Pharmazie |
14.08.2000 00:00 Uhr |
Rund 6000 Anfragen flattern pro Jahr bei den Damen der AMK-Geschäftsstelle auf den Tisch - und es werden immer mehr. Jede Meldung bedeutet für das sechsköpfige Team bis zu fünf Antwortschreiben. Teils gehen pro Tag mehr als 200 Briefe in die Post. Damit nimmt die Abteilung im Deutschen Apothekerhaus einen Spitzenplatz ein. Am 26. August feiert die AMK ihren 25. Geburtstag. Professor Dr. Volker Dinnendahl leitet die Kommission seit 1977. Die PZ sprach mit ihm über das tägliche Geschäft mit den Arzneimittelrisiken.
PZ: Die Arzneimittelkommission lebt vom guten und vor allem schnellen Informationsfluss aus den Apotheken. Rufen viele Kollegen bei Beanstandungen nicht eher die betroffenen Unternehmen an, weil sie zum Beispiel die komplexen Meldebögen abschrecken?
Dinnendahl: Bis jetzt haben wir noch nicht gehört, dass der Meldebogen zu komplex ist. Der Bogen soll dem Apotheker ja vielmehr als Hilfsmittel dienen, möglichst schnell und ohne viel Aufwand seiner Verpflichtung nachzukommen, Arzneimittelrisiken zu melden; das sind sowohl Qualitätsmängel als auch unerwünschte Wirkungen und Medikamentenmissbrauch. Mit dem Bogen fragen wir alle Informationen ab, die wir unbedingt brauchen, um der Sache nachzugehen. Die Apotheker sind unserer Erfahrung nach sehr engagiert beim Melden von Arzneimittelrisiken. Alleine in diesem Jahr werden etwa 6000 Meldungen bei uns eingehen. Das ist ein Zuwachs von 20 Prozent gegenüber dem letzten Jahr.
PZ: Ein Trend über die Jahre, oder ist 2000 ein besonders Jahr?
Dinnendahl: Nach der Wiedervereinigung stieg die Zahl der Meldungen natürlich erst einmal stark an. Darüber hinaus steigt die Zahl der Meldungen kontinuierlich von Jahr zu Jahr.
PZ: Sind die ostdeutschen Apotheker aufmerksamere Prüfer?
Dinnendahl: Die Apothekerinnen und Apotheker aus den neuen Bundesländern sind wirklich sehr aufmerksam und melden im Verhältnis mehr als ihre Kollegen aus den westlichen Bundesländern. Wir haben aber auch im Westen engagierte Kollegen. Unser treuester Kunde dort hat alleine in den letzten sieben Jahren 200 Mitteilungen geschickt. Das ist einsame Spitze.
PZ: Sollten sich die Apothekerinnen und Apotheker auf keinen Fall an das betroffene Pharmaunternehmen wenden?
Dinnendahl: Die Apotheke sollte auf jeden Fall auch uns informieren, wenn es irgendwelche Probleme mit der Arzneimittelsicherheit gibt. Denn wir überblicken inzwischen knapp 90.000 Meldungen aus den 25 Jahren und können auf Grund unserer Dokumentation sehr schnell sagen, ob es sich um ein systematisches Problem bei einer Charge handelt. War das vielleicht schon die fünfte Meldung aus dieser Charge, informieren wir nicht nur den Hersteller, sondern auch die zuständige Behörde. Eine zentrale Dokumentation halte ich für besonders wichtig. Das Schlechteste, was ein Apotheker tun kann, ist es, die Ware einfach dem Großhandel zurückzugeben.
PZ: Die Abgrenzung zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimittel ist schwierig, weil Indikationsansprüche sehr geschickt formuliert werden. Eine Aufgabe der AMK ist es, die Präparate zu bewerten. Welchen Maßstab legen Sie Ihrer Bewertung zu Grunde?
