Sichere Medikation für Teenager |
25.08.2003 00:00 Uhr |
Zusätzlich zu altersspezifischen Problemen und Unsicherheiten belastet epilepsiekranke Jugendliche die Angst vor einem Anfall. Die Therapie zielt heute nicht mehr nur auf Anfallsfreiheit ab, sondern soll vielmehr die Lebensqualität verbessern und Reifungsprozesse möglichst wenig stören.
Manche kindlichen Epilepsieformen verschwinden in der Pubertät. Andere Syndrome wie juvenile Absencen, juvenile myoklonische Epilepsien oder Aufwach-Grand-mal-Anfälle manifestieren sich erstmals in dieser Lebensphase oder verschlechtern sich jetzt. Einer Untersuchung zufolge traten bei 38 Prozent der Frauen die ersten Anfälle in der Zeit um die erste Monatsblutung auf; bei 29 Prozent verschlimmerte sich eine bereits bestehende Epilepsie. Hormonelle Veränderungen könnten die Auslöser sein.
Die Betreuung Epilepsie-kranker Teenager erfordert nicht nur ärztliches Spezialwissen, sondern auch psychologisches Fingerspitzengefühl und pädagogische Fähigkeiten, betonte Privatdozentin Dr. Eva Bettina Schmitz von der Charité in Berlin bei einem Presseworkshop von GlaxoSmithKline in München. Die exakte Diagnose des Syndroms sei für Prognose und Therapiewahl enorm wichtig.
Auf Schulleistungen achten
Da für jedes Syndrom inzwischen mehrere Arzneistoffe zur Verfügung stehen, sollte deren Verträglichkeit vermehrt berücksichtigt werden. So sei Phenytoin wegen seiner kosmetischen Nebeneffekte – es kann Akne, Zahnfleischwucherungen und Hirsutismus auslösen – kein Antiepileptikum der ersten Wahl mehr, sagte die Neurologin. Dies gelte nicht nur für Jugendliche. Nach Ansicht von Professor Dr. Hermann Stefan aus Nürnberg sollten Phenytoin und Phenobarbital heute nur noch beim Status epilepticus eingesetzt werden. Im Fokus stünden heute die moderneren Antiepileptika, die etwa ab 1990 auf den Markt kamen. Um die Compliance zu sichern, sollten Arzneimittel bevorzugt werden, die nur zweimal täglich geschluckt werden müssen.
Gerade bei Schulkindern und Jugendlichen muss auf kognitive Nebenwirkungen besonders geachtet werden. „Ein inadäquates Arzneimittel kann die Entwicklung in Schule und Beruf nachhaltig stören“, warnte der Epileptologe. Wenn das Lernen unter Therapie mit Phenytoin, Phenobarbital und Topiramat schwer fällt oder verlangsamt ist und die schulischen Leistungen nachlassen, können dies Alarmzeichen sein. Ebenfalls nicht akzeptabel ist für viele Teenager eine Gewichtszunahme – ein ernstzunehmender Nebeneffekt bei Arzneistoffen wie Valproinsäure, Vigabatrin und Gabapentin.
Problem Verhütung
Für junge Frauen stellt sich ein zusätzliches Problem: die sichere Verhütung. Immerhin hatte jede vierte 15-Jährige schon einmal Geschlechtsverkehr. Die Mädchen sollten möglichst früh über Sex, Kontrazeption und mögliche Wechselwirkungen zwischen Pille und Antiepileptikum aufgeklärt werden, empfahl Schmitz.
Kritisch bewertete die Ärztin starke Enzyminduktoren wie Phenytoin oder Carbamazepin, die den Abbau der Estrogene im Körper beschleunigen und damit deren kontrazeptive Wirkung beeinträchtigen (Tabelle). Bei schwachen Induktoren wie Topiramat könne man eventuell auf höher dosierte Kontrazeptiva umsteigen. Kaum Wechselwirkungen bestehen zwischen Ethosuximid, Valproinsäure oder Lamotrigin und modernen Mikropillen. Gelegentlich empfiehlt Schmitz auch, die Pille kontinuierlich zu nehmen, da dies die Sicherheit erhöhe. Als Alternative zur oralen Kontrazeption bietet sich ein Gestagen-haltiges Intrauterinpessar an.
