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Moleküle, Rezeptoren, Rezepturen: Einblicke in neue Welten

05.04.1999  00:00 Uhr

-TitelGovi-Verlag

HOCHAUFLÖSENDE MIKROSKOPIE

Moleküle, Rezeptoren, Rezepturen: Einblicke in neue Welten

von Hermann Wätzig, Würzburg

Herrn Professor Dr. Siegfried Ebel zum 65. Geburtstag gewidmet

Nicht nur im immer ferneren Kosmos, auch bei der Erforschung immer kleinerer Strukturen mit dem Mikroskop kann man neue Welten entdecken. Mittlerweile spricht man bereits vom Nanokosmos: Atome, ja subatomare Strukturen können dargestellt werden. Nicht nur statische Strukturen werden sichtbar, sondern auch dynamische Prozesse werden auf molekularer Ebene beobachtbar. Die meisten Anwendungsgebiete finden sich in den Material- und Biowissenschaften. Welche Bedeutung hat die hochauflösende Mikroskopie heute für die Pharmazie, in welchen Bereichen wird diese noch zunehmen?

Es hat Menschen immer gereizt, ihre Grenzen auszuloten und, wenn möglich, sie zu überschreiten. Dies motiviert sicher auch viele Wissenschaftler, die nach fernen Galaxien und kleinsten Elementarteilchen suchen. Forscher, die sich mit der Mikroskopie beschäftigen, wollen daher immer noch kleinere Strukturen abbilden und sie dadurch besser verstehen.

Der Fortschritt in der hochauflösenden Mikroskopie hat in den letzten Jahren zu vielen wichtigen Erkenntnissen geführt, besonders in den Material- und Biowissenschaften (1 - 6). Durch die mittlerweile mögliche atomare Auflösung können DNA-Moleküle und Rezeptoren abgebildet und in ihrer Struktur näher charakterisiert werden. Mittlerweile können nicht nur Moleküle dargestellt werden, sondern es ist sogar möglich, lokale Elektronendichteverteilungen um Moleküle in subatomarer Auflösung darzustellen.

Funktionsprinzipien der Elektronenmikroskopie

Leistungsfähige Lichtmikroskope, mit denen Zellen und Bakterien sichtbar gemacht werden konnten, gab es bereits im 19. Jahrhundert. Jedoch ist die Auflösung durch die Wellenlänge l des verwendeten Lichts begrenzt. Details, die kleiner als die halbe Wellenlänge sind, können nicht mehr abgebildet werden. Für violettes Licht (l = 400 nm) liegt die maximale Auflösung bei 200 nm.

Um höhere Auflösungen zu erreichen, müssen Strahlungen mit geringerer Wellenlänge verwendet werden. Kurzwellige elektromagnetische Strahlung, zum Beispiel Röntgen- oder Gammastrahlung, ist wegen ihrer hohen Energie weniger geeignet. Statt dessen werden Elektronenstrahlen, also im elektrischen Feld beschleunigte Elektronen, verwendet. Ihre Wellenlänge hängt von der verwendeten Beschleunigungsspannung ab. Bereits bei 100 V Beschleunigungsspannung wird eine Wellenlänge in atomarer Größenordnung erreicht. Heute werden Elektronenmikroskope mit Beschleunigungsspannungen im Megavolt-Bereich eingesetzt, die Wellenlänge der verwendeten Strahlung ist also keine Beschränkung mehr.

Bereits zu Beginn dieses Jahrhunderts erkannte man, daß Elektronenstrahlen ganz ähnliche Eigenschaften wie Licht haben. Brechung von Licht entspricht der Ablenkung von Elektronenstrahlen in elektrischen Feldern, und durch geeignete Anordnung von elektrischen oder magnetischen Feldern lassen sich Elektronenstrahlen fokussieren. Diese Anordnung zur Fokussierung entspricht genau den optischen Linsen; analog werden diese daher auch elektrische oder magnetische Elektronenlinsen genannt.

