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Epilepsie: ein Schrittmacher für das Gehirn

18.05.1998  00:00 Uhr

-Medizin

Govi-Verlag

Epilepsie: ein Schrittmacher für das Gehirn

Die Epilepsie ist weltweit die zweithäufigste neurologische Krankheit. Etwa 500 Millionen Menschen sind betroffen. Mediziner unterscheiden grob zwischen partiellen und generalisierten epileptischen Anfällen, hervorgerufen durch spontane elektrische Entladungen in bestimmten Hirnarealen beziehungsweise der gesamten Hirnrinde. Die Ursache für die Krankheit ist in 70 Prozent der Fälle unbekannt. Nur bei einem kleinen Teil der Patienten sind epileptische Anfälle auf Hirnverletzungen oder -tumore zurückzuführen.

Bei einem Drittel der Patienten handelt es sich um eine therapierefraktäre Epilepsie, obwohl sie mit mehreren Antiepileptika behandelt wird. Für diese Patienten steht jetzt eine neue nichtmedikamentöse Methode zur Verfügung, mit der die Anfallskontrolle signifikant gebessert werden kann, heißt es in einer Pressemeldung von Cyberonics, Zaventem, Belgien. Es handele sich um einen implantierbaren Signalgeber aus biokompatiblem Material zur Stimulation des Vagusnervs. Diese neurocybernetische Prothese (NCP-System) könne zusätzlich zur medikamentösen Therapie eingesetzt werden.

Der Signalgeber wird nach Angaben der Firma wie ein Schrittmacher in einem auch ambulant durchführbaren Eingriff unter die Haut im Thoraxbereich implantiert. Ein dünnes Kabel, durch subkutane Untertunnelung eingeführt, verbindet den Vagusnerv mit dem Schrittmacher. So können die Impulse in die Hirnregion weitergeleitet werden. Durch eine externe elektronische Steuereinheit kann der Signalgeber programmiert werden, so daß er intermittierende elektrische Impulse abgibt.

Darüber hinaus könne der Patient, wenn sich ein Anfall ankündigt, eine zusätzliche Stimulation auslösen. Er müsse dann einen Magneten über die Region führen, an der der Signalgeber implantiert ist. Dadurch lasse sich der drohende Anfall vielfach verhindern.

Im Jahr 1988 wurde das NCP-System erstmals nach 13 Jahren tierexperimenteller Forschung bei einem Menschen implantiert. Bis heute habe man 2.000 Implantationen erfolgreich und ohne erkennbare Nebenwirkungen für die Patienten durchgeführt. Die Effizienz der Vagus-Stimulation verstärke sich in der Langzeittherapie. Laut den Ergebnissen aus fünf Studien, zwei davon aktiv kontrolliert, habe die Anfallsfrequenz bei 25 Prozent der Patienten nach drei Monaten um mehr als die Hälfte abgenommen. In allen Studien habe sich das allgemeine Wohlbefinden der Patienten gebessert.

Lokale, gut tolerable Sensationen wie Heiserkeit - ausschließlich während der Stimulation – sind nach Angaben von Cyberonics die einzigen bekannten Nebenwirkungen. Mit der laufenden medikamentösen antiepileptischen Behandlung interferiere die Vagus-Stimulation nicht.

Das NCP-System werde von den Patienten gut akzeptiert. 95 Prozent der Studienpatienten setzten die Behandlung für mindestens ein Jahr fort. Drei Viertel der Patienten, bei denen die Batterie des Geräts ausgetauscht werden mußte (in der Regel nach drei bis fünf Jahren), hätten sich dafür entschieden, die Behandlung fortzusetzen.

Seit 1994 sei das NCP-System zur Behandlung refraktärer fokaler Anfälle in Europa zugelassen. Die Zulassung durch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA erfolgte im Juli 1997. Im Dezember 1997 habe man die europäische Zulassung auf generalisierte Anfälle erweitert. Nach Angaben des Unternehmens existieren in Deutschland noch keine Sonderentgelte für die Vagusnerv-Stimulation. Das Gerät kostet derzeit 13.280 DM.

Artikel von der PZ-Redaktion
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