Bessere Erfolge durch individualisierte Chemotherapie |
12.05.2003 00:00 Uhr |
Tumoren sind in sich sehr heterogen. Mit dem ATP-Chemosensitivitätstest (ATP-TCA) kann man die Empfindlichkeit oder Resistenz eines Tumors gegen die auf Grund klinischer Erfahrung eingesetzten Chemotherapie-Regime prüfen. In kleineren Studien konnte die nach dem Testergebnis individualisierte Therapie auch Frauen helfen, deren Tumor gegen bisher eingesetzte Schemata resistent war. Das Prinzip dieses Tests wird im Gegensatz zu DNA-gestützten Diagnostika beschrieben, seine Aussagekraft und der Grad seiner Übereinstimmung mit der klinischen Erfahrung werden diskutiert.
1998 war etwa ein Viertel aller Verstorbenen in Deutschland an Krebs gestorben: 108.800 Männer und 103.900 Frauen (1). Dabei sind Brust- und Dickdarmkrebs bei den Frauen sowie Lungen- und Prostatakrebs bei den Männern am häufigsten. Daten aus den USA belegen, dass Rauchen und Fehlernährung mit Übergewicht für je ein Drittel der Krebsfälle verantwortlich sind. Dagegen sind Umweltbelastungen und Strahlenexposition jeweils nur zu 2 Prozent am Krebsgeschehen beteiligt (2).
Zahlen dieser Größenordnung gelten auch für Deutschland, werden aber zu wenig beachtet. So hat beispielsweise Brustkrebs bei Raucherinnen eine signifikant schlechtere Prognose (3). Die Umwelt und Mikroorganismen beeinflussen die Krebshäufigkeit unterschiedlich. Infektionen mit Papillomaviren sind für die meisten Zervixkarzinome verantwortlich, Rauchen für Lungenkrebs und Helicobacter pylori für Magenkrebs, während die genetische Prägung bei Prostata-, Dickdarm- und Brustkrebs eine große Rolle spielt (4).
Eingriff in den Zellzyklus
Jede Zelle teilt sich. Während die gesunde Zelle ihrem Gewebe zugeordnet bleibt, wächst der maligne Tumor unkontrolliert, sprengt die vorgegebenen Gewebegrenzen und dringt in benachbarte Organe und Gewebe ein, die er dabei zerstört (5). Zudem ist beim Tumorwachstum das Gleichgewicht zwischen Zellneubildung und gesteuertem Zelltod (Apoptose) gestört. Die Apoptose ist oft vermindert.
Wenn sich eine Zelle teilt, muss die genetische Information verdoppelt werden. Das geschieht in der Interphase zwischen zwei Mitosen des Zellzyklus (6). In der G1-Phase werden hauptsächlich Proteine und Ribonukleinsäuren synthetisiert: Die Zelle wächst (G für growth). Am Ende der G1-Phase durchläuft der Zellzyklus den ersten Restriktionspunkt. Dort entscheidet es sich, ob sich die Zelle teilt oder in eine Ruhephase (G0-Phase) übergeht. Aus der G0-Phase kann die Zelle - mitunter erst nach sehr langer Zeit - in die G1-Phase zurückkehren.
Wird am Restriktionspunkt auf Zellteilung entschieden, schließt sich die S-Phase an (S für (Bio)-Synthese), in der die Desoxyribonukleinsäure als Voraussetzung der Chromosomenverdopplung synthetisiert wird. In der G2-Phase liegen die Chromosomen bereits getrennt als Chromatiden vor. Aus dieser Phase tritt die Zelle nach Durchlaufen des zweiten Restriktionspunktes in die Mitose ein, in der sich die gewachsene Zelle in zwei Tochterzellen mit identischem Chromosomensatz teilt.
