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02.06.1997  00:00 Uhr

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  Govi-Verlag

Apoptose: Mord und Selbstmord im menschlichen Organismus

  Mit wilden Bewegungen scheint die Zelle sich gegen ihren Tod zu wehren. Doch das ist zwecklos. Längst ist ihr Untergang entschieden. Sie beginnt, sich heftig zu bewegen. Ihre Oberfläche, die sonst glatt und prall ist, wird wellig. Die Zelle löst sich in Blasen auf. Wenn schließlich nur noch die kleinen Blasen vorhanden sind, beginnen Nachbar- und Freßzellen mit der Entsorgung. Sie nehmen die Teilchen in sich auf. Dieser Zelltod heißt Apoptose.

Das Wort kommt aus dem Griechischen und bezeichnet das Abfallen welker Blätter von einer Blume oder von einem Baum. Ebenso wie die Natur in jedem Herbst dafür sorgt, daß die Blätter fallen, gibt es ein genetisches Programm, das den Tod nicht mehr benötigter Zellen bewirkt und die Anzahl der Zellen im Gewebe konstant hält. Damit agiert die Apoptose komplementär zur Mitose, die aus einer Zelle zwei identische Tochterzellen herstellt. Schon im Jahr 1842 beobachteten Wissenschaftler diesen Vorgang unter dem Mikroskop. Doch erst 130 Jahre später, 1972, gaben andere Wissenschaftler der wahrscheinlich häufigsten Form des Zelltods im menschlichen Organismus einen Namen. Kerr, Wyllie and Currie, die Erfinder des Begriffs Apoptosis, werden auch heute noch in beinahe jedem wissenschaftlichen Aufsatz zu dem Thema zitiert.

Apoptose oder Nekrose?

Wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit war es, die Apoptose mit ihren spezifischen morphologischen Merkmalen von einer anderen Form des Zelltods, der Nekrose, abzugrenzen. Nekrose findet dann statt, wenn zum Beispiel Hitzeeinwirkung oder Sauerstoffmangel die Zelle stark geschädigt haben. Das Zellmaterial verflüssigt sich oder gerinnt. So wird die kranke Zelle schnell eliminiert, bevor sie größere Schäden anrichtet. Die bei der Nekrose austretenden Stoffe verursachen eine Entzündung im umliegenden Gewebe.

Beim apoptotischen Zellsterben entsteht keine Entzündung; deshalb ist Apoptose für den Menschen verträglicher als Nekrose. Um diesen Prozeß zu starten, ist auch nicht unbedingt ein Zellschaden notwendig. Zellen, die durch Apoptose sterben, werden meist aus regulatorischen Gründen gekillt. Es gibt aber solche Fälle, in denen ein leichter Zellschaden Apoptose hervorruft. Wenn zum Beispiel die DNA durch UV-Strahlung leicht - aber irreparabel - geschädigt wird, startet die Zelle das Apoptoseprogramm.

Den charakteristischen Prozeß der Apoptose kann man unter dem Mikroskop beobachten: Die Zelle gliedert sich aus dem Gewebe aus und nimmmt eine runde Form an. Flüssigkeitsreservoirs an der Zelloberfläche verbinden sich mit der Plasmamembran. Die Zelloberfläche bewegt sich stark - im Englischen spricht man von boiling, was übersetzt Sieden heißt. Wasser fließt aus, die Zelle schrumpft zusammen. Sie zerfällt in apoptotische Vesikel, die von einer Membran umschlossen sind. Dieser Vorgang heißt Zeiose. Die dicht verschlossenen Vesikel lassen kein Zellmaterial in das Umfeld austreten und vermeiden so eine Entzündung im Gewebe. Benachbarte Zellen oder Makrophagen beseitigen mittels Phagozytose die Zellfragmente. Noch einige Stunden kann man sie mit einem Lichtmikroskop in den Phagosomen beobachten. Dann ist die Zelle quasi verschwunden. Die Zellen, die apoptotische Vesikel aufgenommen haben, benutzen das darin enthaltene Material nun für ihren eigenen Stoffwechsel.

Auslöser des Zelltods

Forscher, die sich mit der Apoptose beschäftigen, konnten bereits einige Faktoren identifizieren, die für die Induktion der Apoptose wichtig sind. Am besten erforscht sind bisher das Tumorsuppressorgen p53 und das CD95-System.