Das Transmissionselektronenmikroskop (TEM) kann als Weiterentwicklung des Lichtmikroskops aufgefasst werden. Der Strahlengang optischer Mikroskope war zu Beginn dieses Jahrhundert schon ausgereift. Es lag nahe, denselben Strahlengang nun auch mit Elektronenstrahlen zu verwenden. So gelangte man zu leistungsfähigen Elektronenmikroskopen (ein gut verständlicher, ausführlicher Aufsatz zu diesem Thema findet sich in (11)).

Das Rasterelektronenmikroskop (REM; SEM scanning electron microscopy) arbeitet mit einer abweichenden Technik. Durch eine Anordnung von Elektronenlinsen wird zunächst ein scharf gebündelter Elektronenstrahl erzeugt. Mit Hilfe von zwei Ablenkspulen (Scanningspulen) wird der Strahl in x- und y-Richtung bewegt und kann mit hoher Präzision auf die Probe positioniert werden. Wenn der energiereiche Elektronenstrahl auf die Probe auftrifft, kommt es zu Wechselwirkungen. Für die Rasterelektronenmikroskopie werden besonders die primär rückgestreuten und die zunächst in die Probe eingedrungenen und später emittierten Sekundärelektronen genutzt. Sekundärelektronen können von einer Kollektoranode abgesaugt und dann registriert werden. Der resultierende Strom wird jeweils verstärkt und ein Bildsignal entsprechender Intensität erzeugt.

Die Ablenkspulen bewegen den Elektronenstrahl nun programmiert zeilen- und spaltenweise über die Probe. Dabei entsteht je nach Rasterposition (x, y) ein unterschiedlicher Sekundärelektronenstrom. Dieser Strom wird auf dem Bildschirm an der entsprechenden x, y-Rasterposition dargestellt (ein gut verständlicher, detaillierter Beitrag zu REM findet sich in (1)).

Für eine gute Bildqualität mit REM ist eine elektronenreiche Objektoberfläche erforderlich. Nichtleitende Materialien werden daher häufig vor der Aufnahme mit einer Goldschicht bedampft. Leider wird dadurch die erreichbare Auflösung verschlechtert: Oberflächendetails in atomarer Größenordnung werden überdeckt.

Rastersondenmikroskopie

Die Elektronenmikroskopie weist - bei aller Leistungsfähigkeit - zwei Nachteile auf. Die Messungen müssen im Hochvakuum erfolgen, funktionsfähige biologische Proben können also nicht untersucht werden. Außerdem kann das Elektronenmikroskop nur bedingt für nichtleitende Materialien eingesetzt werden. Dies war der Anreiz für eine weitere wichtige Entwicklung, die Rastersondenmikroskopie (SPM scanning probe microscopy).

Bei dieser Technik wurde die Rasterabtastung beibehalten. Statt des Elektronenstrahls wird bei der Rastersondenmikroskopie aber der Probenteller in x, y-Richtung hochpräzise durch Piezokristalltechnik bewegt. Eine Sonde bewegt sich in z-Richtung auf die Oberfläche zu und mißt den Abstand, der anschließend als Höhe z über den Koordinaten x, y aufgetragen ein Bild der Oberfläche ergibt. Wie kann nun der Abstand in z-Richtung gemessen werden, ohne Sonden oder Probenoberfläche zu beschädigen? Dazu gibt es zwei Prinzipien: die Rastertunnel- und die Rasterkraftmikroskopie.

Rastertunnelmikroskopie

Zuerst wurde das Sondenprinzip in der Rastertunnelmikroskopie (STM scanning tunneling microscopy) verwirklicht. Die Rastertunnelmikroskopie ermöglicht Abbildungen in subatomarer Auflösung (vgl. auch Abbildung 1). Gerd Binnig und Heinrich Rohrer erhielten 1986 für diesen wissenschaftlichen Durchbruch den Nobelpreis (eine detaillierte Darstellung der STM mit Anwendungen aus dem Gebiet der Material- und Biowissenschaften findet sich in (2)).

