Politik
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hat auf seiner Hauptversammlung am 16. Juni in Berlin verläßliche und stabile Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen gefordert - frei von ideologischen Vorurteilen und politischen Richtungskämpfen. "Wir fordern eine Wirtschaftspolitik, die uns und unseren Standort stärkt und uns im Wettbewerb auf dem globalen Gesundheits- und Arzneimittelmarkt unterstützt", sagte der BPI-Vorsitzende Professor Dr. Hans Rüdiger Vogel. Es sollte keine Hauptversammlung der sanften Töne werden, kündigte der BPI-Vize Dr. Bernd Wegener an. Im Interesse der nationalen und internationalen Interessen seiner Mitglieder forderte Vogel ferner eine Gesundheitspolitik, die Freizügigkeit und Wettbewerb in Europa begünstigt. Subsidiarität müsse als Motor und nicht als Bremse bei der Förderung der Interessen der Menschen verstanden werden. Eine Neuorientierung der Qualitätsdiskussion im Gesundheitswesen müsse den ganzen Menschen im Blick haben und gleichzeitig Leistungsanreize, Wettbewerb und Transparenz für alle Beteiligten schaffen. Schließlich könne auf mehr Ehrlichkeit bei der Qualitätsdiskussion nicht länger verzichtet werden. Politik und Krankenkassen sollten demnach auf Scheinbegründungen für Richtlinien und Leitlinien verzichten.
Damit hat Vogel eine klare Richtung für die künftige Gesundheitspolitik vorgegeben, nachdem in den letzten 25 Jahren der Kostendämpfungspolitik immer nur kurzfristig finanzielle Löcher gestopft worden seien. Darüber habe die Politik die langfristige Perspektive verloren.
Doppelter Alterungsprozeß Ein doppelter Alterungsprozeß wird nach Vogels Worten die Gesundheitsversorgung beeinflussen: steigende Lebenserwartung und geringere Geburtenraten. Die medizinische Versorgung wird sich auf die steigende Lebenserwartung und die damit verbundene alterstypischen Multimorbidität einstellen müssen. In jedem Fall aber sei der Gesundheitsmarkt ein Wachstumsmarkt: Die Lebensqualität wird zum Megatrend. Das neue Bewußtsein, das sich in der Freizeitindustrie schon auswirkt, bekommt der Gesundheitssektor mit einiger Verzögerung zu spüren. Besonders deutlich werde das veränderte Bewußtsein bei der älteren Generation auftreten, die ein Recht auf maximale Lebensqualität im hohen Alter einfordert.
Darauf müsse sich die Pharmaindustrie einstellen. Für den Beginn des neuen Jahrtausends sei ein weiterer globaler Wachstumsschub zu erwarten. Das Institut für Medizinische Statistik (IMS) sage auf Basis neuer Berechnungen voraus, daß der globale Pharmamarkt allein von 1997 bis zum Jahr 2001 um knapp 30 Prozent wachsen wird.
Die Ende April gefällten EuGH-Urteile Kohll und Decker bedeuten nach Ansicht des BPI-Vorsitzenden vorerst nicht mehr, als daß "ein Hauch internationalen Wettbewerbs endlich auch in anderen Leistungsbereichen weht und ein Anstoß gegeben wird, über die Konkurrenzfähigkeit deutscher Leistungsstandards und damit verbundener Preise nachzudenken". Der Weg werde über kurz oder lang nicht an einer Angleichung der nationalen Gesundheitssysteme im Rahmen der Europäischen Union vorbeigehen.
Lafontaine: neues Denken in der Wirtschaftspolitik Der Ministerpräsident des Saarlandes und SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine hat vor den Vertretern überwiegend mittelständischer Pharmaunternehmen einen globalen wirtschaftspolitischen Bogen gespannt, was dem Vernehmen nach den Zuhörern keinerlei Hinweise auf eine künftige Wirtschaftspolitik nach einem Regierungswechsel gab.
Bei allen Überlegungen dürfe das Gesetz "Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen des anderen" nicht vergessen werden. Besonders wichtig war dem Saarländer, den Begriff der makroökonomischen Steuerung wieder zu beleben. Mit der fundamentalen Entscheidung, einen gemeinsamen Währungsraum zu schaffen, werde Europa mit dem US-Wirtschaftsraum vergleichbar. Hier sei es beispielsweise gelungen, Arbeitslosigkeit abzubauen. Eine starke Währung und ein stabiler Währungsraum seien "die" Chance für mehr Beschäftigung.
Bei aller Makrosteuerung konnte Lafontaine keine Steuersenkungen versprechen, bestenfalls eine Umstrukturierung, weil schließlich dringend in die Bildung investiert werden müsse. Der Ministerpräsident warnte davor, die Volkswirtschaft, insbesondere die sozialen Sicherungssysteme überzustrapazieren. Schließlich würden reduzierte Gesundheitsausgaben die Gewinnerwartungen der Pharmafirmen nicht erhöhen. Ausgaben hätten auch immer Beschäftigungseffekte, meinte Lafontaine mit Blick auf die Kuren.
Europa brauche aber eine Steuerpolitik, die Steuergerechtigkeit schaffe, so daß nicht Standortverlagerungen Steuern umgangen werden könnten. Angesichts wachsender Weltbevölkerung müßten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die auch umweltgerecht seien. Dazu müsse die makroökonomische Steuerung wiederentdeckt werden.
Dr. Wolfgang Weng neuer BPI-Hauptgeschäftsführer Am 1. Juli wird der Apotheker und bisherige stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Dr. Wolfgang Weng (55) seinen Vorgänger Professor Dr. Hans Rüdiger Vogel im Amt des Hauptgeschäftsführers des BPI ablösen. Die naturwissenschaftliche Ausbildung und die politische Erfahrung sind nach Vogels Worten eine gute Voraussetzung für die Arbeit an der Nahtstelle zwischen Politik und Wirtschaft. Weng sieht die politisches Durchsetzungsfähigkeit, die Präsenz in der Öffentlichkeit und die Serviceleistungen für die Mitglieder des Verbandes als Arbeitsschwerpunkte an. Seine Devise: In der Politik gilt nicht das Versprochene, sondern das Gehaltene".
PZ-Artikel von Gisela Stieve, Berlin
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