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In Transkarpatien boomen allenfalls"Privatapotheken"

15.09.1997  00:00 Uhr

-Wirtschaft & Handel

Govi-Verlag

In Transkarpatien boomen allenfalls "Privatapotheken"

Als Teilnehmer eines Hilfstransports der Kirchengemeinde Fördergersdorf bei Dresden für die ungarische reformierte Gemeinde in Mukatschewo (beziehungsweise Munkacs) fuhr ich 1996 zweimal über Österreich und Ungarn nach Transkarpatien. Wir nahmen diese Route mit einer Reisedauer von 24 Stunden, um komplizierten Zollformalitäten aus dem Weg zu gehen.

Transkarpatien, ein Teil der Ukraine - etwa so groß wie Sachsen - grenzt im Westen an die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Moldawien. Die natürliche Grenze zur restlichen Ukraine ist der Kamm der Karpaten, über den nur zwei Eisenbahnenlinien und einige schlechte Straßen führen. Bis 1920 war Transkarpatien ein Teil Ungarns, dann kurze Zeit tschechisches und wieder ungarisches Gebiet. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Transkarpatien der damaligen Ukrainischen SSR angegliedert.

Mukatschewo ist eine Stadt von rund 100 000 Einwohnern, 15 Prozent sind Ungarn. Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal. Maschinenbau-, Textil-, Lebensmittel- und Möbelbauindustrie stehen still. Praktisch nichts ist an die Stelle der völlig zusammengebrochenen Beziehungen innerhalb der Sowjetunion getreten. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei 60 Prozent, in Wirklichkeit liegt sie aber noch höher. Arbeit haben eigentlich nur Staatsbedienstete wie Polizisten, Lehrer, medizinisches Personal. Doch das ist nicht gleich Lohn. Als Lehrer verdient man beispielsweise 60 Griwnja (etwa 56 DM). Zum Vergleich: Strom, Gas und Wasser (letzteres nur dreimal täglich je eine Stunde) kosten 70 Griwnja. Rentner bekommen 49 Griwnja monatlich. Für viele Familien ist das das einzige Auskommen. Arbeitslosenunterstützung gibt es nur kurzfristig, die meisten bekommen nichts. Auch Kindergeld und Ähnliches gibt es nicht. Es gibt viele Menschen, die nur die Kleider auf dem Leib besitzen, kein Essen im Haus haben und Miete, Strom et cetera nicht mehr bezahlen können. Für diese waren auch in erster Linie unsere Hilfsgüter gedacht.

Bloß nicht krank werden

Ein besonders trauriges Kapitel ist die medizinische Versorgung. Die Behandlung in den staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken ist zwar kostenlos, aber die Patienten müssen alles mitbringen: Bettwäsche, Essen, Medikamente, Verbandstoffe und Nahtmaterial. Röntgen ist im gesamten Krankenhaus der reinste Luxus. Die Verfügbarkeit von Arzneimitteln hat sich etwas gebessert, das Hauptproblem ist der Preis, denn sämtliche Mittel müssen bar in der Apotheke bezahlt werden. Eine Krankenkasse gibt es nicht. Man wollte wohl so etwas aufbauen. Genaueres war hierzu nicht in Erfahrung zu bringen.

Ich nutzte die Gelegenheit, um einige Apotheken zu inspizieren. Auffällig war die hohe Apothekendichte in der Innenstadt. Innerhalb von 10 Minuten Fußweg konnte man ein gutes Dutzend erreichen. In der Stadt soll es rund 25 Stück geben. Bei allen Apotheken gleich: Das gesamte Sortiment wird in Sichtwahl in Glasvitrinen um den HV-Tisch herum mit Preisangabe präsentiert, und zwar alles - von Mullbinden bis zu Ampullen mit Antibiotika-Trockensubstanz. Unter den vielen osteuropäischen sowie russischen und vereinzelt ukrainischen Präparaten entdeckte ich auch etliche mir bekannte von deutschen Firmen.

Die Inhaber der inzwischen auf zehn Betriebe angewachsenen Privatapotheken Munkacs sind keine Apotheker. Einer von ihnen fand überhaupt nichts dabei, wozu auch? Für den Verkauf hat er drei pharmazeutische Angestellte, die mit 100 Griwnja monatlich Topverdiner sind. Er selbst kümmere sich um das Geschäftliche. Labor und Rezeptur habe er nicht, das bringe nichts ein. Während die Offizin bei diesem Inhaber noch einer Apotheke wenigstens ähnlich sah (weitere Räume gibt es praktisch nicht), ähnelte eine andere Apotheke eher einer Würstchenbude. In einer weiteren Apotheke erzählte man mir, die Apotheke gehöre zu einer Firma, die in Transkapatien etwa zehn Apotheken betreibe. Die Preise waren in dieser Apotheke besonders günstig.

Feste Preise für Arzneimittel gibt es nicht. 30 Filmtabletten Indometacin kosten zwischen 2,4 Griwnja (auf dem Schwarzmarkt von einer Frau in weißem Kittel unter der Hand angeboten) und 0,95 Griwnja in einer Kettenapotheke. Bei der öffentlichen Krankenhausapotheke kostete das Präparat 2,33, in einer staatlichen Apotheke 1,7 Griwnja. Nach einem Rezept fragte mich niemand.

Mit unserem Freund Albert besuchte ich die staatliche Zentralapotheke. Beim ersten Anlauf war sie wegen Warenlieferung eine Stunde geschlossen. Die Ware kommt einmal monatlich aus den Zentrallagern in Kiew. Der Leiter der Zentralapotheke hat eine Funktion vergleichbar mit dem früheren Kreisapotheker in der DDR. Während die staatlichen Apotheken sich noch an die alten Gesetze, wie Apothekenbetriebsordnung, Arzneimittelgesetz, Rezeptpflicht, so weit wie möglich halten, Rezepturen anfertigen und Substanzen prüfen, nutzen Geschäftemacher den gesetzesfreien Raum und gründen Privatapotheken und Ketten. Die Preise wurden mit einem Anfang März 1996 in Kraft getretenen Gesetz zwar festgelegt, aber niemand hält sich daran, und Kontrollen gibt es nicht. Eine Privatisierung der staatlichen Apotheken ist zwar vorgesehen, Zeitraum und Modalitäten sind aber noch völlig unklar. Ob alle Apothekenleiter oder nur einige bevorzugt berücksichtigt werden, ist ebenso unklar wie die Frage, woher der Interessent so viel Geld aufbringen soll.

PZ-Artikel von Eckard Schleiermacher, Klingenberg
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