Wenn in einer Zelle ein DNA-Schaden vorliegt, stoppt p53 die Zelle in der G1-Phase des Zellzyklus, das heißt in einer Phase, in der keine DNA-Replikation stattfindet. Die Zelle hat dann Zeit, den Schaden zu reparieren. Wenn eine Reparatur unmöglich ist, sorgt das p53-Gen dafür, daß die Apoptose eingeleitet wird. Es bildet das Protein mit dem gleichen Namen, p53, und initiiert damit einen Signalweg, der in der Apoptose endet. Der Zelltod verhindert, daß aus den geschädigten Zellen ein Tumor entsteht.

Der CD95-Rezeptor ist ein Transmembranprotein und befindet sich auf zahlreichen Zellen im menschlichen Organismus. Er besteht aus drei Teilen, einem intrazellulären, einem Transmembran- und einem extrazellulären Teil. Besonders wichtig für die Apoptose ist der intrazelluläre Teil. Dort befindet sich die sogenannte Todesdomäne des Rezeptors.

Der körpereigene, natürliche CD95-Ligand (CD95L) ist ebenfalls ein Transmembranprotein. Er gehört zur TNF(Tumor-Nekrose-Faktor)-Familie und kann membranständig oder löslich vorliegen. Wenn CD95L an CD95 bindet, beginnt das Sterben der Zelle.

Störungen der Apoptoseaktivität

Bei manchen Krankheiten ist die Apoptoseaktivität gestört. Es gibt zwei Varianten. Entweder ist sie gesteigert, so daß mehr Zellen sterben als neue entstehen, oder sie findet zu selten statt, was zu einer unerwünschten Zunahme von Zellen führt. Aids ist ein Beispiel für zu hohe apoptotische Aktivität, Krebs für zu niedrige.

Eine HIV-Infektion führt zu einem massenhaften Sterben von T-Helferzellen. Ausgelöst wird die Apoptose nicht nur in HIV-infizierten Zellen, sondern auch in nicht befallenen T-Helferzellen. Die Infektion einer Zelle führt direkt zum Zelltod. In den anderen Zellen wird der Tod durch Botenstoffe ausgelöst, die von den infizierten Zellen abgegeben und von gesunden Zellen aufgenommen werden.

Bei Krebs kommen Zellen hinzu, ohne daß andere dafür absterben. Das kann verschiedene Ursachen haben. Einige Formen von Krebs entstehen durch eine Mutation im Gen p53. Die Kontrolle des Tumorsuppressorgens funktioniert nicht mehr. Die Zellen mit dem mutierten Gen haben die Fähigkeit zu sterben verloren. Andere Tumorzellen haben die Produktion von CD95 eingestellt und sind daher gegen den von Immunzellen ausgelösten Zelltod unempfindlich. Gleichzeitig sezernieren sie den CD95-Liganden, der an den CD95-Rezeptor von aktivierten T-Lymphozyten bindet und damit Apoptose in der Immunzelle auslöst. Wenn das CD95-System im Tumor noch funktioniert, können einige Zytostatika Apoptose in den Tumorzellen auslösen: Doxorubicin und Methotrexat steigern die Produktion des CD95L-Moleküls. Dieses bindet an CD95 auf Tumor- und anderen Zellen.

Noch viele ungelöste Fragen

Es gibt noch zahlreiche Fragen, die bisher unbeantwortet sind: Wodurch werden Zellen resistent gegen Apoptose? Welche Bedeutung hat Apoptose bei der Pathogenese von Erkrankungen wie Aids und Lebererkrankungen? Im Vordergrund der Forschung wird auch weiterhin die Frage stehen, welche Stoffe an der Auslösung der Apoptose beteiligt sind und wie diese Stoffe den Zelltod aktivieren.

Eine Therapie gestörter Apoptoseaktivität im Sinne einer Steigerung oder Reduktion der Zelltodrate, ist bisher nicht in Sicht. Die Schwierigkeit ist, dabei selektiv vorzugehen. Bisher ist es nur möglich, die Apoptose im gesamten Körper zu steigern oder zu senken. Ziel wäre es aber, mit einer Therapie zum Beispiel nur einen Tumor zu erreichen. Eine Steigerung der Apoptose im gesamten Körper kann nämlich verheerende destruktive Folgen haben. Die zahlreichen Nebenwirkungen von Chemotherapeutika, die Apoptose sowohl im Tumor als auch im Normalgewebe auslösen, sind darauf zurückzuführen. Der umgekehrte Fall wäre zwar akut nicht so gefährlich. Senkt man aber die Apoptose unselektiv, kann das Gewebe sich auf längere Sicht zum Tumor entwickeln. Damit bleibt die Therapie eines der wichtigsten Ziele der Forschung.

PZ-Titelbeitrag von Monika Noll, Eschborn        

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