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Das hyperkinetische Kind

07.06.1999  00:00 Uhr

-PharmazieGovi-VerlagPHARMACON MERAN

Das hyperkinetische Kind

"Das Gleis für die richtige Diagnose und Therapie muß möglichst früh gestellt werden, sonst wird das Hyperkinetische Syndrom zum Risikofaktor", betonte Professor Dr. Fritz Poustka von der Universität Frankfurt. Immerhin 0,5 bis 1,5 Prozent aller Kinder in der Bundesrepublik leiden an den typischen Symptomen wie Überaktivität, Konzentrationsschwäche und Distanzlosigkeit. Rund ein Drittel von ihnen müsse medikamentös behandelt werden. Viele Eltern lehnten die Pharmakotherapie jedoch aufgrund von Vorurteilen ab.

Hyperkinetische Kinder sind oft unaufmerksam. Die Eltern berichten dem Therapeuten dann, ihre Nachwuchs hört nicht richtig zu. Die kleinen Patienten leiden jedoch nicht an Schwerhörigkeit, sondern sind einfach nicht in der Lage, die vielen externe Reize zu filtern, die täglich auf sie einstürmen. Konzentrationsschwäche, Impulsivität und Distanzlosigkeit seien dann die Folge, berichtete Poustka. Eine gestörte Motorik ergänze oft das Krankheitsbild.

Die Diagnose müsse sehr differenziert gestellt werden. Eine Hyperthyreose oder organische Psychosyndrome seine auf alle Fälle auszuschließen. Man bediene sich deshalb verschiedener Hilfsmittel. Zunächst müsse der Therapeut die Eltern sowie andere Bezugspersonen wie den Klassenlehrer interviewen. Daneben sollte das Verhalten des betroffenen Kindes von Eltern und Lehrer anhand eines Fragebogens bewertet werden. Zusätzlich führe man in Frankfurt stets einen Intelligenztest durch, erklärte der Referent.

In Sachen Pathophysiologie liegt beim HKS noch einiges im Dunkeln. Heute glaube man jedoch, daß wahrscheinlich eine genetische Prädisposition vorliegt. Diese sei vermutlich auf dem Erbgut lokalisiert, das für dopaminerge Rezeptoren codiere. Untersuchungen mit monozygoten und heterozygoten Zwillingen unterstützten diese These, so Poustka. Deshalb könne man heute perinatale Schäden als Auslöser relativ sicher ausschließen.

Die Therapie des Hyperkinetischen Syndroms ruhe auf verschiedenen Säulen, sagte Poustka. Zunächst sollten Kinder und Eltern umfassend über die Krankheit aufgeklärt werden. Eltern litten oft unter Schuldgefühlen, die es abzubauen gelte. Dann müßten die Erziehungsberechtigten für sich den richtigen Umgang mit ihrem Nachwuchs trainieren. Bei den HKS-Kindern stehe die kognitive Therapie im Mittelpunkt. Das heißt, sie müßten lernen, ihre Impulsivität in den Griff zu bekommen sowie Selbstmanagement und Konzentrationsfähigkeit spielend zu erlernen.

Dabei dürfte es sich allerdings nicht um Wettbewerbsspiele handeln, betonte der Referent. Als Mittel der ersten Wahl in der Pharmakotherapie nannte Poustka die Stimulantien. Eine Indikation sei grundsätzlich gegeben, wenn zuvor in verschiedenen Situationen die Zielkomponenten Konzentrationsstörung und impulsives Verhalten deutlich beobachtet und belegt werden konnten.

Grundsätzlich sollten die Präparate über etwa eine Woche langsam einschleichend dosiert werden. Der Therapieerfolg müsse dann ständig kontrolliert werden. Außerdem sollten die Stimulantien einmal im Jahr mindestens über vier Wochen, möglichst in den Ferien, ausgesetzt werden. Nur so könne der Arzt erkenne, ob die Medikation noch notwenig ist. HKS-Kindern könnten die Präparate wie Methylphenidat (Ritalin(r)), Amfetamin, Fenetyllin (Capatagon(r)) oder Pemolin (Tradon(r), Hyperilex(r)) circa ab dem sechsten Lebensjahr einnehmen. "Es gibt keine Sucht", betonte Poustka.

Als Nebenwirkungen träten vereinzelt Schlafstörungen, Tics, Kopf- und Bauchschmerzen, Appetitlosikeit sowie selten Wachstumsstörungen auf. Der Referent empfahl, die Präparate möglichst nach den Mahlzeiten zu geben. Obwohl Stimulantien zu einem täglichen Rückfall führen, weil sie nicht fugenlos über den ganzen Tag gegeben werden können, seien sie anderen Präparaten wie Antidepressiva und Neuroleptika aufgrund ihrer besseren Wirkung und dem günstigeren Nebenwirkungsprofil vorzuziehen.Top

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