Industrielle Versandapotheke |
27.05.2002 00:00 Uhr |
Das hatte sich Dr. med. Thomas Kerckhoff sicher anders vorgestellt. In Berlin wollte der Mediziner den Bundesverband Deutscher VersandapothekerInnen (BVDVA) den Medien präsentieren. Doch die reagierten unerwartet kritisch.
Eine "Aufklärungskampagne für den Arzneimittelversandhandel" will der kürzlich in Köln gegründete Verband starten. Dessen Vorsitzender Kerckhoff, gleichsam in hohen Diensten der Schweizer Versandapotheke MediService AG, ist Herrscher über sich und sieben getreue Apotheker, die den Bundesverband gründeten. Mehr Mitglieder wurden bislang nicht aufgenommen. Laut Kerckhoff sind 25 weitere am Verband interessiert. Der Berliner Apotheker Rolf Spielberger, ebenfalls Gründungsmitglied und stellvertretender Vorsitzender des Verbandes, verkündete gar, er habe Kontakt zu rund 100 Apotheken, die am Verband und den Aktivitäten Interesse zeigten. Die brächten es auf ein Umsatzvolumen von 800 Millionen Euro. Auf dem Podium hatte auch Rechtsanwalt Dr. Dr. Christian Diercks in seiner Funktion als BVDVA-Beirat Platz genommen. Er sinnierte über mögliche Gesetzestextänderungen im Vorfeld einer Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln.
Schnell zeigte sich Kerckhoffs wahre Intention. "Unser Ziel ist es, die industrielle Versandapotheke in Deutschland zu installieren", so der Vorsitzende. Man brauche viel Kapital, um eine Versandapotheke auf die Beine zu stellen, "rund 10 Millionen Euro". Er beklagte die monopolistische Anbieter- und Nachfragestruktur in Deutschland. Trotzdem solle der Versandhandel nur eine Alternative im Leistungsangebot der bisherigen Apotheke werden. Von Rosinenpickerei halte man nichts, und die werde man auch nicht anwenden. Dafür hätten die Patienten kein Verständnis, argumentiert Kerckhoff. Allerdings machte der Arzt auch deutlich, dass man nicht alle Leistungen der Offizinapotheke vorhalten werde.
Kerckhoff bestätigte auch die Beteiligung der Deutschen Post AG über ein anderes Unternehmen an der Schweizer MediService AG. Die Postler sind mit rund 10 Prozent an der Versandapotheke beteiligt. Über weitere Beteiligungsverhältnisse gab Kerckhoff nur bedingt und sichtlich ungern Auskunft. Unklar blieb auch, wie der BVDVA seine Aktivitäten bezahlt. Die acht Gründungsmitglieder finanzierten dies zu gleichen Teilen, behauptete Kerckhoff. Angesichts der intensiven Marketingaktivitäten dürfte dies allerdings einen erheblichen Aufwand für die Apotheken bedeuten.
Der BVDVA will in Kürze eine Informationskampagne starten, die in einigen Städten der Republik dem Versandhandel das Wort reden soll. Apothekerinnen und Apotheker kanzelte Kerckhoff in seinem Statement ab. Er verglich sie mit Fröschen, die es sich in einem beheizten Brunnen bequem gemacht hätten und nichts "von der Weite des Meeres" wüssten. Das vorliegende Konzept der ABDA sowie die dort favorisierte Bestellung via Internet taugten nicht. Kerckhoff, Chef eines insgesamt achtköpfigen Bundesverbandes, monierte, dass sich "erst 8000 Apotheken von 21.000" dem ABDA-Konzept angeschlossen hätten.
Weder Kerckhoff noch sein Stellvertreter Spielberger konnten die Erwartungen bezüglich Umsatz- und Absatzprognosen für Versandapotheken in Deutschland spezifizieren. Sie blieben bei der ebenfalls immer noch wenig fundierten Zahl aus dem Bundesgesundheitsministerium in Höhe von 8 Prozent. Unklar blieb, ob damit Packungen, Umsatz oder Kunden gemeint waren. Auffallend war die eher unterschiedlichen Interessen des Apothekers Spielberger und seines Vorsitzenden Kerckhoff. Letzterer sieht seinen möglichen Interessenskonflikt zwischen der Rolle des Verbandschefs und seiner MediService-Tätigkeit nicht im mindesten so kritisch, wie die anwesenden Journalisten. Die Feststellung, Kerckhoff beabsichtige mit seinem Modell der industriellen Apotheke in Wirklichkeit, die interessierten Apotheker "zu schlucken", wollte der Angesprochene so nicht stehen lassen.
Kommentar: Rattenfänger Öffentlichkeit lässt sich erkaufen, mit Geld und auch mit warmen Worten. Der Versandhandelslobbyist Kerckhoff tut beides. Das Geld, woher auch immer es stammt, scheint kein Problem zu sein. Und die warmen Worte leiht sich Kerckhoff beim (ungenannten) Konkurrenten DocMorris oder gar beim Gesundheitsministerium.
Doch die Apotheker an seiner Seite, von denen nur ein Pelikan-Pharmazeut aus Berlin sichtbar wurde, sollten sich keinen Illusionen hingeben. Denn Kerckhoff macht klar: Er will die industrielle Apotheke. Die Wortwahl weist den Weg zur Markt beherrschenden Versandapotheke. Kerckhoff, selbst kein Apotheker, umgibt sich mit Pharmazeuten, gibt das Heft aber nicht aus der Hand. Clever. Er weiß, wie das Spiel läuft. Er weiß, wohin der Weg führt.
Wie ein Rattenfänger spielt Kerckhoff ein munteres Liedchen auf seiner Flöte. Das Lied von großen Umsätzen, von glücklichen Kunden und einer rosigen Zukunft. Diejenigen, die ihm folgen, werden vielleicht nicht verschwinden wie die armen Kinder im Märchen. Aber sie werden wohl einverleibt und ihrer selbstbestimmten Existenz beraubt.
Kein Zweifel: Kerckhoff und MediService wollen in Deutschland das große Rad drehen. Jede Apotheke, die sich an den vermeintlichen Heilsbringer anhängen will, ist auf dem falschen Weg. Die meisten Apotheker haben erkannt, was Kerckhoff wirklich will und bleiben auf Distanz zu seinem Acht-Mann-Bundesverband. Sie sind gut beraten. Denn: Was soll der Schritt von der eigenen Apotheke in eine industrielle Apotheke auch bringen?
Thomas Bellartz
Leiter der Hauptstadtredaktion
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