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Schmerzberatung in der Apotheke intensivieren

18.05.1998  00:00 Uhr

-Pharmazie

Govi-Verlag

Schmerzberatung in der Apotheke intensivieren

"Herzlich willkommen im Boot." Mit diesen Worten begrüßte Dr. Franz B. Ensik aus Göttingen die Teilnehmer der zweiten gemeinsamen Fortbildungsveranstaltung des Bundesverbandes Deutsche Schmerzhilfe und der Apothekerkammern Bremen und Niedersachsen. Der Schmerztherapeut brachte damit seinen Wunsch zum Ausdruck, durch gemeinsame Anstrengung der beiden akademischen Heilberufe die Behandlung und Versorgung von Kopfschmerzpatienten zu verbessern. Weitere Referenten waren Professor Dr. Gerd Kobal aus Erlangen und Rüdiger Fabian von der Deutschen Schmerzhilfe.

Realität sei, daß Kopfschmerzen bei vielen Patienten nie ärztlich diagnostiziert worden seien, bei manchen liege eine falsche Diagnose vor, sagte Ensik. In vielen Fällen werde Selbstmedikation mit ungeeigneten Präparaten betrieben (fast 70 Prozent der Betroffenen nehmen OTC-Analgetika), und viele Patienten seien nicht über die Nebenwirkungen aufgeklärt.

Ensik sieht hier ein verantwortungsvolles Aufgabengebiet für den Apotheker, zumal dieser oft als einziger Heilberufler von den Beschwerden und Behandlungsversuchen der Betroffenen erfahre. Eine mögliche Überschneidung mit der ärztlichen Tätigkeit fürchtet Ensik nicht. Qualifizierte Fortbildung versetze den Apotheker in die Lage, die Behandlungssituation bei Kopfschmerzen der Betroffenen grundlegend zu verbessern.

Die Mehrzahl leidet unter Kopfschmerzen vom Spannungstyp oder unter Migräne. Bekannt und von der internationalen Kopfschmerzgesellschaft klassifiziert sind jedoch mittlerweile 164 Kopfschmerzarten. Die Diagnose stützt sich auf Anamnese und klinische Befunde. Apparative Zusatzuntersuchungen, wie bildgebende Verfahren und EEG, sind nur erforderlich, wenn sekundär/symptomatische Kopfschmerzen vermutet werden.

Zu den primär/idiopathischen Kopfschmerzen gehören Migräne mit einer Prävalenz von 5 bis 15 Prozent, Spannungskopfschmerzen mit einer Prävalenz von über 30 Prozent, Cluster-Kopfschmerzen und einige andere. Ensik charakterisierte die Unterschiede:
  • Bei der Migräne ohne Aura kommt es zu wiederholten Kopfschmerzattacken, die 4 bis 72 Stunden anhalten, wobei der Schmerz einseitig auftritt, pulsierend bis pochend und meist mäßig stark ist und durch körperliche Intensität zunimmt. Typische Begleiterscheinungen sind Übelkeit, Erbrechen und Lichtempfindliclikeit. Chronische Migränekopfschmerzen gibt es nicht, betonte der Mediziner.
  • Bei der Migräne mit Aura treten in der Aura-Phase zentrale Reiz- und Ausfallsymptome auf, die sich innerhalb einer halben Stunde entwickeln und nach einer Sunde vollständig abgeklungen sind. Zu 70 Prozent handelt es sich um visuelle Symptome wie Flimmern, Farbpunkte, Fortefikationen, Gesichtsfeldausfall; aber auch Sensibilitätsstörungen und Paresen (Sprach- und Gangstörungen) sind zu beobachten,. Spätestens 60 Minuten nach Ende der Aura beginnt der typische Migränekopfschmerz.
  • Kopfschmerzen vom Spannungstyp sind meist beidseitig, drückend, nicht pulsierend und lassen im Gegensatz zur Migräne bei körperlicher Aktivität oft sogar nach. Sie treten episodisch oder chronisch auf; es kommt nicht zu Begleitsymptomen wie Übelkeit oder Erbrechen.
  • Cluster-Kopfschmerz äußert sich in Attacken, wobei eine Einzelattacke bis zu drei Stunden andauern kann; die Attackenfrequenz reicht von einem Schmerzanfall jeden zweiten Tag bis zu acht Stück täglich. Der Schmerz ist sehr stark ausgeprägt, einseitig, in oder oberhalb der Augenhöhlen oder im Bereich der Schläfen. Als Begleiterscheinungen kann es unter anderem zu Lidödemen, Engstellung der Pupillen (Miosis) oder laufender Nase (Rhinorrhoe) kommen.

Therapie und Prophylaxe

Als kritische Maximaldosen von Analgetika, die die Entstehung eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes begünstigen können, nannte Ensik täglich 7g Acetylsalicylsäure (ASS), 5g Paracetamol, 28mg Dihydroergotamin oder 20mg Ergotamin. Die Entstehung vom medikamenteninduzierten Kopfschmerz führt man auf die langfristige tägliche Einnahme von Schmerzmitteln, oft von Mischanalgetika, zurück.

Die Akutbehandlung der Migräne richtet sich nach der Schwere des Anfalls. Bei leichten Anfällen wird 15 Minuten nach Gabe eines Antiemetikums (Metoclopramid, Domperidon) ein Analgetikum wie ASS oder Paracetamol gegeben; das Antiemetikum soll sowohl die gastrointestinalen Beschwerden und die anfallsbedingt geminderte Darmperistaltik bessern als auch die Resorption des Analgetikums fördern; für einen schnelleren Wirkeintritt wird ASS als Brause- oder Kautablette empfohlen, Paracetamol in rektaler Darreichungsform. Mittelschwere bis schwere Anfälle werden oral beziehungsweise subcutan mit einem Triptan behandelt oder 15 Minuten nach Gabe eines Antiemetikums mit Ergotamin.

Bei mehr als zwei bis drei Attacken monatlich, die mit der Akuttherapie nicht ausreichend zu behandeln waren oder bei denen zu viele Nebenwirkungen auftraten, ist eine medikamentöse Migräneprophylaxe indiziert. Eingesetzt werden (mit abnehmender Priorität) die Betablocker Propranolol und Metoprolol, der Calciumantagonist Flunarizin oder Dihydroergotamin. Letzteres sei deshalb problematisch, weil es selbst Dauerkopfschmerz induzieren kann, hieß es.

Andere Behandlungsformen

Der Cluster-Kopfschmerz wird im akuten Stadium mit Sauerstoff-Inhalationen oder mit Lidocain intranasal oder mit einem subcutanen Triptan therapiert. Bei akutem Spannungskopfschmerz werden nicht-opioide Analgetika empfohlen, bei chronischem Spannungskopfschmerz niedrig dosierte Antidepressiva vom Amitryptilin-Typ. Bei medikamenteninduzierten Kopfschmerzen ist ein ambulanter oder stationärer Entzug unter der Anleitung erfahrener Therapeuten der erste Schritt. Erst danach können Ursachen ergründet und eventuell therapiert werden.

PZ-Artikel von Halmut Renz, Bremen

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