Pharmazie
Für Arzneimittel gelten nach dem Arzneimittelgesetz drei Leitbegriffe als Voraussetzungen für die Zulassung: Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit. Professor Dr. Volker Dinnendahl, Vorsitzender der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker, fügte einen vierten hinzu: die Wahrheit in den Informationen zum Arzneimittel. Dinnendahl bedauerte, daß nach 20 Jahren des jetzt geltenden AMG noch immer nicht die Nachzulassungen abgeschlossen seien, so daß nach wie vor ungeprüfte Arzneimittel auf dem Markt seien.
Dinnendahl definierte zunächst die Begriffe Wirkung, Wirksamkeit und therapeutischer Nutzen: Die Wirkung eines Arzneimittels werde im pharmakologischen Versuch bestimmt. Die Wirksamkeit, die häufig - auch von Fachleuten - mit Wirkung verwechselt werde, könne nur in kontrollierten klinischen Studien nachgewiesen werden, wobei der Referent sehr großen Wert darauf legte, daß diese Studien zu einem reproduzierbaren Ergebnis geführt haben müssen.
Einzelerfahrungen des Patienten oder des Therapeuten könnten nicht als objektive Ergebnisse akzeptiert werden. Eine nachgewiesene Wirksamkeit sage aber noch nichts über den therapeutischen Nutzen aus, was Dinnendahl am Beispiel der Arzneimittel zur Behandlung peripherer Durchblutungsstörungen belegte.
Den therapeutischen Nutzen charakterisierte er mit einem Benefit im Einzelfall, mit einer hohen Responderrate und mit der Zuverlässigkeit der Informationen. Zur Beurteilung des therapeutischen Nutzens mußten allerdings noch weitere Fragen beantwortet werden, zum Beispiel: Sind die zu erwartenden unerwünschten Wirkungen gemessen am Indikationsanspruch tolerabel? Gibt es andere, bessere Behandlungsstrategien? Und wird die Lebensqualität des Patienten so gesteigert, daß die Kosten der Behandlung angemessen sind?
Nur wenn bei der Abwägung der Nutzen größer ist als die potentiellen Risiken, könne man von einem unbedenklichen Arzneimittel sprechen. Aussagen zur Unbedenklichkeit seien aber immer relative Bewertungen, die sich ändern könnten. Überwiegen die Risiken, handele es sich um bedenkliche Arzneimittel, die nach § 5 AMG nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, also vom Apotheker auch nicht abgegeben werden dürfen. Die Apothekenbetriebsordnung verbiete ebenfalls im § 17 die Abgabe bedenklicher Arzneimittel.
Die AMK habe 1996 eine Stellungnahme zu den bedenklichen Arzneimitteln erarbeitet (PZ 31/1996, Seite 8), in der versucht wurde zu definieren, was bedenkliche Arzneimittel sind, um dem Apotheker eine Richtschnur zu geben, wie er sich bei Konflikten dem Arzt gegenüber verhalten sollte. Die Stellungnahme fand auch die Zustimmung der AMK der Ärzteschaft und des BfArM. Als Hilfe, um die Frage nach einer eventuellen Bedenklichkeit zu beantworten, könnten die Aufbereitungsmonographien herangezogen werden, die den Stand der Erkenntnisse darstellen und eine wissenschaftliche Bewertung geben.
Dinnendahl betonte, daß auch der Apotheker, also nicht nur der verordnende Arzt, in bezug auf den Einsatz bedenklicher Arzneimittel eine eigene persönliche Verantwortung und ein eigenes Haftungsrisiko trage, wie die Urteile in Sachen Schlankheitsrezepturen bewiesen hätten. Deshalb müsse der Apotheker die Abgabe eines Arzneimittels ablehnen, wenn die pharmazeutische Qualität nicht nachgewiesen oder das Arzneimittel vom Amt als bedenklich, zum Beispiel in Form einer Negativmonographie, eingestuft worden sei. Nur in Einzelfällen kann die Abgabe bedenklicher Arzneimittel erfolgen. Vorrang habe immer der § 5 des AMG vor der Therapiefreiheit des Arztes.
Umstrittene Arzneimittel
Zum Schluß ging Dinnendahl auf die umstrittenen Arzneimittel ein. Eine abschließende Definition lasse sich nicht geben. Der Arzneiverordnungsreport, auf den sich Dinnendahl in diesem Zusammenhang hauptsächlich stützte, kennzeichnet die Arzneimittel als umstritten, deren Wirksamkeit und insbesondere deren therapeutischer Nutzen nicht ausreichend belegt erscheine. Dabei handele es sich in der Tat um einen Streit zwischen den Pharmakologen und spezialisierten Klinikern, die diese Arzneimittel für überflüssig halten, und vor allem den praktischen Ärzten, die glauben, aufgrund ihrer praktischen Erfahrungen auf diese Arzneimittel nicht verzichten zu können.
Dinnendahl bedauerte, daß dieser Streit in erster Linie vor dem Hintergrund der Kosten und nicht unter qualitativen Gesichtspunkten geführt werde. Außerdem sei oft nicht das Arzneimittel umstritten, sondern der Einsatz des Arzneimittels, das heißt die ärztliche Entscheidung, diese Mittel zu verordnen.
Als umstritten gelten zur Zeit die durchblutungsfördernden Mittel, Expektorantien, externe Rheumamittel und Nootropika. Unter sehr umstritten würden Anabolika, Antitussiva in Kombination mit Expektorantien. pflanzliche Kardiaka und pflanzliche Immunstimulantien diskutiert. Schließlich widersprach Dinnendahl der Meinung vieler Politiker und Krankenkassenfunktionäre, durch Weglassen der umstrittenen Arzneimittel könnten 7 Milliarden DM eingespart werden. Ein beträchtlicher Anteil der Einsparungen würde durch die Substitution mit besseren, zum Teil teureren Arzneimitteln aufgebraucht.
PZ-Artikel von Hartmut Morck, Westerland
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