Bei soliden Tumoren ruhen oft etwa 90 Prozent der Zellen in der G0-Phase, in der Zytostatika nicht oder nur sehr schwach wirken (5). Ein Zellzyklus dauert im Mittel 48 Stunden. Es gibt jedoch Zellen, die sich schnell (in etwa 15 Stunden) und sehr langsam (120 Stunden) teilen; dies ist für die Inkubationszeiten von In-vitro-Tests wie dem ATP-TCA bedeutsam.
Zytostatika lassen sich in vielen Fällen nicht eindeutig nur einer bestimmten Phase des Zellzyklus zuordnen. Beispielsweise hemmt 5-Fluorouracil als 5-Fluor-2´-desoxyuridin-monophosphat die Thymidinsynthese und zudem wird dieses Desoxyuridin-Derivat in die RNA (5) als falscher Basenbaustein eingebaut. Schließlich induziert Fluorouracil durch Wechselwirkung mit dem FAS-Rezeptor (5) die Apoptose.
Alkylantien wirken phasenunabhängig durch elektrophile Reaktion mit Proteinen und der fertigen DNA-Kette, zum Beispiel mit der 4-Aminogruppe des Cytidins, oder durch Strangverknüpfungen (cross-linking) bevorzugt über N-7 der Guanosindiphosphat-Inkremente zweier benachbarter DNA-Stränge (7). Vom Wirkmechanismus her gehören auch Platin-Verbindungen zu den Alkylantien. Die Nicht-Amin-Liganden werden durch Wasser ausgetauscht, das durch nucleophile Zentren des zu alkylierenden DNA-Strangs leicht verdrängt werden kann. Auch hier werden die N-7 der Guanosin-Inkremente benachbarter DNA-Stränge miteinander verknüpft.
Wenn die DNA-Stränge nicht mehr getrennt werden können, können sie in der G2-Phase nicht als Chromatiden vorliegen. Außerdem können verknüpfte DNA-Stränge nicht translatiert werden. Kann die genetische Information nicht auf die Tochterzelle übertragen werden, stirbt die Zelle.
Ohne medikamentösen Eingriff hat die Krebszelle den „Vorteil“ der Immortalität. Bei gesunden Zellen stehen an den Enden der Chromosomen lange Ketten aus sich wiederholenden TTAGGG-Nucleotiden: die Telomere (vom Griechischen telos: Ende). Bei jeder Zellteilung verkürzen sich die Telomere, ein Zeichen der Zellalterung. Ab einer bestimmten Kürze dieser Nucleotidfolgen stirbt die Zelle beim Versuch, sich erneut zu teilen. In Krebszellen verhindert das Enzym Telomerase den Abbau der Telomere. Zusätzlich zu seinem alkylierenden Effekt hemmt Cisplatin die Telomerase.
In der Mitose greifen die Mitose-Hemmer ein, zu denen die Vinca-Alkaloide (Vinblastin, Vincristin) sowie die Podophyllotoxin-Derivate Etoposid und Teniposid gehören. Der klassische Mitose-Hemmer Colchicin ist für die Krebschemotherapie zu toxisch. Die Wirkstoffe binden an das für die Spindelbildung notwendige Tubulin und verhindern somit die Bildung von Kernspindeln, die die Chromatiden „auseinanderziehen“. Die Mitose bleibt aus, die Zelle stirbt.
Prädiktive und prognostische Faktoren
Die Auswahl eines Zytostatikums oder einer Wirkstoffkombination für einen Patienten erfordert ein hohes Maß an onkologischer Erfahrung. Die individuell unterschiedliche Biologie von Tumoren eines histopathologischen Typs wirft oft Probleme auf. Innerhalb einer Entität gibt es Tumoren mit niedriger und hoher Proliferationsrate, schwach oder stark ausgeprägter Invasivität sowie langsamer oder rascher Disseminierung. Es ist bekannt, dass immer nur ein bestimmter Teil der Patienten trotz desselben Tumortyps von anerkannten Standardtherapien klinisch profitiert.
