deutschen Stellen.
Bei der EU ist die Bereitschaft gering, durch einheitliche europäische Regelungen den Arzneiversand via Internet zu verbieten. Die Gremien der europäischen Union beschäftigen sich vornehmlich mit ökonomischen Auswirkungen des elektronischen Geschäftsverkehrs, beklagte Tisch in einem Vortrag während des Deutschen Apothekertages. Spezielle Regelungen für Arzneimittel fehlen es in der E-Commerce-Richtlinie.
Tisch kritisierte vor allem das in der Richtlinie festgeschriebene Herkunftslandprinzip. Danach müssen Internet-Versender nur noch die Gesetze des Landes beachten, in denen der Online-Auftritt angemeldet ist. Während Gewinnspiele von diesem Prinzip ausgenommen sind, gilt sie für den Arzneimittelmarkt.
Die Folge: "In den Niederlanden zulässige Internetangebote für den Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel an Endverbraucher könnten demnach zukünftig nicht mehr nach deutschem Recht beanstandet werden," so Tisch. Die Konsequenz der Richtlinie wäre "Arzneimittelwerbung und -vertrieb auf jeweils niedrigstem europäischen Niveau". Der ABDA-Jurist mahnt deshalb "die Arzneimittelsicherheit darf nach den Erfahrungen mit BSE-Erregern im Rindfleisch, Dioxin im Hühnerfleisch und Klärschlamm in Futtermitteln nicht zum weiteren Experimentierfeld für den europäischen Binnenmarkt werden".
Durch die E-Commerce-Richtlinie entsteht eine Vakuum, das durch nationalstaatliche Regelungen nicht ausgefüllt werden kann. Das deutsche Arzneimittelgesetz und das Heilmittelwerbegesetz reichen angesichts des Herkunftslandprinzips nicht aus, um ausländische Internetversender juristisch zu verfolgen.
Grundsätzlich sollten die Rahmenbedingungen des Arzneimittelmarktes weiterhin in speziellen Arzneimittelrichtlinien geregelt werden, forderte Tisch. Die Chancen auf europaweite oder gar weltweite Regelungen stehen allerdings schlecht. Die Arzneimittelmärkte unterscheiden sich stark. In vielen europäischen Ländern werden Arzneimittel nur in die Kategorien verschreibungspflichtig und verschreibungsfrei eingeteilt. Die Variante Verschreibungsfrei, aber apothekenpflichtig gibt es dort nicht. Gleichzeitig werde verschreibungsfrei mit ungefährlich und frei handelbar gleichgesetzt.
Ein lückenloser europäischer Verbraucherschutz könne nur durch europaweite Regelungen aufgebaut werden, so Tisch. Anderenfalls sollte zumindest der Arzneimittelhandel vom Herkunftslandprizip der E-Commerce-Richtlinie ausgenommen werden, damit Online-Versender aus dem Ausland nach deutschen Gesetzen verfolgt werden können.
Entschieden wandte Tisch sich dagegen, vor der Dynamik des elektronischen Handels in der EU zu kapitulieren. Es sei ein fataler Fehler "im Arzneimittelmarkt anstelle der Volksgesundheit die Wettbewerbsfreiheit zum primären Schutzgut erheben. Vor dieser Art des ökonomisch verbrämten Götzentums kann nur eindringlich gewarnt werden."
Für Tisch ist das Internet aber nicht nur ein Hort des Bösen. Als Informationsmedium eröffne es dem Apotheker Möglichkeiten, sich gegenüber Patienten und Ärzte zu profilieren. Mit fundierten Informationen können die Apotheker ein Gegengewicht zu Angeboten mit zweifelhaften Inhalten schaffen. Sofern Arzneimittel- und Apothekenrecht, Berufsordnung, Wettbewerbs- und Heilmittelwerberecht eingehalten würden, könne das Dienstleistungsangebot einer Apotheke über das Internet auch Menschen vorgestellt werden, die über andere Medien nicht erreicht werden.
Gleichzeitig warnte Tisch davor, auch apothekenpflichtige Arzneimittel via Internet anzubieten. Dies sei nicht nur rechtswidrig, sondern schädige auch den Berufsstand. "Wer meint, der Versandhandel sei vertretbar, wenn der Absender ein Apotheker und/oder der Empfänger eine Arztpraxis oder Justizvollzugsanstalt sei, betreibt langfristig seine eigene Überflüssigkeit."
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