Pharmazeutische Zeitung online

Defekt des Harnstoffzyklus häufig verkannt

31.08.1998  00:00 Uhr

-Medizin

Govi-Verlag

Defekt des Harnstoffzyklus häufig verkannt

Laut Statistik werden in Deutschland jedes Jahr etwa 70 Kinder mit einem Harnstoffzyklus-Defekt geboren. Die Erkrankung wird jedoch häufig nicht richtig diagnostiziert, so die Meinung von Experten. Besonders kritische Phasen mit erhöhtem Stoffwechselstreß für die Manifestation seien die Neonatalperiode, das späte Säuglingsalter (Umstellung auf proteinreiche Nahrung) und die Pubertät.

Bei Harnstoffzyklus-Defekten ist die Elimination von überschüssigem Stickstoff aus dem Organismus durch genetisch bedingten Mangel eines der beteiligten Enzyme, am häufigsten der Ornithin-Transcarbamylase (OTC), gestört. Aufgrund des Enzymmangels reichert sich der Stickstoff-Metabolit Ammoniak im Körper an. Meist verursacht dies bereits beim Neugeborenen schwere Symptome. Da Ammoniak extrem neurotoxisch ist, können schon wenige Stunden bis Tage, die ein Neugeborenes in einem hyperammonämischen Koma verbringt, katastrophale Gehirnschäden nach sich ziehen. Deshalb sollte bei Verdacht auf einen Harnstoffzyklus-Defekt unverzüglich der Ammoniakspiegel bestimmt werden.

Verdächtige Leitsymptome sind nach Meinung der Experten Appetitverlust, Erbrechen und Bewußtseinsstörungen. Das klinische Bild ähnele oft dem einer Sepsis. Jedes Kind mit Hyperammonämie müsse anschließend für die weiterführende Diagnostik und Therapie sofort ein Stoffwechselzentrum verlegt werden. Je früher der Ammoniakspiegel gesenkt werde, desto weniger Entwicklungsschäden treten später auf.

Die Notfalltherapie besteht aus sofortigem Unterbrechen der Proteinzufuhr, Gabe von Glukose, Arginin und Carnitin sowie Hämofiltration oder -dialyse. Sie muß bereits parallel zur Diagnostik beginnen, um möglichst rasch von einer spezifischen Therapie - je nach Art des Defekts - abgelöst werden zu können. Als wichtigste Ziele der Langzeittherapie müssen der Ammoniakspiegel auf einem niedrigen Niveau (unter 80 mmol/l) und die Patienten in einem anabolen Zustand gehalten werden. So kann eine gewisse Proteinmenge zugeführt werden, denn die Kinder brauchen Eiweiß und Aminosäuren, um altersgerecht zu wachsen. Die Langzeittherapie umfaßt die Substitution von Aminosäuren, Carnitin sowie Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen. Die in einigen Fällen durchgeführten Lebertransplantationen zeigten bisher umstrittene Ergebnisse, so die Experten.

In der Notfall- und Langzeittherapie werden außerdem auch Natriumbenzoat oder Phenylbutyrat eingesetzt. Diese Substanzen ermöglichen eine Entsorgung des Stickstoffs auf alternativen Stoffwechselwegen. Während Natriumbenzoat nur ein Stickstoffatom abfängt, neutralisiert Phenylbutyrat zwei Stickstoffatome. Beide Substanzen sind als Chemikalien in Pulverform erhältlich.

Für die Chemikalien besteht keine Zulassungspflicht, wenn sie nachweislich ärztlich angewendet, von Apothekern hergestellt und nur auf Verschreibung abgegeben werden. Phenylbutyrat ist in den USA als zugelassenes Arzneimittel erhältlich. Die europäische Zulassung läuft derzeit.

Artikel von der PZ-Redaktion

Top

© 1997 GOVI-Verlag
E-Mail:
redaktion@govi.de

Mehr von Avoxa