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Gute Noten für neuen Gerinnungshemmer

31.08.1998  00:00 Uhr

-Pharmazie

Govi-Verlag

Gute Noten für neuen Gerinnungshemmer

Seit Anfang August steht mit Tirofiban (Aggrastat®) ein neuer Thrombozytenaggregationshemmer auf dem deutschen Markt zur Verfügung. Sein Wirkprinzip beruht auf einer spezifischen Hemmung der Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptoren auf den Thrombozyten. Zugelassen wurde Tirofiban zur Behandlung der instabilen Angina pectoris und des akuten Nicht-Q-Wellen-Myokardinfarktes (NQWMI), zusätzlich zu unfraktioniertem Heparin und Acetylsalicylsäure (ASS).

Tirofiban ist ein nicht-peptisches Tyrosinderivat, das selektiv und kompetitiv den Glykoprotein (GP)-IIb/IIIa-Rezeptor der Thrombozyten hemmt. Thrombozyten reagieren in vielfältiger Weise auf eine Gefäßwandläsion, zum Beispiel nach der Ruptur einer atherosklerotischen Plaque in einer Koronararterie. Die von den Thrombozyten verursachten hämostatischen Reaktionen können unter Umständen zu lebensbedrohlichen Situationen führen. Bei der Schädigung eines Blutgefäßes wird das Subendothel freigelegt. Vorbeiströmende Thrombozyten erhalten das Signal, sich an der verletzten Stelle anzuheften. Die Thrombozytenadhäsion wird durch Bindung des von-Willebrand-Faktor und anderer adhäsiver Moleküle gefördert. Die Thrombozyten setzen ihrerseits Botenstoffe frei, die zusätzlich zirkulierende Thrombozyten aktivieren.

Des weiteren kommt es auf der Oberflächenmembran der Thrombozyten zur Expression von GP-IIb/IIIa-Rezeptoren, die für die Aggregation und die Thrombusbildung verantwortlich sind. Sie reagieren spezifisch mit der Aminosäuresequenz Argenin-Glycin-Aspartat (auch RGD-Sequenz genannt). Alle adhäsiven Proteine, die eine RGD-Sequenz enthalten, binden an den GP-IIb/IIIa-Rezeptoren. Zu diesen Proteinen gehört das Fibrinogen. Über die Bindung des Fibrinogens an die GP-Rezeptoren der aktivierten Thrombozyten entstehen durch Quervernetzung Thromben. Nach einer atherosklerotischen Plaque-Ruptur können größere Thrombozytenaggregate beziehungsweise Thromben zu einem lebensbedrohlichen Verschluß des erkrankten Gefäßes führen. Die Folge ist eine instabile Angina pectoris oder ein Myokardinfarkt.

Zur Standardtherapie der instabilen Angina pectoris und des Myokardinfarktes gehört seit langem neben der mechanischen Öffnung der verschlossenen Gefäße die Hemmung der Blutgerinnung und der Thrombozytenaggregation mittels Acetylsalicylsäure (ASS) und Heparin. Ziel der Forschung war es, die Aggregation der Thrombozyten spezifischer zu hemmen. Mit Abciximab (ReoPro® ), (PZ-Innovationspreisträger von 1995) steht bereits seit einiger Zeit eine Substanz zur Verfügung, die als Antikörperfragmente den GP-IIb/IIIa-Rezeptor blockiert.

Die neue Substanz


Tirofiban ist der erste nicht-peptische GP-IIb/IIIa-Rezeptorantagonist, der aus dem Schlangengift Echistatin entwickelt wurde, welches aufgrund einer RGD-Sequenz thrombozytenaggregationshemmenden Eigenschaften besitzt. Tirofiban, eine synthetische, niedermolekulare Substanz, hat Strukturmerkmale, die der RGD-Sequenz ähneln. Aufgrund dessen ist diese Substanz in der Lage, den GP-IIb/IIIa-Rezeptor kompetitiv zu blockieren und die Fibrinogen-Interaktion mit den Thrombozyten zu verhindern. Tirofiban muß intravenös appliziert werden und bindet rasch an den GP-IIb/IIIa-Rezeptoren der Thrombozyten, unabhängig von deren Aktivierungszustand. Die Thrombozyten können so mit Tirofiban beladen werden, bevor sie zur Fibrinogenbindung aktiviert werden.