Eine Messung des Abstandes der Sonde zur Objektoberfläche gelingt durch den Tunneleffekt; besteht eine Spannungsdifferenz zwischen Sonde und Objekt, dann können bei einem Abstand von etwa 1 nm, also noch kontaktlos, einige Elektronen übertreten. Der resultierende sehr geringe Strom wird verstärkt und zur Abstandsmessung genutzt. Eine Messoption ist die Annäherung der Sonde in z-Richtung, bis der Tunnelstrom einen bestimmten Wert erreicht.

Gleicher Tunnelstrom bedeutet gleichen Abstand. Wird ein höherer Strom als "Stop-Wert" gewählt, bewegt sich die Sonde mit etwas geringerem Abstand über die Probenoberfläche. Je nach Wahl der Tunnelparameter verändert sich das Bild der beobachteten Strukturen, auch abhängig von der Elektronendichteverteilung auf der untersuchten Oberfläche. Im mittleren Bild von Abbildung 3 wurde ein Tunnelstrom von 1 nA gewählt, im unteren Teil wurden 0,1 nA verwendet.

Ebenso wie die Elektronenmikroskopie beruht auch die Tunnelmikroskopie auf der Wechselwirkung mit Elektronen auf der Objektoberfläche. Aufnahmen von Nichtleitern sind daher nicht ohne weiteres möglich. Allerdings ist die auf vielen Proben vorhandene Wasserschicht bereits ausreichend leitend. Nichtleitende Materialien können untersucht werden, wenn sie in dünner Schicht auf sehr gut leitende Objektträger aufgebracht werden (Abbildungen 2 und 3). Tunnelmikroskopische Messungen erfolgen im Hochvakuum, da sonst die Messung des Tunnelstroms durch Gasmoleküle zwischen Sonde und Objektoberfläche stark gestört würde. Die Beobachtung von funktionsfähigen biologischen Proben ist somit nicht möglich.

Rasterkraftmikroskopie

Bei der Rasterkraftmikroskopie (SFM, scanning force microscopy; AFM, atomic force microscopy) werden überwiegend Van der Waals-Wechselwirkungen zwischen der Sondenspitze und der Probenoberfläche zur Oberflächencharakterisierung genutzt. In dieser Form ist die Sondenmikroskopie universell anwendbar, also auch bei nichtleitenden Materialien und in flüssigen Medien. Deshalb spielt sie bei der Untersuchung von biologischen Materialien eine sehr wichtige Rolle.

Die Sonde besteht bei dieser Art der Rastersondenmikroskopie aus einem harten Material, zum Beispiel aus Wolfram, Siliziumnitrid oder Diamant. Der Idealfall ist eine pyramidenförmige Sonde mit einer Spitze aus nur einem Atom.  Die Sonde ist an einem Ausleger (Cantilever) befestigt. Werden Sonde und Cantilever über die Probe geführt, beschreibt der Cantilever eine Bewegung nach der Topographie der Unterlage, ähnlich einer Nadel, die eine Schallplatte abtastet. Durch seine leichte Aufhängung ist die Gefahr gering, daß Spitze oder Probe beschädigt werden. Auf seiner Rückseite ist ein Spiegel befestigt. Die Position des Cantilevers wird durch einen Laserstrahl kontrolliert. Dieser Laserstrahl trifft zunächst auf den Spiegel und anschließend auf einen Detektor, der aus mehreren Photodioden besteht. Eine Auslenkung des Cantilevers verändert den Auftreffpunkt des Laserstrahls. Die Sonde wird nun solange in z-Richtung bewegt, bis der Laserstrahl wieder auf die ursprüngliche Position trifft (Messungen mit konstanter Höhe). Die Bewegung der Sonde in z-Richtung liefert Information über die Topographie der Probe. Außerdem werden teilweise Messungen mit konstanter Kraft zwischen Sonde und Oberfläche angewandt. Bei solchen Messungen erhält man Informationen über die chemische Beschaffenheit der Oberfläche durch Vergleich mit den Messungen bei konstantem Abstand. Die Kraft zwischen Sondenspitze und Oberfläche ist vom jeweiligen Material abhängig (empfehlenswerte Übersichtsartikel zur Sondenmikroskopie sind (3, 4, 6)).