Derzeit basiert die Wahl einer Chemotherapie nicht auf individualisierten In-vitro-Sensitivitätstests, sondern auf Ansprechraten in klinischen Studien (8). Angestrebt wird dagegen eine individualisierte Chemotherapie, die auf Untersuchungen des operativ entnommenen Tumorgewebes beruht und zu einer voraussagbar erfolgreichen Chemotherapie führen soll. Adlard und Mitarbeiter (9) sprechen von „predictive-factor testing (which) could allow selection of regimens from which individual patients would benefit.“
Diese prädiktiven Faktoren sollen aussagen, ob ein Tumor auf eine Therapie anspricht oder gegenüber dem Regime (insgesamt oder gegenüber Einzelkomponenten) resistent ist. Die „Marker“ können Proteine, DNA- oder RNA-Komponenten sein. In der DNA-Analyse kann man spezifische Veränderungen erkennen, zum Beispiel:
Auf DNA-Chips können Tausende von Genen und Genabschnitten gleichzeitig qualitativ und quantitativ analysiert werden, sodass die genetische Situation des Tumors sehr genau untersucht und mit der Situation gesunden Gewebes verglichen werden kann: eine auf äußerste Genauigkeit gesteigerte Diagnose, die aber nicht unbedingt therapierelevant sein muss.
Bei einer Untersuchung von rund 16.000 Genen konnten 78 Prozent der untersuchten Tumore richtig klassifiziert werden (10); bei schlecht differenzierten Tumoren wichen die Genaktivitäten stark von denen gut differenzierter Gewebe ab. Dieselbe Arbeitsgruppe (11) differenzierte anhand der Genaktivitäten zwei Patientengruppen mit B-Zell-Lymphomen, die eine Fünf-Jahres-Überlebensrate von 70 oder 12 Prozent hatten. Der Begriff „prognostischer Faktor“, der nicht mit dem therapiebezogenen „prädiktiven Faktor“ verwechselt werden darf, wird durch diese Genanalyse verdeutlicht.
Klonogene und nicht-klonogene Tests
Die Proteinausstattung einer Zelle variiert zeitabhängig. Es gibt für jede Spezies nur ein Genom, aber (fast) für jede Zelle eine riesige Zahl von Proteomen. Darunter versteht man die Gesamtheit der Proteine zum Analysezeitpunkt. Die Proteome beeinflussen sich durch Zell-Zell-Wechselwirkungen (parakrine Wirkungen); dies ist besonders interessant, wenn es um prädiktive im Unterschied zu prognostischen Faktoren geht.
Die Proteinanalytik wird in Analogie zur genetischen Analyse (Genomics) als Proteomics bezeichnet. Dabei werden die Proteine eines genetisch einheitlichen Zellverbands, zum Teil nach proteolytischem Abbau, zweidimensional durch Gelelektrophorese getrennt und dann durch MALDI-Massenspektroskopie (matrix-assisted laser desorption/ionisation) identifiziert (12). Diese Verfahren sind aufwändig und können im Routinebetrieb auch großer Krankenhäuser noch nicht eingesetzt werden.
Entscheidend für die jeweilige Aktivität einer Zelle, auch der Tumorzelle, ist ihre Proteinausstattung, ihr Proteom. Es ist daher sinnvoll, die durch die Proteine bestimmten Stoffwechselaktivitäten der Zellen eines Tumors zu analysieren. Zellkultur und Tiermodelle haben in den letzten Jahrzehnten eine wesentliche Rolle bei der Erforschung neuer Therapien und Substanzen gespielt. So hat der erste zielgerichtete monoklonale Antikörper gegen ein definiertes Strukturprotein (HER-2/neu oder c-erbB2) beim Mammakarzinom (Herceptin; Trastuzumab®) seine Wirksamkeit zunächst im Zellkulturmodell gezeigt (13).