Die Wirksamkeit der neuen Substanz konnte in drei großen randomisierten Studien nachgewiesen werden. In der PRISM (Platelet Receptor Inhibition for Ischaemic Syndrome Management)-Studie untersuchten Wissenschaftler die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Tirofiban versus Heparin bei 3232 Patienten mit instabiler Angina pectoris beziehungsweise Nicht-Q-Wellen-Myokardinfarkt. Alle Patienten erhielten begleitend ASS, sofern keine Kontraindikation vorlag. Primärer Endpunkt war die kombinierte Häufigkeit von Tod, Myokardinfarkt oder refraktärer Ischämie nach einer 48stündigen Infusion mit Tirofiban. Die Substanz senkte das Risiko für das Auftreten des primären Endpunktes um 32 Prozent. Das Mortalitätsrisiko sank unter Tirofiban im Vergleich zu Heparin 30 Tage nach Studienbeginn um 36 Prozent.

Die PRISM-PLUS-Studie (Platelet Receptor Inhibition for Ischaemic Syndrome Management - Patients Limited by Unstable Signs and Symptoms) untersuchte ein integriertes Behandlungskonzept von konservativer und interventioneller Therapie, das der derzeit gängigen Praxis entspricht. Die Studie schloß 1815 Hochrisikopatienten mit instabiler Angina oder rudimentärem Infarkt ein.

Nach 48stündiger Behandlung mit Tirofiban und Heparin oder Heparin allein erfolgte ein Koronarangiographie. Soweit indiziert, wurde unter laufender Studienmedikation in gleicher Sitzung eine Angioplastie vorgenommen und anschließend die Medikation weitere 12 Stunden fortgeführt. In dieser Studie wurde die Rate von Tod und Myokardinfarkt während der ersten sieben Tage durch Tirofiban im Vergleich zur Heparintherapie von 8,3 Prozent auf 4,9 Prozent gesenkt.

Nach 30 Tagen betrug die Risikoreduktion für den kombinierten Endpunkt 22 Prozent. Der Vorteil von Tirofiban blieb sechs Monate erhalten. Den größten therapeutische Effekt registrierten die Wissenschaftler bei Patienten, bei denen eine Angioplastie erforderlich war.

In der RESTORE-Studie (Randomized Efficacy Study of Tirofiban for Outcomes and Restenosis) wurde an 2139 Patienten die Gabe von Tirofiban bei interventioneller Therapie der instabilen Angina mittels Angioplastie untersucht. Innerhalb von 30 Tagen ergab sich mit Tirofiban im Vergleich zur Standardtherapie lediglich eine Risikoreduktion von 16 Prozent. Allerdings sank innerhalb der ersten Woche in der Tirofiban-Gruppe das Risiko um 27 Prozent.

Alle drei Studien zeigen, daß Tirofiban die Erfolgsaussichten sowohl der konservativen als auch der interventionellen Therapie bei instabiler Angina verbessert. Ein direkter klinischer Vergleich mit Abciximab liegt noch nicht vor, so daß über die Vorteile von Tirofiban gegenüber Abciximab nur spekuliert werden kann. Inzwischen gibt es mit Xemilofiban und Orbofiban zwei Vertreter dieser GP-IIb/IIIa-Rezeptoranatagonisten, die peroral applizierte werden können. Sie befinden sich zur Zeit in Phase III der klinischen Studien.

PZ-Artikel von Hartmut Morck, München
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