Kraftmikroskopie kann in verschiedenen Modi durchgeführt werden. Bei Messungen im Kontaktmodus wird die Sonde sehr nah (< 1nm) an die Oberfläche herangeführt. Dabei wirken nicht nur anziehende, sondern auch abstoßende Kräfte zwischen den Atomen der Spitze und der Probenoberfläche. So werden hohe Auflösungen erreicht. Durch den direkten Kontakt sind aber Beschädigungen von Probe oder Meßsonde nicht ausgeschlossen. Wenn die Sonde an der Probe "hängenbleibt" und sich erst spät bei hohen Kräften löst, kommt es zu einem Signal, das den Oberflächenverlauf nicht richtig wiedergibt. Außerdem kommt es durch die relativ hohen Kräfte zwischen Sonde und Probenoberfläche zu Nachschwingeffekten des Cantilevers.

Beim Nichtkontakt-Modus wird die Sonde 1 bis 10 nm über der Oberfläche positioniert. Hier werden sehr schwache anziehende Kräfte (» 10-12 N) zwischen den Atomen der Sonde und der Oberfläche gemessen. Auf diese Weise können auch elastische und sehr weiche Proben untersucht werden. Da die Spitze nie direkten Kontakt mit der Oberfläche hat, kann es nicht zu Artefakten, zum Beispiel Furchenbildungen, kommen, wie sie im Kontaktmodus ab und zu beobachtet werden. Durch die geringeren Kräfte sind allerdings nur Auflösungen von ³ 10 nm möglich.

Höhere Auflösungen bei geringerer Wechselwirkung mit der Probe ermöglicht die Tapping-mode-Technik. Der Cantilever oszilliert mit einer hohem Frequenz über der Probe. Berührungen mit der Probe finden jeweils nur sehr kurz statt. Die Höhenmessung wird hier möglich, weil die Amplitude der Schwingung des Cantilevers bei Annäherung an die Probenoberfläche stark gedämpft wird. Die Gefahr einer Zerstörung der Probe ist dabei wesentlich vermindert.

Anwendungen in den Biowissenschaften

Ein großer Teil der Impulse für hochauflösende Mikroskopie geht von der Chiptechnologie aus. Immer kleinere funktionale Strukturen erfordern immer feinere analytische Instrumente. Viele Impulse kommen auch aus den Biowissenschaften. Mit Hilfe der Lichtmikroskopie können Zellen und Bakterien sichtbar gemacht werden, mit REM, STM und AFM gelingt mittlerweile auch die Abbildung von Viren, Zellorganellen und Proteinen (5).

Ein Virus infiziert eine Zelle, indem er sich an der Außenseite mit seinen Schwanzfäden festsetzt. Anschließend injiziert er seine Nucleinsäuren aus dem Kopf in die Zelle. Dieser Vorgang, ebenso wie der Prozeß des Zusammenbaus der Viren in der Zelle, ist noch nicht in allen Details verstanden. Das AFM ermöglichte aber bereits die Aufklärung der Struktur der Verbindungsstelle zwischen Kopf und Schwanz eines Bakteriophagen unter physiologischen Bedingungen; diese Verbindungsstelle ist etwa 8 nm lang und enthält einen konisch zulaufenden Kanal, zwischen 1,7 und 3,7 nm breit (12).