Viele Methoden wurden seit den sechziger Jahren zur individualisierten Testung der Empfindlichkeit und Resistenz von Tumorzellen entwickelt. Der Clonogenic Assay wurde erstmals 1977 beschrieben (14). Bei klonogenen Tests werden genetisch einheitliche Zellen, das heißt Zellen einer für das Tumorgeschehen als wesentlich erachteten Zelllinie, prätherapeutisch auf ihre Sensitivität gegenüber Zytostatika und ihren Kombinationen untersucht. Dazu werden die Zellen vereinzelt und als solche auf einen Nährboden aufgebracht. Die Nachkommen jeder Zelle bilden eine Zelllinie und müssen genetisch identisch sein (Klone). Ein zugesetztes Zytostatikum oder eine Kombination wirkt nur gegen diese eine Zelllinie; werden jedoch nicht alle Zellen in ihrem Wachstum gehemmt, so hat sich deren Verhalten geändert. Diese Zellen werden erneut untersucht, um die Ursache des Nicht-Ansprechens zu finden. Dieser Test erfasst nur Wachstum, das heißt sich teilende Zellen. Da Zellen sich aber sehr oft und lange in der G0-Phase befinden, in der sie nicht wachsen, bedeutet Nicht-Wachstum auch das Nicht-Absterben der Zelle.
Solche Verfahren wurden nach der ersten Beschreibung (15) zu Beginn der achtziger Jahre mit großen Erwartungen aufgegriffen, aber die Studienergebnisse waren wenig befriedigend. Oft stand zu wenig Probenmaterial zur Verfügung (16). Hinzu kommt, dass „diese (durch parakrine Einflüsse) phänotypische Heterogenität, die auch die Zytostatikasensitivität mit einschließt, ein extrem komplexes Phänomen (ist) und durch kein noch so ausgefeiltes molekulares Verfahren, welches stets nur Teilkomponenten erfassen kann, exakt zu beschreiben (ist)“ (16).
Tabelle 1 zeigt eine Übersicht gebräuchlicher Chemosensitivitätsassays und deren Vor- und Nachteile. Diese Assays weisen einige technische Mängel mit niedriger Effizienz und Evaluierbarkeit auf (8).
Tabelle 1: Vor- und Nachteile der bisher am häufigsten verwendeten Verfahren zur Zytostatikatestung
MethodeVorteileNachteile HTCA
In den letzten Jahren wurden nicht-klonogene Assays entwickelt, unter anderem der ATP-Tumorchemosensitivitäts-Assay (ATP-TCA), der bei soliden Tumoren eingesetzt wird. Nicht-klonogene Tests untersuchen nicht die DNA, sondern die Proteine (14, 17). Bei seiner Entwicklung wurde besonders die Problematik der einfachen, reproduzierbaren, im Routinelabor ausführbaren Methodik, der zuverlässigen Inhibition des Wachstums von Stromazellen, der geringen Intra- und Interassay-Variationen und einer hohen Korrelation zu klinischen Verläufen berücksichtigt (17) (Tabelle 2).
Tabelle 2: Anforderungen an ein Testsystem zur nicht-klonogenen Chemosensitivitätsmessung
• einfache und in verschiedenen Laboratorien reproduzierbare Methode • exakt definierte Kriterien für die Auswertung des Tests • hohe Angeh- und Auswertbarkeitsrate • Überprüfung von Konzentrationsgradienten über mindestens 5 bis 6 Stunden • Testung an kleinen Gewebemengen oder Aspiraten möglich • Korrelation zum klinischen Ansprechen
Der ATP-TCA ist als Test-Kit (TCA 100; DCS Innovative Diagnostik Systeme, Hamburg) kommerziell erhältlich.
Prinzip des ATP-Assays
Nicht-klonogene Tests gewinnen an Bedeutung, weil nicht genetisch einheitliche Zelllinien, sondern die phänotypische Heterogenität des Tumors in seiner Gesamtheit analysiert wird. Außerdem wird nicht auf Zellteilung, sondern auf „Lebendigkeit“ (viability) der Zellen insgesamt geprüft.
