Biologische Onkologie statt Chemotherapie |
24.05.1999 00:00 Uhr |
Weg von der Chemotherapie mit ihren drastischen Nebenwirkungen, hin zu einer biologischen Onkologie. Das ist das Motto, das sich die Merck KgaA auf die Fahnen geschrieben hat. Was im einzelnen dahintersteht, erklärten Experten Ende April in Frankfurt am Main. Das Unternehmen habe seine Aktivitäten in der Krebsforschung in den letzten Jahren enorm gesteigert. Das zeige sich unter anderem daran, daß die Zahl der klinischen Zentren, die Merck-Präparate testen, von 1996 neun auf jetzt 217 gestiegen sei, so Dr. Klaus Hönneknövel, Leiter des Geschäftsbereichs Onkologie.
Die Merck-Krebsforschung konzentriere sich auf vier Gebiete: monoklonale Antikörper, Impfstoffe gegen Krebs, Anti-Angiogenese und Immunzytokine. Am weitesten fortgeschritten sind die klinischen Studien mit monoklonalen Antikörpern. Der Favorit bei Merck ist C225, ein Immunglobulin, das das Unternehmen in zusammen mit ImClone Systems, New York, entwickelt hat. Der Antikörper binde an den Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGF), der auf mehr als einem Drittel aller soliden Tumore in großer Zahl vorkommt. Dadurch können weder der Wachstumsfaktor EGF noch der Tumorwachstumsfaktor-alpha (TGF-alpha) an den Rezeptor binden und den Tumorzellen das Signal zur Zellteilung geben. Resultat: Die Zellen hören auf sich zu teilen, berichtete Dr. Samuel Waksal, Präsident von ImClone.
In klinischen Studien zeigte sich, daß der Antikörper sowohl mit Bestrahlung als auch mit Cisplatin synergetisch wirkt. Selbst Patienten, die zuvor nicht auf eine Therapie mit dem Zytostatikum angesprochen hatten, reagierten auf die Kombination mit verändertem Tumorwachstum. Nun sind weitere klinische Studien mit C225 in Kombination mit anderen Zytostatika und Zytokinen geplant. Mit einer Einführung des Antikörpers ist frühestens im Jahr 2002 zu rechnen und das auch nur, wenn sich die bisherigen Ergebnisse in den bereits eingeleiteten weiteren Studien der Phasen II und III bestätigen.
Krebsimpfstoffe
Mit konventionellen Impfstoffen, die vor einer Infektion schützen, haben die Krebsimpfstoffe auf den ersten Blick nicht viel gemein. Sie schützen nicht vor der Entstehung von Krebs, sondern bekämpfen bereits vorhandene Tumore. Krebs-Immuntherapie ist daher der bessere Name. Allerdings soll hier wie bei der Impfung die körpereigene Immunabwehr aktiv werden, um Tumorzellen zu bekämpfen. Merck hat derzeit zwei neue Medikamente dieser Therapierichtung in klinischen Studien. Eines davon ist eine Mischung aus p21-Ras-Peptiden.
Das Ras-Protein steht im Zentrum der Zellteilungsregulation und ist in vielen Tumoren verändert. Die Tumorzellen können sich dadurch ständig teilen. Eine Immunantwort scheinen die veränderten Ras-Proteine bei Krebspatienten nicht zu induzieren, erklärte Dr. Lothar Finke, Leiter der Klinischen Forschung und Entwicklung Onkologie bei Merck.
Wissenschaftler von Merck und Norsk Hydro ASA, Norwegen, entwickelten ein Gemisch aus Peptiden, mit den Sequenzen mutierter Ras-Proteine. Sie injizierten es Patienten unter die Haut, zusammen mit einem Adjuvans, das dem Immunsystem hilft, die Peptide als Antigene zu erkennen. Die dendritischen Zellen nehmen das Antigen in der Haut auf, wandern in den nächstgelegenen Lymphknoten und präsentieren es dort T-Helferzellen und zytotoxischen T-Zellen. Diese erkennen dann die veränderten Ras-Proteine auf der Oberfläche von Tumorzellen und greifen an. Die Patienten vertragen die Peptide sehr gut, so Finke. Ob das Immunsystem eine Immunantwort gegen die Peptide und damit auch gegen die Tumorzellen entwickelt hat, können Ärzte in einem einfachen Hauttest nachweisen.
Die p21-Ras-Peptide befinden sich derzeit in Phase II der klinischen Studien bei Pankreaskrebs. Merck plant den Beginn der Phase-III-Studien im Jahr 2000 zunächst bei Patienten mit Pankreas-Krebs, später aber auch bei Darm- und Lungenkrebs-Patienten. Das Unternehmen rechnet mit einer Zulassung des Präparates Ende 2002.
