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Der Weg zum Entwicklungsland

14.07.1997  00:00 Uhr

-Editorial

  Govi-Verlag

Der Weg zum Entwicklungsland

    von Dr. Hartmut Morck,
Chefredakteur

"Seit 30 Jahren hat sich Deutschland am Mittelmaß orientiert" und "die deutschen Hochschulen sind für Ausländer nicht mehr attraktiv". Zwei Erkenntnisse, die in Lindau anläßlich der 47. Nobelpreisträgertagung Ende Juni vom bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoiber und vom Staatssekretär des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Fritz Schaumann, vorgetragen wurden.

Erkenntnisse, die nicht neu sind, aber von der Politik bisher ignoriert wurden.

Wie anders soll man sonst den Stolz der Landesväter interpretieren, die nach wie vor die Qualität einer Universität an der Anzahl der Studenten messen? Masse ist aber nun mal nicht Klasse, und ich kann dem bayerischen Ministerpräsidenten nur zustimmen, daß in der Bildung das Mittelmaß zur Leitlinie geworden ist. Es ist müßig, heute nach den Ursachen zu fahnden. Es ist viel wichtiger, Auswege aus dieser offensichtlich auch politisch akzeptierten Bildungsmisere zu suchen. Das muß bereits in der Schule beginnen. Wenn heute über 50 Prozent eines Schuljahrgangs das Abitur anstreben (vor 30 Jahren waren es knapp 20 Prozent), dann ist die Frage gestattet: Sind Deutschen in dieser Zeit soviel klüger geworden? Die Antwort lautet: Nein, nur das Leitungsniveau ist gesunken. Auch an den Universitäten.

Die Forderung muß also lauten, die Voraussetzungen für den Zugang zur Hochschule neu zu definieren. Das kann nur heißen, den Leistungsanspruch anzuheben Das setzt allerdings voraus, daß allen, die die Hochschulreife nicht erreichen, adäquate Ausbildungs- und Berufschancen geboten werden. Deutschland kann es sich volkswirtschaftlich nicht mehr leisten, Nichtabiturienten gesellschaftlich geringer einzustufen. Deutschland kann sich aber auch nicht mehr die Massenuniversität leisten, deren Output dem internationalen Vergleich nicht mehr standhält. Deutschland ist als Exportland ohne Bodenschätze darauf angewiesen, Know-how zu exportieren, das heißt, Hightech-Produkte zu produzieren. Dies geschieht zur Zeit nicht. Japaner und Amerikaner haben den Deutschen die Führungsposition unter den Nationen der Forscher und Denker abgerungen.

Wenn Deutschland die Führungsposition zurückerobern will, brauchen wir meiner Meinung nach eine vollkommen andere Bildungspolitik. Eine Bildungspolitik, die auf Leistung und Wettbewerb setzt. Symposien mit hochtrabenden Titeln wie "Initiative für Bildung" oder "Bildung 2000" reichen nicht aus. Sie demonstrieren nur Hilflosigkeit der zur Zeit politisch Verantwortlichen. Die begrenzten finanziellen Ressourcen müssen sinnvoller als bisher eingesetzt werden. Sie dürfen auf keinen Fall gekürzt, sondern sollten aufgestockt werden. Wichtig wäre außerdem, daß für die staatlich finanzierte Forschung ein Leistungsnachweis erbracht werden muß.

Wenn schon zwei Politiker in ihrer Erkenntnis auf dem richtigen Weg sind, sollten sie auch die Konsequenzen daraus ziehen und ein neues, leistungsfähiges Bildungssystem etablieren. Die Macht hätten sie dazu, das Geld müßten sie sich bei anderen besorgen. Es wird Zeit, daß etwas gechieht. Ansonsten besteht die Gefahr, daß Deutschland wissenschaftlich und in der Folge auch wirtschaftlich den Anschluß verliert und zum Entwicklungsland wird.

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