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Aids-Tage: Therapie ersetzt keine Prävention

14.07.1997  00:00 Uhr

-Politik

  Govi-Verlag

Aids-Tage: Therapie ersetzt keine Prävention

    Das Szenario hat sich komplett gewandelt; der Fortschritt der letzten 16 Monate war größer als der der letzten 16 Jahre. Dr. Hans Jäger, Aids-Spezialist und Kongreßleiter der 6. Münchner Aids-Tage, sprach von "erdrutschartigen Verbesserungen" in der Behandelbarkeit der HIV-Erkrankung. Wo vor wenigen Jahren noch der Kampf gegen ein frühes, qualvolles Sterben im Vordergrund stand, geht es jetzt um praktikable und gut verträgliche (Langzeit-)Therapien, um Lebensqualität und Zukunftsgestaltung.

Über 1700 Teilnehmer kamen vom 4. bis 6. Juli zu dem Kongreß nach München, den das KIS (Kuratorium für Immunschwäche) regelmäßig veranstaltet. Wie weit die Therapie heute ist, zeigte bereits der Titel des ersten Vortrages: Kann HIV geheilt werden? Noch vor wenigen Jahren wäre die Frage undenkbar gewesen. Ein besseres pathologisches Verständnis, der Routineeinsatz der Viruslast als Prognosefaktor und zum Therapiemonitoring sowie neue Reverse-Transkriptase- und insbesondere Proteasehemmstoffe lassen die Chance auf Heilung plausibel erscheinen.

Nach ersten Modellrechnungen müßte man die Viruslast im Blut medikamentös über 3,1 Jahre konstant unter die Nachweisgrenze drücken (derzeit 20 RNA-Kopien pro ml), um HIV-1 zu eradizieren. Doch das ist theoretisches "mathematical modelling", das von vielen angezweifelt wird.

Sichtbar sind die Verbesserungen im klinischen Bild. Die Sterblichkeitsrate ging 1996 um 25 Prozent zurück, für 1997 wird ein noch größerer Rückgang erwartet. sagte Jäger vor der Presse. Der Aids-Demenz-Komplex ist heute eine Rarität. Infektionen mit Cytomegalieviren oder Mycobakterien sanken um bis zu 75 Prozent. Opportunistische Infektionen kommen kaum noch vor, bestätigte Dr. Eva Jägel-Guedes, die als niedergelassene Ärztin in München HIV-Patienten betreut. Völlig neu in den Schwerpunktpraxen sind HIV-positive Patienten, die über Übergewicht klagen.

Trotz mittlerweile elf zugelassenen Arzneistoffen zur Behandlung der Immunschwäche ist die Therapie noch nicht optimal. Ziel ist die komplette Unterdrückung der Virusreplikation mit kompakten, gut verträglichen und einfach einzunehmenden Arzneistoffkombinationen, erklärte Dr. Schlomo Staszewski vom Universitätsklinikum Frankfurt.

Die heutigen Kombinationen erfüllen diese Anforderungen nicht. Vermutlich sind nur 30 bis 50 Prozent der Patienten in der Lage, das komplizierte Einnahmeschema einer Dreifach-Kombination auf Dauer zuverlässig einzuhalten. Die mangelhafte Compliance fördert massiv die Resistenzbildung. Die Folge sind "ausgebrannte" Patienten, die gegen alle verfügbaren Therapeutika resistent sind, warnte Dr. Jörg Gölz aus Berlin.

Raus aus der Präventionsfalle

Eine konsequente Dreifachtherapie hat auch Bedeutung für die Prävention: Sie drückt die Viruslast im Sperma unter die Nachweisgrenze. Möglicherweise sinkt damit das Risiko der HIV-Übertragung. Immerhin infizieren sich heute noch 1000 bis 2000 Menschen pro Jahr neu mit dem HIV, vorwiegend homosexuelle junge Männer. Einhellig wiesen die Fachleute auf die Gefahren von Entwarnungsphantasien hin, euphorische Berichte über Therapieerfolge wiegten viele Menschen in trügerischer Sicherheit.

Die Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung in Köln knüpft daher an ihre zehnjährige Erfahrung in der Aids-Prävention an: "Weiter so, Leute" heißt das Motiv der aktuellen Großplakatkampagne. Aus der Schweiz stammt der Slogan, der die derzeitige Situation der Prävention treffend beschreibt: Neue Medikamente bringen Hoffnung für einige, Präservative Sicherheit für alle.

PZ-Artikel von Brigitte M. Gensthaler, München

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