Angiogenese-Hemmung
Ein weiterer Schwerpunkt der Krebsforschung ist die Hemmung der Angiogenese. Hat ein Tumor eine bestimmte Größe überschritten, reichen Sauerstoff und Nährstoffe, die die Zellen durch Diffusion erreichen, für dessen Versorgung nicht mehr aus. Der Tumor beginnt dann, Botenstoffe wie den Fibroblasen-Wachstumsfaktor (FGF) und VEGF (vascular endothelial growth factor), in die Umgebung abzugeben, die die Zellteilung und die Wanderung von Endothelzellen anregen. Die Folge: Blutgefäße sprossen ins Tumorgewebe. Der nun mit Nährstoffen und Sauerstoff ausreichend versorgte Tumor kann weiterwachsen und Metastasen bilden, weil sich ablösende Tumorzellen auf dem schnellsten Weg über das Blutgefäßsystem - in alle anderen Organe gelangen. Bleibt die Versorgung des Tumors durch Blutgefäße aus, stirbt er irgendwann ab, so Dr. Martin Friedlander, vom Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien.
Die Angiogenese scheint ein gutes Ziel für die Tumortherapie, da sie beim erwachsenen Menschen nur bei der Wundheilung, während der Menstruation und der Schwangerschaft gebraucht wird. Zielstrukturen für die von Merck entwickelte antiangiogenetische Krebs-Therapie sind Integrine. Einige dieser Moleküle, die für Kontakte zwischen den Zellen sorgen, sind in großer Zahl auf den sich teilenden Zellen der Blutgefäße zu finden. Die Wissenschaftler haben ein zyklisches Pentapeptid entwickelt, das an die Adhäsionsrezeptoren bindet und so die Zell-/Zellkontakte verhindert. Dadurch verlieren die Zellen ihr Überlebenssignal und sterben. In Tierversuchen zeigte sich, daß das Peptid tatsächlich die Ausbildung neuer Blutgefäße hemmt und dadurch auch menschliche Tumore in Mäusen schrumpfen läßt.
Klinische Studien der Phase I zeigten, daß Menschen das zyklische Peptid gut vertragen. Die Phase II plant Merck für das dritte Quartal dieses Jahres. Die Firma arbeitet auch an nicht-peptidischen Angiogenese-Inhibitoren, die oral eingenommen werden können. Allerdings sind hier erst Tierversuche geplant.
Immunzytokine
Den größten Erfolg versprachen bisher Zytokine wie Interleukin 2 sowie monoklonale Antikörper wie Herceptin (entwickelt von der US-Firma Genentech). Merck kombinierte nun in Zusammenarbeit mit Lexigen, einer 91prozentigen Merck-Tochter in den USA, beide Ansätze in einer neuen Krebstherapie.
Die Wissenschaftler entwickelten Moleküle, die zum Teil aus Antikörper und zum Teil aus Zytokinen bestehen, berichtete Dr. Stephen Gillies, Präsident von Lexigen. Eines dieser neuen Moleküle, KS-IL-2, erkennt den Rezeptor für den epidermalen Wachstumsfaktor (EGF), der auf soliden Tumoren des Darms, der Bauchspeicheldrüse sowie von Brust und Prostata in großen Mengen vorkommt. Damit leitet der Antikörper den immunologischen Botenstoff Interleukin 2 direkt zum Tumor. Dort stimuliert das Zytokin dann Immunzellen in der Umgebung des Tumors. Der Antikörper vermittelt die antikörperabhängige Zell-Toxizität und den Angriff des Komplementsystem.
In Tierversuchen hatten die Immunzytokine geringe Nebenwirkungen und spürten neben den Primärtumoren auch Metastasen auf. Das Potential dieser Wirkstoffe ist groß: Mit Hilfe der Gentechnik kann man sich je nach Bedarf passende Zytokine mit Antikörpern, die Oberflächenmoleküle verschiedener Tumorzellen erkennen, zusammenbauen.
Inwieweit die neuen Medikamente tatsächlich die in sie gesetzten Hoffnungen erfüllen, werden erst die weiterführenden Studien zeigen. Während der letzten zwanzig Jahre hätten Impfstoffe und die Immuntherapie gegen Krebs die größten Hoffnungen geweckt und gleichzeitig die geringsten Erfolge gezeigt, relativierte Professor Lan Bo Chen vom Dana-Farber Cancer Institute der Harvard-Universität. Ob sich eine Therapie letztlich bewährt oder nicht, zeigten unabhängig von bestechenden Wirkmechanismen immer erst die Ergebnisse der klinischen Studien, so Chen.
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