Aufgrund der hohen Auflösung kann das Rastertunnelmikroskop genutzt werden, um röntgenstrukturanalytische Ergebnisse zu bestätigen. Besonders wertvoll ist das Kraftfeldmikroskop zur Aufklärung von Quartärstrukturen unter physiologischen Bedingungen. Die Quartärstruktur des Pertussis-Toxins konnte beispielsweise bei einer Auflösung von unter 0,5 nm als ein Pentamer aus zwei benachbarten größeren und drei weiteren kleineren Untereinheiten bestimmt werden. Interessanterweise liefert hier die Röntgenstrukturanalyse abweichende Ergebnisse, möglicherweise bedingt durch die notwendige Probenpräparation, die bei der AFM wegfällt (13).

Eine wichtige Rolle kann die mikroskopische Strukturaufklärung spielen, wenn die Struktur nicht durch Röntgenstrukturanalyse oder Kernresonanzspektroskopie bestimmt werden kann. Bis heute ist die Struktur von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR) nicht im Detail bekannt. In solchen Fällen wird versucht, aus der primären Aminosäuresequenz mit Hilfe eines Strukturvergleichs zu Proteinen, von denen Aminosäuresequenz und Tertiärstruktur bekannt sind, die Struktur abzuschätzen. Daneben wird das Rezeptorbindungsverhalten für Modellrechnungen verwendet (14). Im Fall der GPCR ist der Vergleich zu ähnlichen Proteinen noch nicht möglich, da bisher keine einzige wirklich ähnliche Struktur aufgeklärt wurde. Zur Zeit wird teilweise die Struktur des Bacteriorhodopsins als Modell verwendet, die aber in der Aminosäuresequenz kaum mit GPCR übereinstimmt. In solchen Fällen ist die Strukturabschätzung sehr fehleranfällig. Der abschließende Vergleich einer so erhaltenen Struktur mit einem mikroskopischen Bild würde eine wertvolle Kontrolle darstellen.

Die Kraftfeldmikroskopie ermöglicht es, biologische Strukturen unter physiologischen Bedingungen zu beobachten. Ein besonders schönes Beispiel hierfür ist die Beobachtung der Blutgerinnung mit dem Kraftfeldmikroskop.

Möglicherweise kann in Zukunft sogar die Konformation eines Rezeptors in Abhängigkeit von der Wirkstoffkonzentration mit der Rasterkraftmikroskopie (AFM) dargestellt werden. Dies könnte einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der zugrundeliegenden dynamischen Prozesse liefern. Die Forschungsanstrengungen auf diesem Gebiet sind sehr groß, jedoch sind die zu untersuchenden Strukturen und besonders die Strukturänderungen sehr klein und daher schwer darstellbar. Hinzu kommt, daß es sich bei Rezeptoren um bewegliche Moleküle handelt, die in eine bewegliche Membranstruktur eingebettet sind. Daher können sie sich unter der Kraftwirkung bei AFM-Messungen verändern. Diese Probleme treten bei kristallisierbaren Enzymen und Strukturproteinen im Verband nicht auf; diese können daher leichter mit hoher Auflösung dargestellt werden.

Zellmembranstrukturen sind besonders schwer unter physiologischen Bedingungen zu beobachten. Die Abbildung von Strukturen in der Zellkernmembran und deren Reaktion auf Signalstoffe aus dem Cytoplasma ist bereits möglich (16, 17). Durch aufeinanderfolgende Aufnahmen kann zum Beispiel das Öffnen und Schließen von Poren beobachtet werden. Allerdings sind diese Strukturen nahezu 100x größer als Zellmembranstrukturen.

Prinzipiell ist eine mikroskopische Untersuchung der Rezeptorfunktion möglich. Die rechnergestützte Bildverarbeitung und instrumentelle Verbesserungen ermöglichen es, die Auflösung auch bei empfindlichen Proben zu verbessern. Dadurch konnten Konformationsänderungen bei Bacteriorhodopsin hochaufgelöst dargestellt werden. Bacteriorhodopsin ist eine lichtgetriebene Protonenpumpe aus Halobacterium salinarium. Bei Anregung durch Licht isomerisiert das Chromophor von der all-trans zur 13-cis Isoform. Durch die resultierende Konformationsänderung wird ein Hydroniumion durch die Membran transportiert. Bacteriorhodopsin-Moleküle befinden sich hochgeordnet auf einer Membran zusammengelagert. Durch Kraftausübung auf die Moleküle mit dem Kraftmikroskop wird eine Konformationsänderung induziert, die gleichzeitig beobachtet werden kann.

