Frisches Blut und neue Nieren |
17.05.1999 00:00 Uhr |
Immer mehr Menschen warten auf eine neue Niere. Nicht unbedingt, weil Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck zunehmen, sondern weil immer mehr und immer erfolgreicher dialysiert werde, sagte Professor Dr. Gerd Offermann beim "Tag der Niere" im Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) in Berlin. Inzwischen seien fast alle Patienten ausreichend versorgt, die Warteliste werde sich bald auf einem festen Niveau einpendeln.
Im UKBF warten jährlich rund 350 Patienten auf eine neue Niere. Nur 60 bis 80 werden pro Jahr verpflanzt, es gibt nicht genügend Organe. Ein Lastwagen des UKBF rollt jetzt als Werbeträger durch Berlin, auf seiner Seitenfläche ist ein Flickenteppich von Spenderausweisen aus aller Herren Länder abgebildet. Nicht nur die Spendebereitschaft sei ein Problem, auch aus den Krankenhäusern werden nicht alle potentiellen Spender wirklich gemeldet, meinte Professor Dr. Armin Distler. Nachts um drei Uhr mache ein Toter weniger Arbeit, wenn er alle seine Organe bei sich behalte, ergänzte Offermann.
Zwei Ärzte müssen beim potentiellen Spender unabhängig voneinander den Hirntod nach bestimmten Richtlinien (Reflexe, neurologische Untersuchungen, Hirnstromkurven) feststellen. Hirntod bedeutet, daß alle Teile des Gehirns inklusive des Hirnstamms (Atemzentrum) in ihrer Substanz zerstört und alle Funktionen unwiederbringlich verloren sind. Unfälle können das Gehirn direkt zerstören, öfter aber tritt der Hirntod nach Blutungen und Hirnödemen ein. Ist der Druck innerhalb des knöchernen Schädels höher als im restlichen Kreislauf, kann frisches Blut nicht mehr ins Gehirn gepumpt werden. Das Herz hat autonome Schrittmacher, es schlägt weiter, solange der Patient beatmet wird. Vasokonstriktoren sorgen dafür, daß das Blut nicht versackt, denn die Spenderorgane müssen bis zur Entnahme durchblutet sein.
Das Krankenhaus, in dem der Verstorbene liegt, meldet die Transplantationsniere an die regionale Organspendezentrale. Diese schickt ein Team von Spezialisten zur Entnahme los und meldet den Fall an die Eurotransplant International Foundation in Leiden, Niederlande. Diese internationale Stiftung vermittelt für Deutschland, die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Österreich die Vergabe der Organe.
Ein Computer ermittelt nach verschiedenen Kriterien (Blutgruppe, Gewebemerkmale, Wartezeit und Region), wer die Niere bekommen wird. Der Arzt vor Ort hat keinen Einfluß darauf. Auch das Alter spielt keine Rolle. Der jüngste Patient am UKBF war zwei Jahre alt, der älteste 75. Eine Patientin lebt seit 23 Jahren mit ihrer Spenderniere, elf transplantierte Frauen haben 14 gesunde Kinder zur Welt gebracht. Die Patienten müssen allerdings dauerhaft Immunsuppressiva einnehmen.
Dialyse auch zu Hause
Bis zur Transplantation wird dialysiert, in vielen Fällen auch stattdessen. Vor allem Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen können nicht transplantiert werden, nur die Hälfte der Dialyse-Patienten kommt für die Transplantation überhaupt in Frage. Der Patient kann zwischen zwei Methoden wählen: der Hämodialyse und der Bauchfell- oder Peritonealdialyse.
Bei der Hämodialyse wird ein Kurzschluß, also eine direkte Verbindung (Shunt) zwischen Handarterie und -vene gelegt. Nur so ist der Druck hoch genug, um an diesem Shunt das Blut mit Kanülen zu entnehmen, durch den Dialysator laufen zu lassen und zurückzuführen. Jeden zweiten Tag hängt der Patient für vier bis fünf Stunden am Dialysegerät. Diese Methode kann entweder im Dialysezentrum oder vom Patienten selbst zu Hause durchgeführt werden. Letzteres geht allerdings nur, wenn jemand helfen kann und wenn der Patient bereit ist, sich selbst die Kanüle zu legen. Fährt der Patient in Urlaub, muß er sich beim Dialysezentrum am Urlaubsort anmelden und außerdem mit der Krankenkasse die Kostenübernahme klären.
Bei der Bauchfelldialyse wird über einen Dauerkatheter angewärmte Dialyseflüssigkeit aus einem Plastikbeutel in den Bauchraum gefüllt. Am gut durchbluteten Bauchfell, das die inneren Organe umgibt, findet dann der Stoffaustausch statt. Über den Katheter läuft die verbrauchte Flüssigkeit wieder ab. Vier bis fünfmal täglich werden die Beutel (je 2 bis 3 Liter) gewechselt.
Der Patient braucht kein zusätzliches Gerät, es sei denn er möchte die Dialyse in die Nachtzeit verlegen. Dann übernimmt ein Automat den Austausch der Flüssigkeiten. Die Dauer hängt von der Konstitution des Bauchfells ab. Ein Patient in Berlin lebt seit acht Jahren problemlos mit der Bauchfelldialyse.
Die Peritonealdialyse erlaubt viel Flexibilität, durch den kontinuierlichen Flüssigkeitsaustausch kommt sie der physiologischen Entgiftung näher als die Hämodialyse. Die Diätvorschriften sind nicht so streng wie für die Hämodialyse. Nicht jeder aber ist mit einem Schlauch in der Bauchdecke glücklich, nicht jeder traut sich die richtigen Handgriffe zu und nicht jeder kümmert sich gerne um die Logistik: fünf mal drei Liter pro Tag macht über 100 Liter pro Woche - diese Mengen müssen über das Dialysezentrum bestellt und gelagert werden.
In England entscheidet sich fast die Hälfte der Patienten für die Bauchfelldialyse. In Deutschland gehen rund 40000 Patienten zur Hämodialyse, 3100 Patienten wählten die Peritonealdialyse. Wurden früher vor allem Patienten nach Schmerzmittelmißbrauch dialysepflichtig, so sind es heute Diabetiker.
Die Hämodialyse kostet pro Jahr und Patient rund 80000, die Bauchfelldialyse 65000 DM. Bei ersterer schlagen vor allem die Pflegekosten zu Buche, bei letzterer die Materialkosten. Die Transplantation sei langfristig wesentlich billiger, heißt es in einer Presseerklärung des UKBF.
Mehr Informationen zum Thema Transplantation finden Sie auf der Homepage der FU Berlin unter www.medizin/fu-berlin.de/transplantation.
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