Telomerase als Top oder Flop in der Krebsforschung |
05.04.1999 00:00 Uhr |
Ein Enzym, das fast ausschließlich in Tumorzellen aktiv ist und noch dazu etwas mit der Zellteilung zu tun hat, ist ein optimales Ziel für die Krebstherapie. Das dachten viele Krebsforscher, als sie begannen, sich mit der Telomerase zu beschäftigen. Sie hatten das aktive Enzym in fast allen menschlichen Tumoren nachweisen können. Von den neuesten Ergebnissen auf diesem Gebiet berichteten Wissenschaftler Ende März in Heidelberg auf dem Symposium der Abteilung Experimentelle Krebsforschung der Deutschen Krebsgesellschaft.
Die Telomerase ist ein Komplex aus mehreren Proteinen und vervollständigt Chromosomenenden. Aktiv ist sie jedoch beim gesunden Menschen nur in den Keimbahnzellen, den Blutstammzellen und den sich häufig teilenden Zellen einiger Epithelien. In den meisten anderen Körperzellen bleibt sie inaktiv.
Daher gehen dort vor jeder Zellteilung bei der Verdopplung des Erbgutes einige DNA-Bausteine verloren. Das hört sich zunächst schlimmer an, als es ist. Denn an den Chromosomenenden befinden sich die Telomere - Sequenzen, die dafür geschaffen zu sein scheinen, zu verschwinden. Sie codieren nicht für Proteine, bestehen aus sich wiederholenden Motiven und werden in den meisten Zellen tatsächlich von Teilung zu Teilung kürzer. Damit erklären sich Forscher das Altern der Zellen. Denn wenn die Telomersequenzen aufgebraucht sind, gehen bei der nächsten Zellteilung lebenswichtige codierende Regionen verloren, und die Zelle stirbt.
Vor diesem Schicksal bewahrt die Telomerase zum Beispiel die Keimbahnzellen. Dort behalten die Chromosomen ihre vollständigen Telomere. Wie wichtig das ist, sieht man an Patienten mit Hutchinson-Gilford-Syndrom. Kinder mit dieser Erbkrankheit werden schon mit verkürzten Telomeren geboren und altern rasend schnell bereits während ihrer Kindheit.
Die ursprüngliche Theorie der Krebsforscher ging davon aus, daß die aktivierte Telomerase aus gesunden Zellen Tumorzellen macht, indem sie ihnen unbegrenzte Zellteilung ermöglicht. So einfach scheint die Sache allerdings nicht zu sein. Die Ergebnisse einiger Forscher weisen darauf hin, daß die aktive Telomerase Zellen zwar daran hindert zu altern, sie aber nicht zu Tumorzellen macht.
Jerry W. Shay und seine Mitarbeiter vom Department of Cell Biology and Neuroscience der Universität von Texas in Dallas, USA, hatten menschliche Zellen ohne aktive Telomerase mit dem aktiven Enzym ausgestattet. Die Zellen alterten nicht und teilten sich immer wieder, aber ansonsten hatten sie keine Eigenschaften von Tumorzellen.
Die Telomerase ist damit die innere Uhr, die bestimmt, wann und wie schnell die Zellen altern, so Shay. Seiner Meinung nach ist sie kein Onkogen und ihre Aktivität ist nicht die Ursache von Tumoren. Dafür spreche auch, daß Ärzte noch nie Tumoren der Keimbahnzellen beobachtet hätten. Trotzdem sei die Telomerase ein Target für die Tumortherapie. Tumorzellen müßten irgendwann sterben, wenn man ihre Telomerase hemmt, da sie dadurch altern, sagt Shay. Er verspricht sich davon vor allem, bei Krebspatienten die Zeit bis zum nächsten Rückfall zu verlängern.
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