Möglicherweise liefern die Biowissenschaften die spektakulärsten und interessantesten mikroskopischen Aufnahmen, ein großer Teil der Nutzanwendungen kommt jedoch aus dem Bereich der Materialwissenschaften (1). Auch pharmazeutische Anwendungen sind bekannt.

Elektronenmikroskopische Untersuchungen von Emulsionen tragen dazu bei, Rezepturen von Salben und Cremes zu optimieren. In vielen Fällen besteht die Phasengrenze einer Emulsion aus einer monomolekularen Schicht von Emulgatormolekülen. Häufig jedoch wird die Emulsion durch mehrschichtige Phasengrenzen stabilisiert. Die Struktur der Phasengrenzen kann nicht direkt untersucht werden, weil das Hochvakuum im Elektronenmikroskop die Probe zerstören würde. Deshalb wird die Probe zunächst schockgefroren und dann gebrochen. Die Bruchfläche enthält nun die gewünschte Strukturinformation; sie ist aber zu instabil, um sie direkt zu untersuchen. Deshalb wird darauf zunächst eine Schicht aus Platin und Kohle fixiert. Nach dem Auftauen kann diese Schicht als Abdruck der Bruchfläche elektronenmikroskopisch untersucht werden (19).

Mikroskopische Untersuchungen können auch bei der Methodenentwicklung in der pharmazeutischen Analytik helfen. Komplexe Probenmatrices, wie Körperflüssigkeiten, verschmutzen häufig das analytische Meßsystem; schlecht reproduzierbare Ergebnisse sind die Folge. Matrixeffekte können durch Probenvorbereitung vor der eigentlichen Messung vermieden werden; dies ist jedoch häufig arbeits- und kostenintensiv.

Unsere Arbeitsgruppe sucht daher nach Möglichkeiten, diese Probenvorbereitungsschritte zu vermeiden und verschmutzte Oberflächen durch geeignete Spülprozeduren nach jeder Analyse wieder zu reinigen. Wenn der Arzneistoffgehalt von Blutplasmaproben mit der Kapillarelektrophorese bestimmt wird, werden die verwendeten Glaskapillaren durch Adsorption von Plasmaproteinen stark verändert. Dies kann elektronenmikroskopisch dargestellt werden (20) und hilft, Reinigungsschritte zu entwickeln, um Probleme durch Adsorbate zu vermeiden (Abbildung 9). Es gibt zwar Areale, an denen die Proteine irreversibel haften, es hat sich jedoch gezeigt, daß ein gewisser Anteil Adsorbat toleriert werden kann, wenn ein Großteil der Glasfläche durch Spülen regeneriert wird. Mit diesen Oberflächen werden gut reproduzierbare Ergebnisse erzielt, sogar wenn Blutplasmaproben ohne Probenvorbereitung direkt injiziert werden (21).

Welche Technik ist die beste?

Elektronenmikroskope, Tunnel- und Kraftmikroskope sind heute technische Werkzeuge, die für jedermann einsetzbar sind. Sehr interessante Resultate können bereits nach einer kurzen Einarbeitungsphase erhalten werden. Bilder, die mit Hilfe von hochauflösenden Mikroskopen erhalten werden, sind allerdings nicht identisch mit den vermessenen Proben. Sie sind nur Visualisierungen, auch wenn sie wertvolle Erkenntnisse zulassen. Die Nanowelt sieht nicht aus wie eine 1 : 1 Milliarden-fache Verkleinerung der Makrowelt. Kontraste und Farben haben eine andere Bedeutung. Elektronenwolken kann man nicht wirklich sehen. Rückschlüsse von Kontrasten, abgeleitet aus der Makrowelt, auf Materialien oder Höhenunterschiede können etwa in der Elektronenmikroskopie häufig in die Irre führen.

