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Diabetes-Fortbildung der Apothekerkammer Berlin

18.05.1998  00:00 Uhr

-Pharmazie

Govi-Verlag

Diabetes-Fortbildung der
Apothekerkammer Berlin

"Wie oft bestimmt Ihr Arzt den Blutzucker- oder HbA1c-Wert?" "Untersucht er, ob eine Mikroalbuminurie vorliegt?" "Schickt er Sie regelmäßig zum Augenarzt?" - Mit solchen Fragen könne der Apotheker Diabetiker auf notwendige Maßnahmen aufmerksam machen, sagte Dr. Michael Jecht, Diabetologe am Krankenhaus Havelhöhe, Berlin, auf einer Fortbildungsveranstaltung der Berliner Apothekerkammer zum Thema Diabetes. Denn obwohl fast fünf Prozent der Bevölkerung an Diabetes erkrankt sind, wird die Krankheit nicht überall konsequent genug behandelt. Fatal sind vor allem die Begleiterkrankungen.

Lange bevor Diabetes oder Ateriosklerose diagnostiziert werden, verändert sich unter dem Einfluß von Glucose der Stoffwechsel und damit die Gefäßstruktur. Sind die Zuckerspiegel im Blut erhöht, bleiben Leukozyten leichter an der Gefäßwand haften, erklärte Professor Dr. Hermann Haller, vom Max-Delbrück-Centrum in Berlin Buch. Adhäsionsvermittler wie Selektine oder Integrine werden stimuliert, möglicherweise weil Glucose die Signaltransduktion über Diacylglycerol und Proteinkinase C beeinflußt.

Auch die Permeabilität ändert sich unter dem Einfluß von Glucose. Massiv treten Albumin und Wachstumsfaktoren ins Blut über, proliferative Vorgänge in verschiedenen Organen werden stimuliert. Und schließlich stört Glucose auch die Regelung des Gefäßtonus über Stickstoffmonoxid (NO). Langfristig schädigt insbesondere die nicht-enzymatische Glycosylierung verschiedener Proteine die Gefäße. Zuerst bilden sich reversible Amadori-Produkte, die langlebige Proteine irreversibel zu Advanced-Glycosylation-End-Products (AGE) umwandeln. Bilden sich solche AGEs an den Gefäßwänden, kommt es zu Quervernetzungen der Kollagenbestandteile. Potentielle Risikofaktoren verweilen deshalb länger in der Gefäßwand und richten noch größeren Schaden an.

Kurzfristige und langfristige Effekte kumulieren, der Blutzucker sollte daher möglichst eng kontrolliert werden, warnte Haller. Aber nicht jeder Patient müsse seinen Blutzucker ständig selbst bestimmen, sagte Jecht. Wer aus der Messung einen Schluß zieht, also vor allem Patienten unter einer intensivierten Insulin-Therapie (zwei- bis dreimal täglich Basalinsulin und vor den Mahlzeiten Normalinsulin), sollte dreimal vor den Hauptmahlzeiten und einmal vor dem Schlafengehen den Blutzucker messen. Für Patienten unter einer Therapie mit oralen Antidiabetika sei es sinnvoller, ab und zu den Urinzucker zu bestimmen.

Orale Antidiabetika und Insulin

"Wir verschreiben in der Klinik fast nur noch Insulin", sagte Jecht. Das verbessere meist entscheidend die Lebensqualität und "der Patient kann aktiv in die Therapie einsteigen". Er ging aber auch auf orale Antidiabetika ein: Acarbose senkt den HbA1c-Wert maximal um ein Prozent, wirklich gute Belege für die Wirkung gebe es nicht. Auch fehlten Langzeitstudien, die über die Dauer eines Jahres hinausgingen. Die Nebenwirkungen, Meteorismus, Flatulenz und Durchfall, könnten bei einschleichender Dosierung vermindert werden. Dennoch sei die Compliance schlecht. Wegen der Gefahr einer (oft tödlichen) Lactatacidose dürfe das Biguanid Metformin nie angewendet werden bei: Niereninsuffizienz (Kreatinin > 1,2 mg/dl), respiratorischer Insuffizienz, Herzinsuffizienz, peripherer arterieller Verschlußkrankheit, schwerer Cerebralsklerose, Alkoholkrankheit, Multimorbidität und auch nicht bei hohem Alter.

Wegen der Gefahr schwerer Hypoglykämien muß eine Therapie mit Sulfonylharnstoffen mit schwächer wirksamen Präparaten (Tolbutamid, Glipizid) und einschleichend begonnen werden. Die Patienten sollten außerdem ihre Mahlzeiten auf sechs Portionen am Tag verteilen. Wird ein Patient von Glibenclamid auf Insulin umgestellt, ist zu berücksichtigen, daß Hypoglykämien auch noch fünf Tage nach Absetzen des Medikamentes auftreten können.