Tabelle: Verminderung der kontrazeptiven Sicherheit oraler hormoneller Verhütungsmittel durch Antiepileptika (modifiziert nach Schmitz)
Unzureichende Kontrazeption möglichKeine relevante Interaktion Carbamazepin Ethosuximid Felbamat Gabapentin Oxcarbazepin* Lamotrigin Phenobarbital Levetiracetam Phenytoin Valproinsäure Primidon Vigabatrin Tiagabin Topiramat***) möglicherweise kein Problem bei höher dosierter Pille; **) möglicherweise kein Problem unter 200 mg Topiramat/Tag
Potenziell teratogen
Alle Antiepileptika wirken potenziell teratogen. Es ist bekannt, dass eine Einnahme während der Schwangerschaft das Fehlbildungsrisiko für das Kind erhöht. Dennoch wird in der Regel dazu geraten, die Medikation während der Schwangerschaft fortzuführen, da auch unkontrollierte Anfälle ein Risiko für den Feten darstellen. Während der Schwangerschaft sollte die Dosis möglichst konstant bleiben und erst bei vermehrten Anfällen erhöht werden.
Auf jeden Fall sollte der Arzt bei Frauen, die sich Kinder wünschen, schon frühzeitig überprüfen, ob sie nicht mit nur einem Wirkstoff auskommen. Immerhin steigt das Missbildungsrisiko bei Einnahme mehrerer Antiepileptika auf 10 bis 15 Prozent. Wenn die Patientin seit mehr als zwei Jahren anfallsfrei ist, kann man die Medikation möglicherweise sogar absetzen.
Auch wenn noch nicht bewiesen ist, dass die Substitution von Folsäure das Fehlbildungsrisiko reduziert, rät Schmitz zur prophylaktischen Gabe. Frauen, die Antiepileptika einnehmen und nicht sicher verhüten, sollten täglich 4 bis 5 mg Folat schlucken.
Falls eine Frau unter Antiepileptika-Therapie schwanger wird, sollte dies an das europäische Schwangerschaftsregister EURAP gemeldet werden, empfahl die Neurologin. Das Kürzel steht für European Registry of Antiepileptic Drugs and Pregnancy (www.eurap-germany.de). Es handelt sich um ein internationales Projekt, das die teratogenen Effekte von Antiepileptika untersucht. Ziel ist ein Vergleich der Sicherheit der verschiedenen Wirkstoffe für das ungeborene Kind bezüglich der Häufigkeit von kongenitalen Fehlbildungen und pränatalen Wachstumsverzögerungen.
EURAP ist eine reine Beobachtungsstudie und interferiert nicht mit der Therapie, die der behandelnde Arzt verordnet. Das Register erfasst Daten zu den Risikofaktoren für kindliche Fehlbildungen, zur Antiepileptika-Exposition während der Schwangerschaft sowie zu Art und Häufigkeit kindlicher Fehlbildungen.
Party bis Mitternacht Stress, Schlafmangel, Alkohol und Flackerlicht: Diese Faktoren können bei einigen Epileptikern einen Anfall auslösen. Bei den idiopathisch-generalisierten Formen, die vor allem Jugendliche betreffen, kommt es auf einen regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus an, betont Privatdozentin Dr. Eva Bettina Schmitz, Berlin. Vor einer Party „vorauszuschlafen“, bringe nichts. Wichtig ist vielmehr, regelmäßig sieben, besser acht Stunden zur ungefähr gleichen Zeit zu schlafen. Bester Tipp zur Prophylaxe: die Fete um Mitternacht verlassen und ins Bett gehen.
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