Für den ATP-Tumorchemosensitivitäts-Assay benötigt man eine 1 bis 2 x 106 Tumorzellen enthaltende Probe, die bei einer kurativen Operation oder einer Biopsie entnommen wird. Diese Probe wird durch ein Tumordissoziation-Enzymreagenz in Einzelzellen zerlegt. Nach Zentrifugieren wird der Überstand mit der Gesamtheit (!) der Einzelzellen durch Trypanblaufärbung (18) auf Vitalität geprüft. Trypanblau ist ein zweifacher Azofarbstoff aus 3,3´-Dimethylbenzidin und zwei Molekülen 8-Amino-1-hydroxynaphthalin-3,6-disulfonsäure, jeweils als Natrium-Salz, der zur Vitalitätsprüfung von Zellen gebraucht wird. Bei toten Zellen lässt sich das Zytoplasma sofort diffus anfärben, da die Membran durchlässig geworden ist, während lebende Zellen den Farbstoff nicht sofort aufnehmen.
Für einen aussagekräftigen Testlauf sollen mindestens 60 Prozent der Zellen, besser 80 bis über 95 Prozent lebendig sein. Diese Zellen werden neben Leerproben und zwei Kontrollen mit maximaler Zellwachstumshemmung in Dreifachproben mit Zytostatika (Einzelsubstanzen oder Kombinationen) 6 bis 7 Tage bei 5 Prozent CO2, 37° C und über 95 Prozent Luftfeuchtigkeit inkubiert. Ein Selektivmedium lässt nur Tumorzellen wachsen, während nicht-neoplastische Zellen sterben (sie würden beim nachfolgenden luminometrischen Test durch ihre ATP-Produktion das Resultat verfälschen).
Diese vergleichsweise lange Inkubationszeit bietet den Vorteil, dass sich die Zellen mit somatischen und parakrinen Einflüssen wie im Organismus des Patienten ins Gleichgewicht setzen und eventuell Resistenzen entwickeln können. Für den Patienten ist die lange Inkubation kein Nachteil, da im allgemeinen erst die Wundheilung nach einer Operation abgeschlossen sein muss, bevor die Chemotherapie beginnt. Allerdings müssen Metabolisierung und Pharmakokinetik der Wirkstoffe bei der Berechnung der den Zellen zugesetzten Zytostatika-Konzentrationen berücksichtigt werden (19).
Im Anschluss an die Inkubation wird beim ATP-TCA die Stoffwechselaktivität der Zellpopulation gemessen. Der Gehalt an Adenosintriphosphat (ATP) ist ein quantitatives Maß für das Stoffwechselgeschehen der Zelle und wird luminometrisch erfasst. Der Leuchtstoff des Leuchtkäfers Photinus pyralis („firefly“) ist (S)-4,5-Dihydro-2-(6-hydroxy-2-benzothiazolyl)thiazol-4-carbonsäure (diese kommt auch in unserem Glühwürmchen vor) (20), die durch das Enzym Luciferase unter Verbrauch von ATP in das gemischte Anhydrid mit Adenosinmonophophat (Verlust von Pyrophosphat) überführt wird. An der jetzt aziden 2-Position können ein Proton und ein Elektron oxidativ abgespalten werden, das vom Sauerstoff aufgenommen wird. Dabei entsteht ein Superoxid-Radikalanion (O2°-). Durch Addition der beiden radikalischen Spezies entsteht ein Hydroperoxid-Anion. Intramolekulare Dioxetan-Bildung und Verlust von CO2 und Adenosinmonophosphat (AMP) führen zum Triplettzustand (21) des 4,5-Dihydro-2-(6-hydroxy-2-benzothiazolyl)thiazol-4-ons, das unter Energieabgabe als grün-gelbes Licht in den Grundzustand fällt und enolisiert.
Entscheidend wichtig ist die Tatsache, dass die „Lichtmenge“ direkt proportional zur ATP-Produktion des Zellgemisches und damit dessen Stoffwechselaktivität ist. Somit lässt sich durch eine einfache photometrische Messung feststellen, ob und in welchem Ausmaß die Tumorzellen durch das/die Zytostatika geschädigt wurden (16).