Dinnendahl: Die AMK ist aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage, den gesamten Markt eigenständig zu überwachen. Dazu müssten wir auch die gesamten Anzeigenkampagnen überblicken, die zum Beispiel in kleinen Fernsehzeitschriften häufig geschaltet werden. Die AMK braucht also zunächst eine Meldung aus der Praxis: dass beispielsweise über die Apotheken offenbar Produkte mit Versprechungen verkauft werden, die nicht stimmen können. Erst dann gehen wir der Sache nach.
Einerseits versuchen wir neutral über das Produkt und seine Inhaltsstoffe zu informieren, andererseits schätzen wir ein, ob es sich tatsächlich um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt. Bei Bedarf kann die AMK zwar ihre Kollegen warnen, weil sie sich strafbar machen, wenn sie ein nicht verkehrsfähiges Produkt abgeben. Aber letztlich kann nur die zuständige Behörde das Präparat einstufen.
Oft ist es nicht einfach, Informationen über die Inhaltsstoffe herauszubekommen. Wir sind daher darauf angewiesen, dass uns entsprechendes Material, also Werbung oder eine Kopie der Primärverpackung, eingeschickt wird oder die Apotheke die genaue Zusammensetzung meldet. Viele wichtige Informationen finden wir dann im Internet. Aber auch die üblichen Lehrbücher und Zeitschriften leisten gute Dienste. Es gibt also keine speziellen Datenbanken, denn dazu ist die Branche viel zu schnelllebig.
PZ: Fragt auch der Großhandel manchmal bei Ihnen nach, bevor er ein Nahrungsergänzungsmittel ins Sortiment aufnimmt?
Dinnendahl: Eigentlich weniger - zumindest nicht bei uns. Wir hatten aber kürzlich den umgekehrten Fall. Gegen den Pharmagroßhandel Phoenix wurde ein Bußgeldverfahren eingeleitet, weil er ein bestimmtes Schlankheitsprodukt führte. Der Großhandel hat uns dann darüber informiert. Doch bevor die AMK in der PZ vor dem Produkt warnen konnte, wurde ihr vom Hersteller schon mit einer Klage auf Schadensersatz gedroht.
PZ: Manche dieser Firmen zeichnen sich durch eine gewisse Agressivität aus.
Dinnendahl: In der Tat - und sie operieren häufig vom Ausland aus.
PZ: Kann die AMK Einfluss auf den Zulassungsstatus eines Arzneimittels nehmen, oder stellt sie den Behörden nur Sachinformationen zur Verfügung?
Dinnendahl: Wir arbeiten mit der Abteilung der Zulassungsbehörde sehr eng zusammen, die für die Einleitung von Stufenplanverfahren zuständig ist und die Risiken von Arzneimitteln bewertet, nachdem diese im Verkehr sind. Dort schlagen wir schon einmal Maßnahmen zur Abwehr von Risiken vor. Das kann auch einfach nur ein entsprechender Warnhinweis sein.
PZ: Entwickeln sich durch fehlenden Konsens auch mal Meinungsverschiedenheiten und Konflikte zwischen Kommission und Zulassungsbehörde?
Dinnendahl: Konflikte oder echte Meinungsverschiedenheiten hatten wir bisher nicht.
PZ: Und wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit mit der Partnerkommission der Deutschen Ärzteschaft?
Dinnendahl: Wir laden uns prinzipiell gegenseitig zu unseren Sitzungen ein. Ich bin korrespondierendes Mitglied bei der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ). Wir stehen regelmäßig miteinander in Kontakt, sei es per Telefon, Fax oder Post. Die beiden Kommissionen haben ihre Aufgabengebiete streng getrennt. Die AkdÄ ist für medizinische Risiken wie unerwünschte Wirkungen zuständig. Unser Schwerpunkt liegt auf der Beurteilung von Qualitätsmängeln. Die 10 bis 15 Prozent an Meldungen, die wir aus der Praxis zu unerwünschten Wirkungen oder Missbrauch bekommen, werden von uns ohne eigene Bewertung in die richtigen Kanäle weitergeleitet.