Für Repaglinid werde noch in diesem Jahr die Zulassung erwartet, sagte Jecht. Es ist mit kurzwirksamen Sulfonylharnstoffen vergleichbar. Maximale Wirkspiegel werden nach 30 Minuten erreicht, die Halbwertzeit liegt bei einer Stunde. Es ist kurz vor dem Essen einzunehmen.

Therapie der Spätfolgen

Spätfolgen durch Gefäßveränderungen: Das kann Retinopathie, Nephropathie, koronare Herzerkrankung, Schlaganfall, Hyperlipidämie oder diabetischer Fuß bedeuten. Diabetische Retinopathien sind bei uns häufigste Ursache für eine Erblindung. Bei optimal eingestellten Zuckerwerten sei eine Sekundär-Prävention möglich, sagte Dr. Albrecht Fießelmann, Oberarzt im Auguste-Viktoria-Krankenhaus, Berlin. Laserbehandlungen brächten keine Besserung, könnten aber ein Fortschreiten der Erkrankung verhindern. Für die Wirkung vasoaktiver Substanzen wie Dexium gebe es keine ausreichenden Belege.

30 bis 70 Prozent aller Dialysepatienten sind Diabetiker. Die Nephropathie, zu erkennen an einer Albuminurie, ist im Frühstadium (Mikroalbuminurie) noch heilbar. Liegt eine Makroalbuminurie (über 24 Stunden mehr als 300 mg Albumin) vor, ist höchstens der Status quo zu halten. Neben dem Blutzucker muß vor allem der Blutdruck überwacht und gesenkt werden.

Betablocker seien bei Diabetikern mit koronarer Herzerkrankung oder nach Myokardinfarkt Mittel erster Wahl, meinte Fießelmann. ß1-selektive Medikamente wie Metoprolol oder Isoprolol seien zu bevorzugen, Carvedilol könne bei peripheren arteriellen Verschlußkrankheiten erwogen werden. Diabetiker mit Herzinsuffizienz sollten mit ACE-Hemmern und Diuretika behandelt werden. Calciumantagonisten vom Dihydropyridin-Typ bewertete Fießelmann kritisch; am ehesten seien Verapamil oder Diltiazem geeignet.

Zucker - in Maßen erlaubt!

Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft erlaubt seit drei Jahren auch Saccharose auf dem Speiseplan der Diabetiker. Allerdings nur in Kombination mit Fetten (Kuchen, Kekse, Schokolade), da Fett die Resorption verzögert, erklärte Elke Millet, Diabetesberaterin am Klinikum Havelhöhe, Berlin. Natürlich muß der Zuckeranteil entsprechend berechnet werden: 12 Gramm Zucker sind eine Broteinheit.

Patienten trauen sich oft nicht an normale Süßwaren heran, da die Kohlehydratmengen nicht angegeben sind. Es gebe aber Literatur, in der auch zu verschiedenen Fertigprodukten Werte aufgeführt seien, sagte Millet. Es sei immer noch besser, richtige Schokolade berechnet und in Maßen zu sich zu nehmen, als heimlich eine Tafel Diätschokolade zu verschlingen. "Sobald 'Diät' draufsteht, gibt es bei manchen Leuten kein Halten mehr". Millet verbietet Diät-Produkte zwar nicht, aber sie empfiehlt sie auch nicht mehr.

Wer sich Normalinsulin spritzt (intensivierte Insulintherapie) oder über eine Pumpe zuführt, muß den Zuckeraustauschstoff Fructose aus den Mengenangaben auf der Packung herausrechnen, wenn Fructose in Kombination mit Fetten vorliegt. Fruchtzucker wird in dieser Form so spät resorbiert, daß die Insulinwirkung eintritt, bevor die Fructose verstoffwechselt ist. Millet rechnete vor: Enthalten 100 Gramm Diätschokolade 30 Gramm Fructose von insgesamt 46 Gramm Kohlenhydraten, bleiben nur 16 Gramm blutzuckererhöhende Kohlehydrate übrig. Statt wie angegeben 4 enthalten 100 Gramm Schokolade dann nur 1,5 BE. Die Kalorienmenge bleibt allerdings gleich, so daß mit weniger Broteinheiten jetzt mehr Kalorien zugeführt werden.

Quelle: PZ-Artikel von Stephanie Czajka, BerlinTop

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