Ergebnisse in der Gynäkologie
Der ATP-TCA wurde in den letzten Jahren hauptsächlich in der gynäkologischen Onkologie eingesetzt, vor allem bei Mamma- und Ovarialkarzinomen.
Konecny und Mitarbeiter prüften den ATP-TCA bei 93 Patientinnen mit invasiven, primären, epithelialen Ovarialkarzinomen (8). Getestet wurden die Kombinationen Epirubicin/Paclitaxel, Carboplatin/Cyclophosphamid, Cisplatin/Paclitaxel und Carboplatin/Paclitaxel. Als Testkonzentrationen wurden 6,25, 12,5, 25, 50, 100 und 200 Prozent der Plasma-Spitzenkonzentration, die durch Pharmakokinetik und klinische Information festgelegt wurde, eingesetzt (8). Epirubicin/Paclitaxel wirkte in vitro stärker als die anderen Kombinationen (IC50: p < 0,0001; IC90: p < 0,0003). Die Gesamtwirksamkeit war bei den Kombinationen Carboplatin mit Cyclophosphamid und mit denen von Paclitaxel ähnlich. Zusätzlich wurden die Testergebnisse mit der progressionsfreien Zeit und dem Gesamtüberleben korreliert. Die mediane Zeit nach einer durch diesen Test geleiteten Chemotherapie betrug 28,5 (95 Prozent Konfidenzintervall (CI) 19,4 bis 37,5) und 46,1 Monate (95 Prozent CI 35,4 bis 56,8). Patientinnen, die durch den Test als resistent gegen eine Chemotherapie eingestuft wurden, hatten eine signifikant niedrigere mediane, progressionsfreie und Gesamtüberlebenszeit von 12,6 (95 Prozent CI 6,8 bis 18,4) und 17,6 Monaten (95 Prozent CI 11,3 bis 24). Chemosensitivität und Resistenz sowie klinisches Ansprechen korrelierten signifikant (p = 0,007).
In einer weiteren Studie gab es keine Assoziation zwischen Chemosensitivität und Apoptose (22). Bei der In-vitro-Untersuchung von 42 Ovarialkarzinomen auf Paclitaxel oder Cisplatin oder die Kombination der beiden Zytostatika fanden Untch und Mitarbeiter Ansprechraten von 12 Prozent auf Paclitaxel, 19 Prozent auf Cisplatin und 27 Prozent auf die Kombination, die damit den Monotherapien signifikant überlegen war (23).
Zwei prospektive klinische Studien zeigten die Wertigkeit des ATP-TCA bei vorbehandelten Frauen mit rezidiviertem Ovarialkarzinom (24). In der ersten Studie erhielten 35 Patientinnen (31 davon Platin-refraktär), bei denen keine direkte Tumortestung möglich war, Mitoxantron und Paclitaxel entweder ein- oder dreiwöchig. Diese Kombination hatte sich ex vivo als besonders aktiv bei Platin-refraktären Ovarialkarzinomen erwiesen (25). Die klinische Gesamtansprechrate betrug 67 Prozent mit einem medianen progressionsfreien Überleben von 40 Wochen und einem Gesamtüberleben von 89 Wochen (26).
In einer zweiten Studie erhielten 59 Patientinnen - 31 davon mit Platin-sensitiven und 28 mit Platin-resistenten rezidivierenden Ovarialkarzinomen - eine Chemotherapie in Abhängigkeit vom ATP-TCA-Resultat (27). 46 Frauen bekamen eine neue Kombination. Bei den neuen Kombinationen (Mitoxantron und Paclitaxel; Platin und Cytarabin oder Gemcitabin) kam es zu 31 von 39 Remissionen mit einer Gesamtansprechrate von 66 Prozent. Platin-sensitive Tumoren sprachen schlechter auf die Chemotherapie an, und die Zeit bis zur Progression war im Mittel kürzer. Das mediane progressionsfreie Intervall lag bei 45, die mediane Überlebenszeit bei 90 Wochen (27).
