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Einmal im Monat erkältet ist normal

07.06.1999  00:00 Uhr

-PharmazieGovi-Verlag

PHARMACON MERAN

Einmal im Monat erkältet ist normal

von Ulrike Wagner, Meran

Kinder leiden von der Geburt bis zu einem Alter von vier Jahren im Durchschnitt an fünf virusbedingten Atemwegsinfekten pro Jahr, berichtete Professor Dr. Dietrich Hofmann vom Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt. Die Streuung liege dabei zwischen jährlich keinem und 13 Infekten.

Ursache für die zahlreichen viralen Atemwegserkrankungen - auch Kindergartensyndrom genannt - sei das noch nicht ausgereifte Immunsystem. Zigarettenrauch belaste die Kinder zusätzlich, dadurch steige die Anzahl und die Schwere der Virusinfektionen, warnte Hofmann.

Zahlenmäßig an der Spitze der Erreger stehen Rhinoviren, die allerdings meist leichtere Erkrankungen hervorrufen. Infektionen mit RS-Viren (Respiratory Syncytical Viruses) kommen zwar seltener vor, aber die Kinder erkranken schwerer und entwickelen anschließend häufig Asthma bronchiale, berichtete Hofmann. Eine präventive Therapie gegen RS-Viren gibt es bereits: den monoklonalen Antikörper Palivizumab. Das Immunglobulin ist seit letzten Sommer in den USA zugelassen, in den nächsten Monaten ist damit auch in Europa zu rechnen. Allerdings sei der Antikörper sehr teuer und müsse einmal im Monat parenteral appliziert werden. Daher werde er nur für Risikopatienten empfohlen, etwa Frühgeborene, sagte Hofman.

Bei den Virustatika zeichne sich inzwischen eine Entwicklung ab, die mit der der Antibiotika vergleichbar sei. An erster Stelle stehe hier Aciclovir, das gegen Herpesviren wirkt, allerdings wie alle Virustatika nur bei frühzeitiger Anwendung. Im Laufe dieses Jahres komme außerdem Zanamivir auf den Markt, ein Inhibitor der Influenzavirus-Neuraminidase, den die Patienten über die Nasenschleimhaut aufnehmen oder inhalieren können. Das Virustatikum Amantadin ist nach Meinung des Pädiaters nur begrenzt wirksam und sehr umstritten.

Bei der symptomatischen Therapie steht die Fiebersenkung im Vordergrund. Bei ansonsten gesunden Kindern allerdings erst, wenn die Temperatur auf 39 °C oder höher steigt. Darunter reichen physikalische Maßnahmen völlig aus. Zur Fiebersenkung empfahl Hofmann Paracetamol in einer Dosierung von 40 mg/kg/Tag. Im Gegensatz zu Deutschland sei Ibuprofen in den USA in der Kinderheilkunde bereits etabliert. Ein Ibuprofen-Saft kommt demnächst auch auf den hiesigen Markt.

Über die Wirksamkeit von Sekretolytika bei Infektionen der oberen Atemwege streitet man sich noch. "Uns fehlt das Handwerkszeug, die Sekretolyse zu messen", erklärte Hofmann. Daher gebe es keine placebokontrollierten Doppelblindstudien. Er habe aber beobachten können, daß sie bei Kindern tatsächlich wirken, berichtete der Pädiater und wandte sich gegen die Empfehlungen der Krankenkassen, schleimlösende Medikamente durch zusätzliche Flüssigkeitszufuhr zu ersetzen. Flüssigkeitsverluste müßten zwar ausgeglichen werden, weitere Flüssigkeitszufuhr führe aber lediglich zu Erbrechen.

Virusinfektionen mit Antibiotika behandeln? Ja, sagt Hofmann, immer dann, wenn Sekundärinfektionen durch Bakterien zu befürchten seien, also wenn eine fieberhafte Bronchitis zum Beispiel länger als vier bis fünf Tage dauert. Zur Anwendung von Phytopharmaka bei Atemwegserkrankungen äußerte Hofmann sich zurückhaltend. Efeublättern, Lichen islandicum und Kamille räumte er eine gewisse Wirksamkeit ein, von Echinacea-Präparaten zur Stärkung des Immunsystems hält er nichts, da sie die Reifung des Immunsystems nicht förderten.

Neben den Atemwegsinfektionen erkranken viele Kinder in den ersten Lebensjahren an Durchfällen. Ursache dieser nichtbakteriellen Enteritiden seien die besonders häufigen Rotaviren. In den nächsten Monaten kommt ein oraler Impfstoff gegen Rotaviren auf den Markt und ergänzt damit das Impfprogramm gegen die schwersten Kinderkrankheiten, berichtete Hofmann. Top

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