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Mensch im Mittelpunkt

23.06.2003  00:00 Uhr

Mensch im Mittelpunkt

Unbestritten beherrschen politische und nicht fachliche Themen das derzeitige Geschehen. Trotz der intensiven Diskussion ist es bislang keiner Fraktion gelungen, ein Erfolg versprechendes Konzept für ein qualitativ hochwertiges und gleichzeitig bezahlbares Gesundheitssystem vorzulegen. Das von der Regierung vorgeschlagene Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG) dürfte dazu ebenso wenig geeignet sein, wie die Gegenvorschläge der Opposition. Es bleibt also abzuwarten, was die Politiker für Heilberufler und Patienten noch alles in petto haben.

Dennoch sollte meiner Meinung nach auch in politisch stürmischen Zeiten der fachliche Aspekt nicht im GMG-Nirvana untergehen. Zumal der fünfte Highlight-Kongress in Gotha, von dem wir ausführlich ab Seite 18 berichten, in dieser Hinsicht einiges zu bieten hatte: Was ist der Lotus-Effekt? Wie lässt sich eine Stammzelle berührungslos manipulieren? Helfen Stammzellen nach einem Herzinfarkt? Ich denke, dies alles sind Fragen, die in ihrer Bedeutung mit der Diskussion um die private Pflichtversicherung für Zahnersatz durchaus konkurrieren können.

Ein ethischer Vortrag rundete in Gotha das vielseitige wissenschaftliche Programm ab: Wie wird die Menschenwürde definiert? Menschenwürde ist bei kontrovers diskutierten Themen ein beliebtes und häufig verwendetes Argument. Fragt man jedoch nach einer Definition, bricht schnell der intellektuelle Notstand aus, sagte Professor Dr. Franz Joseph Wetz auf dem Highlight-Kongress. In einer Gesellschaft, die die Würde des Menschen im ersten Satz der Verfassung als unantastbar verankert hat, sollte dies nicht nur einen Philosophen beunruhigen. Das Bundesverfassungsgericht bezieht hier eindeutig Stellung: "Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu; es ist nicht entscheidend, ob der Träger sich dieser Würde bewusst ist und sie selbst zu wahren weiß." Nach Wetz` Auffassung ergibt sich die Würde erst im Umgang des Einzelnen mit sich und anderen sowie dem Umgang des Staates mit seinen Bürgern. Bedauerlich, dass sich die meisten der verantwortlichen Politiker anscheinend von dieser Anschauung weitgehend distanziert haben.

Natürlich ist bei aller Ethik das Paradies auf Krankenschein heute nicht mehr bezahlbar. Dennoch würde eine Betrachtungsweise, die wieder mehr den Menschen in den Mittelpunkt stellt, sicherlich zu konstruktiveren Lösungen und einer humaneren Abwägung führen, wo die Grenze zum medizinisch Notwendigen liegt und wo wirklich sinnvoll gespart werden kann. Das von der Bundesregierung geplante Deutsche Zentrum für Qualität in der Medizin ist übrigens dabei sicherlich kein Schritt in die richtige Richtung. Abgesehen davon, dass ein Zentrum zur nochmaligen Prüfung bereits zugelassener Medikamente vollkommen überflüssig ist, entsteht hier eine Organisation, für die eine reine Kosten-Nutzen-Analyse im Mittelpunkt steht – und nicht der Mensch.

Dr. Kerstin A. Gräfe
Redakteurin
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