Medizin
Mit mehr als 22 000 diagnostizierten Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland ist das Prostatakarzinom die zweithäufigste Krebserkrankung des Mannes. Hormonbehandlung und Operation sind zur Zeit die einzigen erfolgversprechenden Therapiemöglichkeiten. Seit Jahren suchen Ärzte und Wissenschaftler nach neuen Ansätzen auf molekularbiologischem Gebiet. Wesentliche Forschungstrends wurden auf einer internationalen Fachtagung in Dresden vorgestellt.
Ziel der molekularbiologischen Forschung ist es, Unterschiede zwischen normalem und Tumorgewebe zu untersuchen. Als bisherige Erfolge nannte Professor Dr. Bernd Jürgen Schmitz-Dräger aus Düsseldorf die Darstellung von Antigenen auf Tumorzellen, Untersuchungen genetischer Veränderungen und die Einführung von Restriktionsenzymen. Aus den Forschungsergebnissen lassen sich Ansätze für neue Behandlungsmöglichkeiten ableiten, von denen die Wissenschaftler entscheidende Veränderungen in Diagnostik und Therapie des Prostatakarzinoms und anderer Tumorerkrankungen erwarten. Mit klinisch verfügbaren Methoden rechnen sie in etwa 20 Jahren.
Geschädigte Gene sollen ersetzt werden
In welcher Weise verschiedene Tumorsuppressorgene und Onkogene an der Entstehung und am Wachstum des Prostatakarzinoms beteiligt sind, ist noch ungeklärt. Fest steht, daß besonders in späteren Stadien die Tumorsupressorgene Rb und p53 eine wichtige Rolle spielen. Veränderungen an verschiedenen Chromosomen konnten ebenfalls festgestellt werden. Gehäuft treten Verluste auf den Chromosomen 8p, 13q, 10q und 16q auf. Vermehrungen wurden bei den Chromosomen 8p und X beobachtet. Veränderungen des Chromosoms 1q24-25 kommen bei bekannter familiärer Genese des Prostatakarzinoms vor. Ein neuer Therapieansatz sei der Austausch geschädigter Gene durch intakte Analoga, so Schmitz-Dräger. In dieser Richtung werde zur Zeit intensiv geforscht.
Eine wichtige Bedeutung bei der Entstehung des Prostatakarzinoms scheint ebenfalls der Interaktion zwischen dem Epithel- und dem Bindegewebe zuzukommen. Neuere Forschungsergebnisse deuten darauf hin, daß dieses Zusammenspiel beim Prostatakarzinom gestört ist. Möglichkeiten für die Diagnostik, speziell für die Feststellung des Stadiums und die Malignität des Tumors, zeichnen sich ab. Biochemische Analysen der beteiligten Proteine haben ergeben, daß das Adhäsionsmolekül E-Cadherin künftig möglicherweise als unabhängiger Marker genutzt werden kann.
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die Untersuchung von Veränderungen im Androgenrezeptorgen, das die Wirkung des Testosterons steuert und damit Einfluß auf die Entwicklung der Prostata nimmt. Nach Auskunft von Professor Dr. Manfred P. Wirth aus Dresden sind bisher mehr als zwanzig mögliche Mutationsarten festgestellt worden, die unter anderem zu Resistenz gegenüber therapeutisch eingesetzten Antiandrogenen führen können.
Therapeutische Perspektiven
Zur Zeit werden verschiedene Stoffe (zum Beispiel Talidomid, Fumigalin) erprobt, um die geschädigten Rezeptoren entweder direkt oder über Enzyme und Wachstumsfaktoren zu blockieren. Erste Ergebnisse werden im nächsten Jahr erwartet. Auch von der intermittierenden Antiandrogentherapie versprechen sich die Wissenschaftler Erfolge. Mit dieser Behandlungsmethode, die jeweils eine Therapiepause von etwa neun Monaten vorsieht, soll die Entstehung eines hormonunabhängigen Karzinoms hinausgezögert und die Remissionsdauer verlängert werden.
Bessere Diagnose durch RT-PCR-Methode
Durch die Vervielfältigung von DNA- und RNA-Sequenzen mit Hilfe der RT-PCR-Methode soll in Zukunft die klinische Klassifizierung von Tumoren verbessert werden. Auf diese Art könnten selbst durch Blut- oder Knochenmarkanalysen Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob Tumorzellen die Prostata bereits verlassen haben oder nicht. Neben der frühzeitigen Erkennung eines organüberschreitenden Karzinoms könnte durch die RT-PCR-Methode die stadiengerechte Therapie der Patienten verbessert werden.
PZ-Artikel von Gisela Dietz, Dresden © 1997 GOVI-Verlag
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