Die vielleicht größte Fehlerquelle in der Mikroskopie ist die Probenpräparation. Zunächst muß die Probe auf einer geeigneten atomar-flachen Oberfläche, zum Beispiel Platin oder Glimmer, fixiert werden. Adsorptionskräfte sind in der Regel ausreichend. Kleine Objekte können aber bereits durch den Adsorptionsvorgang verändert werden. Wenn die mikroskopische Technik leitfähige Materialien voraussetzt (SEM, STM), müssen nichtleitenden Materialien beschichtet werden. Dadurch werden Details verdeckt, die kleiner als die verwendete Schichtdicke sind.

In der Kraftfeldmikroskopie werden Cantilever-Bewegungen dargestellt, nicht jedoch der eigentliche Untergrund; dadurch werden im Kontaktmodus gelegentlich Meßartefakte erhalten. Je empfindlicher die Probe, desto schwieriger ist es, diese Artefakte zu vermeiden. Leider sind die interessantesten Proben oftmals die empfindlichsten. Rezeptoren verändern leicht ihre Konformation und bewegen sich innerhalb der Membran, wenn sie einer Kraft ausgesetzt sind. Es ist aber nicht unmöglich, Membranproteine zu untersuchen, wie das Bacteriorhodopsin zeigt. In diesem Beispiel liegen die Proteine allerdings hochgeordnet, quasi kristallin, in einer versteiften Membran vor. Wenn die Beweglichkeit der Rezeptoren in der Membran größer ist, können die gezeigten Auflösungen heute noch nicht erreicht werden.

Auch die Aufnahmegeschwindigkeit eines Mikroskops ist wichtig. Am besten ist es, wenn man aus einer Übersichtsaufnahme (Beispiel: 0,1 mm x 0,1 mm) Details vergrößern kann (Beispiel: 5 nm x 5 nm). Dies ist mit allen mikroskopischen Techniken möglich. Elektronenmikroskopische Aufnahmen können in Sekunden durchgeführt werden, während sondenmikroskopische Messungen einige Minuten benötigen. In der gleichen Zeit können mit dem Elektronenmikroskop wesentlich mehr Ausschnitte betrachtet werden als mit dem Kraftfeldmikroskop.

Welche mikroskopische Technik ist die beste? Die Elektronenmikroskopie ist sehr ausgereift und robust; mögliche Fehlerquellen wie Artefakte sind gut bekannt. Die Kraftfeldmikroskopie erfordert wenig Probenvorbereitung, die Gefahr der Artefaktbildung durch die Präparation ist dadurch herabgesetzt. Die Beobachtung biologischer Proben unter physiologischen Bedingungen ist im wesentlichen nur mit dieser Technik möglich. Die besten Auflösungen werden zur Zeit mit der Rastertunnelmikroskopie erreicht. Für alle Techniken spielt die Bildverarbeitung eine zunehmend größere Rolle. Die laufenden Kosten für mikroskopische Aufnahme sind ähnlich wie die Kosten für die Anfertigung guter Fotographien; dazu kommen jedoch einmalige Anschaffungskosten für Mikroskope in Höhe von mehreren hunderttausend DM und Wartungskosten.

Sowohl die Elektronenmikroskopie als auch die Sondenmikroskopie werden vermehrt in verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen Einzug halten, als wertvolle Ergänzung zu anderen Techniken. Die hochauflösende Oberflächenanalytik bereichert auch die interdisziplinäre Wissenschaft Pharmazie. Ein sehr lohnendes Ziel, besonders für die Arzneistoff-Forschung, ist die Untersuchung dynamischer Vorgänge auf molekularer Ebene unter physiologischen Bedingungen. Dies ist ein sehr schwieriges Gebiet, aber auch eine große Herausforderung. Die Wissenschaft hat sie angenommen.