Herausragend an dieser Studie ist, dass sich Platin-refraktäre Tumoren weder im Ansprechen noch bei den Langzeitverläufen von Platin-sensitiven Tumoren unterschieden. Somit wird diesen Patientinnen mit extrem ungünstiger Langzeitprognose offensichtlich erstmals eine echte Alternative zu den insgesamt unbefriedigenden postprimären Standard-Chemotherapien eröffnet. Die Studie zeigte, dass ein individuelles Chemotherapieschema klinisch relevant ist. Europaweit läuft derzeit eine Phase-III-Studie, die die Datenlage für Patientinnen mit Platin-resistenten Tumoren bestätigen soll.
Grecu und Mitarbeiter (28) beschrieben die ex vivo und klinische Evaluierung von Treosulfan, Gemcitabin und deren Kombination bei vorbehandelten Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom oder rezidivierendem Ovarialkarzinom mit Hilfe des ATP-TCA. Auf die Kombination sprachen 79 Prozent an, 42 Prozent auf Gemcitabin und 24 Prozent auf Treosulfan. Daraufhin wurde eine Pilotstudie initiiert mit 13 Patientinnen mit diesen Tumoren, die bereits ein bis sechs Chemotherapieschemata erhalten hatten (Treosulfan 5 mg/m², drei wöchentlich, Tag 1, und Gemcitabin 1250 mg/m², Tage 1 und 8). Die Ansprechrate betrug 48 Prozent, das mediane progressionsfreie Überleben 21 und das Gesamtüberleben 110 Wochen. Patientinnen mit reduzierter relativer Dosisintensität (hämatologische Toxizität) zeigten deutlich ungünstigere Langzeitergebnisse.
Beim metastasierten Ovarial- und Mammakarzinom stellt der ATP-TCA eine wichtige Grundlage für eine individualisierte Therapieentscheidung dar. Allerdings sollten diese Daten an größeren Kollektiven bestätigt werden.
Gerade bei relativ kleinen oder stromareichen Tumoren wie dem Mammakarzinom ist die Verfügbarkeit einer ausreichend großen Materialmenge zur Chemosensitivitätstestung besonders kritisch. Beim Mammakarzinom ist das individuelle Sensitivitätsverhalten gegenüber vielen Einzelwirkstoffen und Kombinationen sehr heterogen (29). Das bedeutet, dass selbst bei chemisch und funktionell verwandten Substanzen wie Doxo- und Epirubicin aus der Wirkung des einen Zytostatikums im Einzelfall nicht zwingend auf die Aktivität des anderen geschlossen werden kann (30, 31).
Konecny und Mitarbeiter (32) verglichen den zytotoxischen Effekt von Paclitaxel in Kombination mit Epirubicin, Carboplatin, Gemcitabin und Vinorelbin an Zelllinien und an nativem Mammakarzinomgewebe. Es zeigte sich eine Dosis-Wirkungs-Korrelation. Der Antagonismus zwischen Paclitaxel und anderen Zytostatika schien bei höheren Paclitaxel-Konzentrationen aufzutreten. Außerdem ist die Zytotoxizität von Epirubicin und Paclitaxel sowie Cisplatin und Paclitaxel in Mammakarzinomkulturen höher als die einer Kombination von Paclitaxel mit Gemcitabin oder Vinorelbin.
Korrelation mit In-vitro-Daten
Klinisch relevant sind vor allem Korrelationen von In-vitro-Ergebnissen mit Behandlungserfolgen. Bei 29 Patientinnen mit lokal rezidiviertem oder metastasiertem Mammakarzinom (FIGO-Stadium III/IV; FIGO: Fédération Internationale de Gynécology et d`Obstetrique) konnte retrospektiv das Testergebnis mit dem klinischen Remissionsstatus verglichen werden. Der ATP-TCA sagte in 76 Prozent (22 von 29) das Ansprechen korrekt voraus. Die prädiktive Genauigkeit betrug 83 Prozent (24 von 29) mit einem positiv prädiktiven Wert von 80 Prozent und einem negativ prädiktiven Wert von 100 Prozent (16). Alle neun Patientinnen mit einer auf den Resultaten des ATP-TCA basierenden Chemotherapie hatten eine partielle oder komplette Remission.