PZ: Stichwort Missbrauch: Was kann der Apotheker dagegen tun?
Dinnendahl: Er sollte Auffälligkeiten melden. Ich denke, jeder Apotheker, der ein paar Jahre im Geschäft ist, merkt es, wenn zum Beispiel Jugendliche im Nachtdienst Präparate mit einem Missbrauchspotenzial kaufen. Die AMK hat gerade erst drei Meldungen über jugendliche Benzinschnüffler bekommen. Drei Apotheken aus dem selben Ort berichteten uns, dass Teenager jeweils 200 ml Wundbenzin kaufen wollten. Apotheken sollten uns deshalb informieren, wenn es deutliche Hinweise auf den missbräuchlichen Einsatz von Arzneimitteln gibt.
Hier leisten auch unsere 100 flächendeckend über Deutschland verteilten Referenzapotheken wichtige Dienste. Über sie können wir prüfen, oder es sich nur um Einzelmeldungen oder ein bundesweites Problem handelt.
PZ: Das Thema Pharmazeutische Betreuung löste wie kaum ein anderes in den letzten Jahren teils kontroverse Diskussionen unter der deutschen Apothekerschaft aus. Ziel der Betreuung ist es auch, arzneimittelbezogene Probleme aufzudecken. Was versprechen Sie sich von Pharmazeutischer Betreuung? Welchen Beitrag kann die AMK mit ihrer Arbeit leisten?
Dinnendahl: Apotheker, die sich intensiv der Pharmazeutischen Betreuung widmen, haben meisten bessere Kenntnisse über unerwünschte Arzneimittelwirkungen und -risiken. Diese sollten sie natürlich unbedingt an uns melden. Klar, wer seine Patienten intensiver betreut, deckt auch mehr auf. Auf der anderen Seite können wir anhand unserer Erfahrung berichten, wo es erfahrungsgemäß Probleme gibt, und der Apotheker intensiver beraten sollte. Bestes Beispiel sind die Dosieraerosole: Die werden häufig von den Apotheken eingeschickt, weil sie anscheinend defekt sind. Oft müssen die Geräte aber nur ordentlich gereinigt werden und funktionieren dann wieder einwandfrei. Der Patient kann das Dosieraerosol dann sofort wieder mitnehmen, und muss nicht unnötig lange warten.
PZ: Die Mitglieder der Kommission sind über das gesamte Bundesgebiet verstreut. Auf Meldungen über Arzneimittelrisiken muss oft schnell reagiert werden. Wie funktioniert der Austausch unter den Kommissionsmitgliedern? Oder werden die meisten Anfragen direkt in der Geschäftsstelle erledigt?
Dinnendahl: Meine 22-jährige Erfahrung als Leiter der Geschäftsstelle zeigt mir: Die allermeisten Dinge können ad hoc gelöst werden. Darüber arbeiten wir natürlich auch eng mit dem ZL zusammen. Sollten wir dennoch den Rat eines Experten brauchen, können wir jederzeit auf ein spezialisiertes Mitglied der Kommission zurückgreifen. In aller Regel ist das aber nicht erforderlich.
PZ: Kommt also ein Meldebogen bei Ihnen an, dann schicken sie diesen nicht erst reihum an die ganze Kommission, sondern kontaktieren nur gezielt einen Fachmann, wenn wirklich Klärungsbedarf besteht?
Dinnendahl: Ja, und das passiert nur in Einzelfällen.
PZ: Die Contergan-Affäre in den siebziger Jahren gilt als Auslöser einer neuen Ära in der Arzneimittelsicherheit. Die AMK registriert nun seit 25 Jahren Arzneimittelrisiken. Welcher Fall hat Sie persönlich seit Beginn ihrer Arbeit in der AMK am meisten beschäftigt?