Literatur

(1) Hunger, H.-J. (Hrsg.), Werkstoffanalytische Verfahren. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig 1996.

(2) Bai, C., Scanning Tunneling Microscopy and its Application. Springer Verl. Heidelberg Berlin, 1992.

(3) Bottomley, L. A., Coury, J. E., First, P. N., Scanning probe microscopy. Anal. Chem. 68 (1996) 185R-230R.

(4) Bottomley, L. A., Scanning probe microscopy. Anal. Chem. 70 (1998) 425R-475R.

(5) Firtel, M., Beveridge, T. J., Scanning probe microscopy in microbiology. Micron 26 (1995) 347-362.

(6) Tendler, S. J. B., Davies, M. C., Roberts, C. J., Molecules under the microscope. J. Pharm. Pharmacol., 48 (1996) 2-8.

(7) Driscoll, R. J., Youngquist, M. G., Baldenschwieler, J. D., Atomic-scale imaging of DNA using scanning tunnelling microscopy. Nature 346 (1990) 295-296.

(8) Unwin, N., Nicotinic Acetylcholine Receptor at 9 Å Resolution. J. Mol. Biol. 229 (1993) 1101-1124.

(9) Unwin, N., Acetylcholine receptor channel imaged in the open state. Nature 373 (1995) 37-43.

(10) Weiss, P. S., Eigler, D. M., Site dependence of apparent shape of a molecule in scanning tunneling microscopic images: benzene on Pt{ 111} . Physical review letters 71 (1993) 3139-3142.

(11) Gerthsen, C., Vogel, H., Physik. 17. Aufl., Springer Verl. Berlin Heidelberg 1993.

(12) Müller, D., et al., The bacteriophage f 29 head-tail connector imaged at high resolution with the atomic force microscope in buffer solution. The EMBO Journal 16 (1997) 2547-2553.

(13) Yang, J., Shao, Z., Recent Advances in Biological Atomic Force Microscopy. Micron 26, (1995) 35-49.

(14) Böhm, H., Klebe, G., Kubinyi, H., Wirkstoffdesign. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1996.

(15) Drake, B., et al., Imaging Crystals, Polymers and Processes in Water with the Atomic Force Microscope. Science 243 (1989) 1586-1589.

(16) Reising, J., Wie man Zellen bei der Arbeit zuschauen kann. Dt. Ärztebl. 95 (1998) C405-C406.

(17) Oberleithner, H., et al., Life on biomembranes viewed with the atomic force microscope. Wiener Klin. Wschr. 109 (1997) 419-423.

(18) Müller, D. J., et al., Structural Changes in Native Membrane Proteins Monitored at Subnanometer Resolution with the Atomic Force Microscope: A Review. J. Struct. Biol. 119 (1997) 149-157.

(19) Müller-Goymann, C., Schütze, W., Mehrschichtige Phasengrenzen in Emulsionen. Dtsch. Apoth. Ztg. 130 (1990) 561-562.

(20) Kaupp, S., Steffen, R., Wätzig, H., Characterisation of inner surface and adsorption phenomena in fused silica CE capillaries. J. Chromatogr. A 744 (1996) 93-101.

(21) Kunkel, A., Günter, S., Wätzig, H., Determination of pharmaceuticals in plasma without sample pretreatment - reproducibility, limit of quantitation and limit of detection. Electrophoresis 18 (1997) 1882-1889.

Danksagung: Ich danke allen sehr herzlich, die am Entstehen dieses Artikels beteiligt waren, allen voran Stefan Kaupp, Gunhild Kempf, Bernhard Schirm und Isabel Astner, die mir bei der Anfertigung der Graphiken in der Druckausgabe der Pharmazeutischen Zeitung sehr geholfen haben.

Anschrift des Verfassers:
Privatdozent Dr. Hermann Wätzig
Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie
der Universität Würzburg
Am Hubland
D-97074 Würzburg

E-Mail: waetzig@pharmazie.uni-wuerzburg.deTop

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