Auch beim Mammakarzinom scheint der Einsatz des ATP-TCA zur Wirkstoffentwicklung und Evaluierung neuer Therapieregime möglich. Konecny und Mitarbeiter zeigten an 50 primären Mammakarzinomen, dass die Kombination von Epirubicin und Paclitaxel bei 100 Prozent Test Drug Concentration (TDC) bei 90 Prozent der getesteten Tumoren die IC90 erreichte, Carboplatin und Paclitaxel bei 83 Prozent, Gemcitabin und Paclitaxel bei 63 Prozent und Vinorelbin und Paclitaxel nur bei 50 Prozent (32). Eine Assoziation zwischen HER-2/neu-Überexpression und Chemoresistenz gegenüber der Kombination 5-Fluorouracil/Epirubicin/Cyclophosphamid (FEC) war in vitro nicht nachweisbar (33).
Therapie individualisieren
Der ATP-TCA kann beim Mammakarzinom wertvolle Zusatzinformationen liefern, die dazu beitragen, die Chemotherapie individuell zu planen. Die Erhebung falsch positiver Ergebnisse ist jedoch nicht völlig auszuschließen. Möglicherweise lässt sich dies durch die Tumorheterogenität erklären. Zudem könnte eine schnelle Resistenzentwicklung mit verantwortlich sein (34). Letztlich gilt es, Regime zu entwickeln, die einer Resistenzentwicklung zuvorkommen oder selbst chemomodulatorische Effekte bei bestimmten Resistenztypen aufweisen.
Die prätherapeutische Sensitivitätstestung mit dem ATP-TCA stellt ein attraktives therapeutisches Konzept dar (35). Aktuell ist die klinische Entwicklung des Tests beim Mammakarzinom noch nicht so weit fortgeschritten wie beim Ovarialkarzinom. Auch bei Cervix- und Vulvakarzinomen wird der ATP-TCA ansatzweise verwendet.
Der ATP-TCA ist nicht der einzige derartige Test. Kaspers und Mitarbeiter (36) benutzten den colorimetrischen MTT-Test, eine Formazan-Reaktion, wie sie die Pharmacopeia Europaea für Untersuchungen von Nebennierenrindenhormonen mit a-Ketolgruppierung vorschreibt.
Bei einem Vergleich von MTT- und ATP-Test wurde die Zahl lebender Zellen gemessen, die durch die Tests erfasst werden (37). Beim ATP-Test liegt die Erfassungsgrenze bei etwa 1500 Zellen pro Vertiefung, beim MTT-Test bei 25.000. Diese Empfindlichkeiten können wichtig sein, wenn aus Biopsien nur wenig Material zur Verfügung steht, aber unterschiedliche Bestimmungen nötig sind.
Je genauer heute molekulare, das heißt genetische und phänomenologische Unterschiede zur Differenzialdiagnose herangezogen werden, um so dringlicher wird die Forderung, einen Tumor nicht nur spezifisch zu diagnostizieren, sondern auch spezifisch zu therapieren. Prädiktive Tests wie der ATP-TCA, die von Bedingungen ausgehen, die dem Tumor im Patienten mit den vielfältigen Zell-Zell-Wechselwirkungen weitgehend entsprechen, können dieser Forderung nahe kommen.
Literatur
Für die Verfasser:
Professor Dr. Wolfgang Wiegrebe
Institut für Pharmazie
Pharmazeutische Chemie I
Universität
93040 Regensburg
Privatdozent Dr. Michael Untch
Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Gynäkologie
Ludwig-Maximilians-Universität München
Klinikum Großhadern
Marchioninistraße 15
81377 München
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