Dinnendahl: Da fallen mir natürlich diese Schlankheitsrezepturen von Dr. Coesens ein. Die bestanden aus allen möglichen Hormonen oder Extrakten aus entsprechenden hormonproduzierenden Organen sowie zwei Appetitzüglern, einem Barbiturat und noch einem Diuretikum, einfach abenteuerlich. Eine Meldung über diesen Cocktail haben wir erstmals 1983 auf den Tisch bekommen. Es handelte sich damals um ein belgisches Rezept, das Patienten in Deutschland eingelöst hatten. Die AMK warnte in der PZ unmittelbar vor diesem gefährlichen Mix. Trotzdem landeten immer mehr dieser Rezepte in den Apotheken.
Wir baten dann die Kollegen, uns solche Rezepte in Kopie zuzuschicken. Diese Ablichtungen gingen dann an die Arzneimittelkommission der Ärzte. Die AMK veröffentlichte fast jedes Jahr eine Warnung vor den Schlankheitsrezepturen. 1987 warnte das damalige BGA auf unser Drängen dann in einer Pressemeldung vor der gefährlichen Mischung, obwohl die Behörde eigentlich nur für Fertigarzneimittel zuständig ist. Erst 1995 verschwanden die Rezepturen, als zwei Todesfälle mit der Rezeptur in Verbindung gebracht wurden und man in Neuss einen Arzt und zwei Apotheker verurteilte. Ein Problem, das uns tatsächlich über zwölf Jahre in Atem gehalten hat.
PZ: Erst kürzlich machte die Stiftung Warentest mit einem Handbuch zur Arzneimitteltherapie auf sich aufmerksam. Die AMK versorgt momentan primär Apotheken mit ihrem Know-how. Könnte Sie sich vorstellen, dass die Kommission künftig auch Laien aufklärt, und zum Beispiel an der Publikation eines entsprechenden Handbuches mitarbeitet?
Dinnendahl: Natürlich leisten wir einen Beitrag zur Aufklärung. Allerdings sind Apothekerinnen und Apotheker unsere Zielgruppe. Ich denke, das sollte auch so bleiben, denn rund 22.000 Apotheken sind genug Kontaktstellen, in denen Laien aufgeklärt werden können. Warum soll die Apothekerschaft jetzt noch ein weiteres Buch auf den Markt bringen; vielleicht sogar mit widersprüchlichen Inhalten? Wir sollten vor allem Apotheker mit Informationen versorgen. Die müssen dann mit Hilfe ihrer Ausbildung und Erfahrung die richtigen Ratschläge an die Laien weitergeben. Ich finde es viel besser, an den Apotheker zu verweisen, als ein Buch zu schreiben, das im Einzelfall dann doch nicht stimmt.
PZ: Ist es nicht an der Zeit, dass auch Apotheker ihre Statements zu verschiedenen Arzneimittel öffentlich machen?
Dinnendahl: Wir schreiben auch schon einmal eine Pressemeldung; zum Beispiel wenn irgendein Kartoffelchemiker irgendwelche Komplexe aus Metallen vermarktet, die gegen Krebs helfen sollen und das Präparat dann für viel Geld verkauft wird. Aber bei solchen Warnungen werden die Apotheker vor Gericht oft als Konkurrenten der Hersteller betrachtet. Dann ist eben nicht mehr nur die Rede von einfacher Meinungsäußerung, sondern es kommen kartellrechtliche Probleme ins Spiel, weil wir angeblich Mitbewerber schlecht machen.
PZ: Scheiterte es nicht auch daran, dass Apotheker haftungsrechtlich leichter belangt werden können?
Dinnendahl: Das ist sicher mit ein Grund, warum wir nicht alles öffentlich machen können. Ich hoffe, die Apothekerinnen und Apotheker haben dafür Verständnis.
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